Pechschwarze Angst

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Tag drei der Spooky Week präsentiert uns FantasyxBooks. Lasst doch bitte ein paar Kommentare und einen Vote da. Und vergesst nicht, auf dem Profil von FantasyxBooks vorbeizugucken.

Kaum hatte er einen Fuß in den Freizeitpark gesetzt, begann der Spuk.

Surrende Zuckerwatte- Maschinen, der Geruch von Pizza und Chicken Nuggets an den Kiosken, lärmende Menschenmassen, die sich an den unzähligen Fahrgeschäften erfreuten- und Ruben mittendrin.

Wie erstarrt hing sein Blick an dem großen Gebäude, das sich hinter den Baumkronen der orange- roten Buchen erhob. Sein Atem hinterließ dunstigen Nebel in der milden Oktober- Luft. Ruben vergrub die Hände noch tiefer in den Jackentaschen, doch das ungute Gefühl verschwand dadurch nicht. Er stand hier, mitten im Weg, nachdenklich, zögerlich, als lausche er der Stille vor dem Sturm.

"Hey, Ruben! Alles in Ordnung mit dir?", fragte Anna, seine beste Freundin, und fuchtelte mit den Armen vor seinem Gesicht herum. "Klar, was soll denn sein?", antwortete er unbeeindruckt, doch seine ausdruckslose Miene veränderte sich nicht. Anna zuckte mit den Schultern und biss erneut in ihre mit Erbeermarmelade bedeckte Waffel.

Ruben grübelte über all das, was er in nur wenigen Stunden an diesem Tag erlebt hatte. Da war beispielsweise der eigenartige Tagtraum gewesen, der ihn mitten auf dem Kettenkarusell einholte. Erneut sah er das schemenhafte Gesicht einer alten, runzeligen Frau vor sich, das ihn schweigsam musterte. Kleine, unförmige Tiere rekelten sich in ihrem schmierigen Haar, das wirkte, als wäre es aus Tinte gegossen.

Und Blut. Überall floss Blut, aus ihren spröden Lippen, den leeren Augen und hunderten Wunden in ihrer dämonischen Fratze. Das Blut war nicht dunkelrot gewesen, sondern pechschwarz wie die Wesen in ihrem Schopf.

Ruben war in diesem grauenvollen Horror gefangen gewesen. Es hatte sich angefühlt wie eine schlimmere Form von Ohnmacht, ein fürchterlicher Albtraum, aus dem es kein Entkommen gab.

Ein anderes Mal geschah vor kurzer Zeit. Anna und er aßen Mittag an einer der vielen Imbissbuden. Ruben bestellte sich eine Portion Pommes Frites, dazu Ketchup und Mayonnaise. Den ersten Vorfall hatte er schon fast wieder vergessen, da ereignete sich der nächste.

Dürre, knochenharte Finger legten sich von hinten um seine Kehle, stachen in Rubens Haut wie Klingen. Feuriger Schmerz breitete sich in seinem Rachen aus wie eine unaufhaltsame Flut und nahm ihm die Luft zum Atmen. Rubens Sicht verschwamm, er spürte lediglich die Klingen in seinem Hals, fauchendes, unverständliches Flüstern in seinen Ohren und schiere Panik.

Eine salzige Pommes blieb ihm in der Speiseröhre stecken, und für einen Moment überkam Ruben die fürchterliche Angst, qualvoll zu ersticken. An einer einfachen, schmackhaften Pommes.

Anna saß währenddessen neben ihm wie bei der Vision auf dem Kettenkarusell, doch sie bemerkte weder das eine, noch das andere. Es war unsichtbarer, unaufhaltsamer Terror, der aus dem Nichts zuschlug.

All diese Erlebnisse verschwanden nach wenigen Sekunden so schnell, wie sie gekommen waren. Je länger er sich darüber den Kopf zerbrach, desto mehr kam es ihm vor wie ein schlechter Scherz.

"Wie dem auch sei", unterbrach Ruben seine eigenen Gedankengänge, "Wollen wir?" Was sollte schon passieren, überlegte er sich, immerhin war es nur eine Geisterbahn. Das Schlimmste, was ihn dort erwarten könnte, waren Plastik- Fledermäuse und Monster aus Pappmaché, die aus der Dunkelheit hervorsprangen.

"Ich muss zuerst auf die Toilette", sagte Anna und leckte sich Marmelade aus den Mundwinkeln, "Geh schon mal vor".

Gänsehaut breitete sich auf Rubens Körper aus. "Allein in die Geisterbahn?", brummte er mit einem Anflug von Angst in der Stimme. "Hab dich nicht so", widersprach Anna ihm, "Allein ist es doch viel gruseliger. Das bedeutet, man hat auch mehr Spaß! Wenn ich wiederkomme, kannst du mir davon berichten und wir fahren dann erneut gemeinsam, okay?"

Ruben erwiderte nichts, bewegte sich nicht, stattdessen durchlöcherte er sie stumm mit unzufriedenen Blicken.

Anna verdrehte die Augen, doch ihr gutmütiger Gesichtsausdruck hielt dieser Geste stand. Sie legte eine Hand auf Rubens Schultern, welcher erschrocken zusammenzuckte.

Ihre Finger waren gespenstisch eisig, nein: Kälter als alles, was er jemals gespürt hatte. Frost durchdrang seine Jacke ohne Weiteres, fraß sich wie eine Säge durch seine Schulter. Der brutale Schmerz legte sich so plötzlich auf ihn nieder, dass ihm nicht mal ein Schrei entwich.

"Genieß es", bat sie mit ihrer melodischen, herzerwärmenden Stimme, die furchtbar unwirklich angesichts dieser Temperatur wirkte. "Hab keine Angst".

Ihr Griff löste sich von seiner Schulter. Anna wandte sich zum Gehen ab und verschwand kurz darauf zwischen den vielen Besuchern in Richtung Toilette.

Ruben stand dort lange, noch sehr lange, wie festgefroren. Vielleicht war er das auch, er wusste es nicht.

Als Anna nicht wiederkam, begab er sich schließlich widerwillig zur Geisterbahn.

Als er das gewaltige Gebäude betrat, wichen die vielen Fragen in seinem Kopf überwältigender Faszination.

Das Gleisbett der Achterbahn, welches am Ende des Zimmers lag, konnte man vor lauter erwartungsvoller Menschen nicht erkennen. Dicke Säulen aus modrigem Holz stützten das Dach, sie waren bestückt mit blinkenden Plastik- Skeletten, Kürbissen und Köpfen von Zombie- ähnlichen Kreaturen. Schatten tanzten auf dem schwarzen Parkett, die leuchtende Halloween- Dekoration verlieh der Atmosphäre den letzten Schliff.

Die große Attraktion befand sich gegenüber des Eingangs. Eine riesige Spinne mit glühend roten Augen starrte von oben auf das Gleis der Achterbahn, dieses verlor sich in ihrem weit aufgerissenen, stockfinsteren Maul. Dort erwartete Ruben also das lang ersehnte Abenteuer.

Trotzdessen, dass ein Großteil des Raumes einen ziemlich billig Anschein machte, war er schaurig schön anzusehen.

Eine lauthals schwatzende Masse an Achterbahnliebhabern und Horror- Fans hatte sich vor der Absperrung breit gemacht. Kinder in seinem Alter allein, Kinder in seinem Alter mit Großmüttern oder Eltern, Jugendliche und Erwachsene- alle Altersgruppen waren vertreten. Nur noch eine der Schranken war nicht besetzt. Zumindest, bis Ruben kam.

Nach nur wenigen Wimpernschlägen schoss die Achterbahn um die Kurve und bremste scharf vor den Wartenden ab. Keine einzige Person saß in den schwarzen Waggons, deren Körper mit schneeweißen Spinnennetz- Aufklebern beschmückt waren. Das löste erneut Unbehagen in Ruben aus, doch andererseits, dachte er sich, gab es so keinen Streit um die Plätze.

Die Tore öffneten sich und kurz darauf war jeder Wagen gefüllt mit  Nervenkitzel suchenden Freizeitpark- Gästen.

Der Sitz war gemütlich, die Armlehne eigenartigerweise warm, als hätte vor Kurzem noch jemand hier gesessen. Alles an diesem Abteil wirkte brandneu und hochpoliert. Lediglich zu Rubens Füßen befand sich etwas, das absolut nicht ins restliche Bild passte: ein Lautsprecher, der von einem Gitter bedeckt wurde. Eine rußige Schicht bedeckte es, es war braun vom Rost und anscheinend ziemlich alt.

Er reckte den Hals nach draußen, versuchte, sie zwischen den sich drängenden Leuten und dicken Holzsäulen zu entdecken. Doch Anna kam nicht hinterher.

Ein von Aufregung zeugendes Kribbeln breitete sich in Rubens Körper aus, floss durch seine Adern und Knochen, als die Achterbahn sich mit einem dumpfen Laut in Bewegung setzte. Alles um ihn herum quietschte und ratterte, das Gemurmel der gespannten Passagiere erhitzte die kühle Luft, als sitze Ruben in einem prall gefüllten Konzertsaal.

Er ließ sich in den Sitz sinken und schloss die Augen. "Hab keine Angst", hatte Anna gesagt.

Als sein Waggon im Schlund der Spinne verschwand und Ruben von Schwärze umhüllt wurde, dröhnte auf einmal mechanisches, kratziges Heulen aus dem rostigen Lautsprecher.

"Leg die Angst beiseite, denn wir wollen scherzen,

Es ist recht, sie auszumerzen.

Klauen, Fluch und alte Wut,

Spitzer Schrei und dunkles Blut.

Wir zermalmen ihn, Stück für Stück,

Und Ruben kehrt nie mehr zurück".

Spooky Week | 2020 | PREVIEWWo Geschichten leben. Entdecke jetzt