Keller

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Thea war mal wieder eingesperrt worden. Diesmal allerdings nicht in ihrem Zimmer, sondern im Kerker. Eigentlich war es ein Keller, aber es sah aus wie ein Kerker und wenn sie es sich genau überlegte, war es wahrscheinlich auch dafür gedacht gewesen Leute hier einzusperren. Sie hätte nie gedacht, dass sie mal hier landen würde. Klar, dass sie immer mal wieder von ihren Vätern eingesperrt wurde war schon komisch gewesen, aber sie hatten Thea immer wieder gesagt, dass sie nur das beste für sie wollten und das sie zu ihrem eigenen Schutz eingesperrt wurde. Als sie das dritte Mal eingesperrt worden war, war Cassaras aufgetaucht und hatte sie jeden Tag in ihrem Zimmer besucht. Er war zu ihrem Freund geworden, ihrem einzigen. Nachdem Pa und Dad sie wieder herausgelassen hatten, hatte sie ihn nicht wieder gesehen. Aber dann, als sie das nächste Mal eingesperrt wurde, war er wieder da und besuchte sie wieder jeden Tag. Er spielte mit ihr Schach und brachte ihr etwas zum Lesen. Ein Mal kam einer von Pas Leuten herein während Cassaras bei ihr war und er versteckte sich. Der Diener sah ihn nicht. Cassaras war jemand der im Schatten lebte mit seiner Aura aus Zorn und Dunkelheit. Thea vertraute zu diesem Zeitpunkt ihren Vätern schon lange nicht mehr. Dem einzigen dem sie vertraute war Cassaras, aber er verriet ihr auch nicht wirklich etwas, obwohl er schon ein wenig Gebärdensprache konnte. Sie wusste, dass ihre Väter etwas taten, das sie nicht herausfinden sollte, aber genau das wollte sie. Herausfinden, was Pa und Dad machten und, was Cassaras mit ihnen zu tun hatte. Und, warum sie immer dann eingesperrt wurde, wenn er kam, warum er sie nicht sehen durfte. Dann, vor drei Tagen, konnte Thea aus dem Kerker fliehen und gelang sogar in das streng geheime Büro ihres Pas. Dort fand sie heraus, dass weder Pa noch Dad ihr leiblicher Vater waren und das diese sie von ihrer eigentlichen Pflegefamilie, einem Paar aus Korea, gestohlen hatten. Sie wollte dann fliehen, um ihren Vätern nicht bei ihren Machenschaften zu helfe, wurde aber am Strand von einem geflügelten Seepferd aufgehalten, der ihr sagte, sie wäre wichtig für die Rettung der Ozeane. Leider wurde sie gefasst und wieder in den Kerker gebracht. Ihre Väter kamen dann zu ihr, von wo auch immer sie waren und Theas Pa sagte, er müsse ihr jetzt wohl die Spritze geben. Sie wusste nicht was die Spritze bewirkte, hatte aber kein gutes Gefühl dabei. Jetzt saß Thea hier in ihrer Zelle und hoffte darauf, dass ein Wunder passierte, während ihr Pa - oder Aquilius Orion, sie wusste nicht so richtig, wie sie ihn nennen sollte - dieses Mittel, diese Spritze, herstellte. Wenn es doch nur irgendeinen Ausweg gäbe, verdammt! Ihre Zelle war allerdings mit mehreren Vorhängeschlössern verriegelt. Erschütterungen am Boden, die ihr zeigten, dass jemand kam ließen sie aufschauen. War ihr Pa bereits mit diesem komischen Mittel fertig? Bitte nicht! Aber nein, es war Hagen, ihr Lehrer. Er wollte nicht für Theas grässliche Väter arbeiten, das hatte sie bemerkt und deswegen mochte sie ihn gleich noch mehr. Hagen sagte nichts zu ihr, er drückte ihr einfach nur ein altes Handy in die Hand und ging wieder. Seltsam. Wollte ihr Pa sich nicht anders mit ihr unterhalten als SMS zu schreiben? Telefonieren ging ja nicht, Thea war taub. Oder war das dafür da, dass er sie damit bewachen konnte? Nein, das ergab keinen Sinn. Erst wollte sie das Handy ignorieren, aber dann gewann ihre Neugier. Auf dem Handy war nichts außer Telefon, was sie sowieso nicht benutzen konnte, und SMS. Es war nur eine Nummer eingespeichert. Konnte sie es riskieren und einen Hilferuf schicken? Immerhin hatte Hagen ihr immer geholfen und wollte auch nicht für ihre Väter arbeiten. Thea riskierte es und schrieb einen Hilferuf an die Nummer. Es dauerte nicht mal eine Minute und die Person hatte es gelesen und schrieb ihr zurück. Es war Cassaras. Er schrieb ihr, dass er sich sofort auf den Weg machen würde um ihr zu helfen. Thea begann sich Fragen zu stellen. Woher wusste Hagen, dass Cassaras und sie sich kannten? Wieso half er ihr, würde er sich damit nicht in Gefahr begeben, weil er seinem Chef in den Rücken fiel? Sie grübelte bis spät in die Nacht und auch die ganzen nächsten zwei Tage, schrieb auch noch mehrere Nachrichten, bekam aber keine Antworten. Bevor sie einschlief versteckte sie das Handy in ihrer Socke. Sie schlief unruhig und wälzte sich auf ihrer am Boden liegenden Matratze hin und her. Irgendwann wurde sie wach. Sie wusste nicht, wie viel Uhr es war, aber dann fiel ihr das Handy in ihrer Socke ein und sie sah nach. Fünf Uhr morgens. Viel hatte sie nicht geschlafen, wieso war sie aufgewacht? Da spürte sie es. Die Erschütterung im Boden war nur ganz leicht, wie als würde jemand mit Bedacht darauf keinen Lärm zu machen gehen. Wer konnte das sein? Sie stand auf, stellte sich an das Gitter ihrer Zelle und sah in den dunklen Gang. Da, eine Bewegung! Dann trat eine Person aus dem Schatten. Es war ein Mann. Cassaras. Er war wirklich gekommen! Er hatte sie nicht im Stich gelassen! Seine Haare, die er zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, waren noch nass. Er muss, von wo auch immer er gekommen war, bis hier her geschwommen sein. „Komm!", gebärdete er. „Wir müssen hier weg, pack deine Sachen, die du hier hast und die du mitnehmen willst, nicht zu viele und zu große Sachen, ich kümmere mich um die Schlösser!" Thea nickte und während sich Cassaras an die Schlösser machte, packte Thea das Handy, Wechselklamotten und noch ein paar andere Sachen, die ihr wichtig waren in die Tasche, die Cassaras ihr gegeben hatte. Dann war sie endlich frei. Cassaras führte Thea zu einem Geheimgang, der durch die Katakombe ging, und hielt sie im Schatten verborgen. Am Strand suchten Pas Leute nach Thea, aber sie konnten mit einem Boot fliehen und zum nächsten Hafen fahren. „Wir gehen jetzt als blinde Passagiere auf ein Containerschiff, bleib bei mir.", gebärdete Cassaras und Thea antwortete mit einem „Ok". Zusammen schmuggelten sie sich auf das Schiff und versteckten sich zwischen den Containern in einer Nische. Cassaras hatte anscheinend einen Plan, wo sie hinfahren würden und Thea vertraute ihm, mehr als sie Pa oder Dad jemals vertraut hatte. „Schlaf ein wenig.", sagte er zu ihr, „Ich bin mir sicher du hattest in den letzen Tagen nicht besonders viel Schlaf und du wirst es brauchen." Thea nickte und merkte wie müde sie eigentlich war. Langsam fielen ihr die Augen zu und ihr Kopf legte sich auf Cassaras Schulter ab. Sie registrierte gerade noch so, wie er sich kurz versteifte, ihr dann aber mit der Hand über den Kopf fuhr. ‚Ich bin frei', das war das letzte, was Thea dachte, bevor sie einschlief.

Alea Aquarius OneshortsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt