2 - Verkorkst

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Zufrieden, dass wir früher entlassen wurden, verließ ich nun die Umkleide, immernoch mit dem T-Shirt meines Vaters unter dem dunkelblauen Kapuzenpullover bekleidet, das unten leicht rausschaute.

Das Camouflage-Muster beruhigte mich irgendwie und zauberte mir sogleich ein kleines Lächeln auf die spröden Lippen.

Wie ich die beiden doch vermisste.

Ja, gerade eben hab ich noch ganz unbekümmert getan, aber natürlich war mir das alles nicht mal halb so egal, wie ich gerne tat.

Nicht so wie Parker.

Mein Bruder hatte das ganze recht schnell verdaut, ich glaube, weil er dachte, dass das seine Pflicht als älterer Bruder war.

Er dachte er müsse seinen Schmerz vergessen, für unser beider Wohl.

Er hatte schon mit achtzehn, aufgrund unserer fehlenden Verwandtschaft, das Sorgerecht für mich bekommen. Das hat irgendso ein Anwalts Kumpel von unserem Dad damals ohne Bezahlung für uns ausgehändelt, damit ich nicht ins System der Pflegekinder kam, so wie andere Waisenkinder.

Mit den Ersparnissen unserer Eltern, und der Großzügigkeit des Generals meines Dads während seiner Zeit bei der Army, der uns jeden Monat, obwohl Dad tot war, seine Pension überwies, hatten wir gerade noch genug Geld für einen Psychiater übrig, den ich deutlich nötiger hatte, als Parker, und das wusste er.

Dafür liebte ich ihn, auch wenn ich ihm das nie sagte, weil ich wusste, er wolle es nicht hören.

"Hör auf immer so gefühlsduselig zu werden, Ave. Das lässt mich schwach werden.", sagte er immer.

In Gedanken versunken bemerkte ich erst nach einigen Minuten, als er nur noch einige Meter entfernt war, wie mein Bruder schnurstracks auf mich zu lief, seine Lippen zu einem Strich zusammengepresst.

Oh oh.

"Ave! Was soll der Mist, hm?", oh Gott, für einen elterlichen Vortrag war ich fast schon wieder zu nüchtern, stellte ich fest.

"Lass das, P. Kein Bock dir zu zuhören.", gähnte ich.
Und sobald die Dankbarkeit, die ich ihm gegenüber so eben noch verspürt habe, aufgetaucht war, sogleich war sie auch verschwunden, denn im Endeffekt war Parker immernoch einfach nur mein zu tiefst nerviger großer Bruder.

"Ich fasse es nicht, dass du mal wieder so eine Show abgezogen hast, verdammt.", klang bei ihm ja fast schon so als wär das Teil meiner wöchentlichen Routine.

Ungerührt sah ich ihm in seine ebenfalls Ozeanblauen Augen.

"Ich dachte du unterlässt deinen typischen Avery Mist auch nur ein einziges Mal.", wow okay, ist ja 'n ganz lustiger Vorschlag, vielleicht überdenk ich den ja mal?

Meinen Mist unterlassen? Klang ja schon fast nach ein bisschen Normalität in meinem verkorksten Leben.

Weil ich ihn weiterhin einfach nur ignorierte, sprach er weiter, diesmal aber eher zu sich selbst.

"Ich hätte es besser wissen müssen.", seufzte er, "vielleicht hätte ein bisschen mehr Therapie ja nicht geschadet.", sprach er seine Gedanken laut aus.

"Jetzt bleib mal Locker, P. Was redest du hier eigentlich schon so seltsam mit dir selbst, huh?
Wirkt ja fast schon so als wärst du hier der verrücktere von uns beiden.", abwertend sah ich ihn an.

"Das ist mein Ding, schon vergessen? Du bist hier der Normale, damit das Klar ist."

Und bevor Parker etwas erwidern konnte, schlangen sich zwei zierliche Arme von hinten um seinen Torso.

Highway to hellWo Geschichten leben. Entdecke jetzt