Oh nimm die Stunde wahr, eh sie entschlüpft. So selten kommt der Augenblick im Leben, der wahrhaftig wichtig ist und groß.
- Johann Christoph Friedrich von Schiller
Lieber Bahnhofjunge,
ähh...wie fang ich das jetzt an? Ich erinnere mich ja kaum noch an dich. Wir haben uns ja auch nur einmal gesehen. Am Bahnhof. Das könnte inzwischen auch schon ein halbes Jahr her sein. Aber an dem Tag hab ich vielen von dir erzählt. Du warst auf den gleichen Bahnsteig wie ich, wolltest aber den Zug, der noch da stand haben, während ich den nächsten nehmen wollte. Du bist zum Zug gesprintet und hast auf den Türknopf gedrückt. Deine Tür war die Einzige, die nicht auf ging, aber das hast du anscheinend nicht bemerkt, denn du hast immer wieder auf den Knopf von genau dieser Tür rumgedrückt. Ein paar Meter weiter war eine andere Tür sogar auf. Aber du hast immer weiter auf den Knopf von genau dieser Tür rumgedrückt. Als der Zug dann losgefahren ist, hast du dich umgedreht und mich lächelnd angesehen. Wie gesagt, ich erinnere mich kaum noch, aber ich denke (und ich muss jetzt einfach John Green zitieren) dieses Lächeln könnte Kriege beenden und Krebs heilen. (Jajajaja, lasst mich auch mal kitschig sein.) Tja, man könnte denken, dass war der Anfang von allem. Okay, irgendwie war es das auch, aber es ging noch weiter. Du hast dich nach diesem umwerfenden Lächeln ein paar Meter neben mich gestellt. Und obwohl ein paar Menschen zwischen uns standen, hast du immer mal wieder rübergeguckt. Okay, ich auch zu dir. Immer wieder kam das Kriege-beendene-Lächeln. Als ich gerade zu dir rüber gehen wollte, kam dieser blöde Zug und wir sind eingestiegen und haben uns aus den Augen verloren. Ich weiß nicht wie lange ich danach noch an dich gedacht habe. Aber ich weiß, dass ich mich die ganze Zeit geärgert habe, dass ich nicht eine Minute vorher zu dir gegangen bin. 1 Minute. 60 Sekunden. 60 000 Millisekunden. Jetzt ärger ich mich wieder.
gez. das Mädchen vom Bahnhof
