4. Kleine Welt

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Es sind zwei Wochen vergangen, seit ich Carter das letzte Mal gesehen hab und mittlerweile habe ich mich damit abgefunden, dass er sich wohl nicht mehr bei mir meldet. Das ist okay. Ich habe einen super Start ins Semester gehabt und bin immer noch gut dabei meine Mitschriften täglich durchzugehen und liege mit meiner Pflichtlektüre gut in der Zeit, außerdem hat Mrs Frighton sich zu meiner neuen Lieblings Dozentin entwickelt.
Heute Abend gehe ich zum arbeiten ins „Macadamia" ein kleines Restaurant im Zentrum von Payton. Ich habe nämlich in den letzten zwei Wochen so viel Langeweile gehabt, dass ich beschlossen habe öfter arbeiten zu gehen. So habe ich etwas zu tun und zusätzlich mehr Geld zur Verfügung. Der Job im „Macadamia" ist zwar nur ein spontaner Aushilfsjob für die nächsten paar Tage, aber das passt mir ganz gut in den Kram. Eine feste Stelle will ich nämlich gar nicht. Mir reicht die Spontanität bei meinen kleinen Jobs. Bei solchen Dingen bin ich nämlich nicht gut im festlegen, mein Studienfach war da damals schon echt die totale Ausnahme.
Nachdem ich aus der Uni gekommen bin habe ich heute also meine Notizen sortiert und meine tägliche Portion Lektüre gelesen. Ich werde in einer halben Stunde zum Restaurant fahren und dann später etwas kochen. Auch wenn ich erst mitten in der Nacht zurück komme bin ich heute richtig in Stimmung dafür. Und ich kann die Reste direkt morgen zum Frühstück essen, weil Mr Kingsman seine Elternzeit nicht nur auf diese und letzte Woche beschränken wird, sondern das ganze Semester frei nimmt. Ich muss dann zwar nächstes Semester einen Kurs mehr belegen, aber das ist nicht schlimm. Dafür habe ich ja jetzt einen weniger. Einige meiner Kommilitonen wollten unbedingt Ersatz haben, weil sie sonst ihren Abschluss nicht dieses Semester bekommen also wurde für sie eine Ausnahme gemacht und jetzt wird regelmäßig ein Professor aus Portland per Video zugeschaltet, damit sie ihren Kurs machen können. Aber wie gesagt, ich brauche das nicht. Die Ausnahme ist sowieso nur für die Abschlusssemester, weil das ganze mit der Technik und Organisation nicht so einfach ist und der andere Professor hat auch nicht wirklich Kapazitäten um die Arbeiten eines ganzen Kurses zu korrigieren, den er immer nur über den Bildschirm sieht.
Ich ziehe mir, ganz nach Anweisung, eine schwarze Hose und ein einfaches Shirt für die Arbeit an. Eine Schürze gibts dann vor Ort und meine Turnschuhe packe ich in meine Tasche, damit ich für die Arbeit bequeme Schuhe hab. Nicht das meine Stiefeletten unbequem wären, aber um mehrere Stunden durch ein Restaurant zu rennen sind sie nicht wirklich geeignet. Meine Haare sind bereits zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden und ich muss nur noch mein Handy und den Schlüssel einpacken, wenn ich in einer halben Stunde losmache.
Ich setzte mich also auf meinen Esstisch und beobachte die Welt vom Küchenfenster aus. Heute ist nicht viel los, aber das ist bei dem Wetter auch verständlich. Es regnet schon den ganzen Tag immer wieder diese nervigen diesigen Tropfen aus dicken Wolken, die die Sonne wohl erst morgen wieder rauskommen lassen. Das fehlende Licht macht den ganzen Tag grau und ungemütlich.
Mein Handy liegt neben mir auf dem Tisch und meldet sich durch ein leises pling zu Wort. Es ist eine Nachricht von Carter.
Hast du Zeit? Sollten mal reden...
Damit habe ich nicht mehr gerechnet, freue mich aber trotzdem, dass er sich meldet.
Muss heute arbeiten, aber morgen geht.
Alles klar. Soll ich zum Frühstück vorbeikommen oder hast du da Vorlesung?
Ich muss schmunzeln, weil Carter mich so gut kennt. Für den ein oder anderen klingt die Nachricht bestimmt total verwirrend, aber wenn man so wie ich gegen halb elf frühstückt, indem man eigentlich Mittagessen isst, ist sie mehr als logisch.
Hab frei, Kingsman hat schon wieder geworfen. Gibt Nudeln mit Linsenbolognese.
Okay bis morgen halb elf.
Carter und ich würden vielleicht nicht füreinander um die halbe Welt fliegen, aber wir kennen uns trotzdem ganz gut. Soweit man mich eben gut kennen kann. Ich vertraue ihm, aber auch er weiß nicht alles. Das ist für uns beide auch noch nie ein Problem gewesen. Ich hab keine Ahnung, ob es Dinge gibt, von denen Carter mir nicht erzählt, aber er weiß dass ich ihm nicht alles über mich sagen würde. Ich rede nicht gern über meine Zeit vor Payton bzw. eigentlich rede ich überhaupt nicht darüber. Carter weiß das und es ist in Ordnung. Das ich halb elf mit meinem Frühstück oder eher gesagt Mittagessen auf meinem Küchentisch sitze weiß er allerdings ganz genau und darum freue ich mich ihn endlich wieder zu sehen.
Als ich am Restaurant ankomme herrscht reger betrieb und ich werde von einem Kellner mit nach hinten genommen, damit er mir für die nächsten paar Tage alles zeigen kann. Die Schürze ist schnell umgebunden und die Schuhe gewechselt. „Okay ich muss jetzt wieder nach vorn. Zac sollte eigentlich jeden Moment hier eintrudeln. Er wird dich dann einarbeiten." „Alles klar danke." Der Typ verlässt den Aufenthaltsraum um wieder an die Arbeit zu gehen und ich warte auf Zac, der mich einarbeiten soll. Wenn ich das richtig verstanden habe sollte er eigentlich schon längst da sein, aber er hat sich wohl verspätet. Warum weiß ich nicht, aber das ist ja auch wirklich nicht meine Angelegenheit. Ich überprüfe ob mein Handy wirklich aus ist, damit es hier niemanden stört und dann prüfe ich wiederholt meinen Pferdeschwanz.
Die Tür geht auf und ein Kerl mit schwarzem Haar kommt herein. Er ist etwa so alt wie ich und sieht ein bisschen abgehetzt aus und scheint definitiv emotional nicht auf der Höhe zu sein. Er entdeckt mich und geht zu einem Spind herüber, der wohl ihm gehört. „Hey ich bin Zac. Entschuldige die Verspätung, aber ich hatte ein paar Probleme die ich noch regeln musste." Er zieht sich ein frisches Shirt aus seinem Spind an und bindet sich seine Schürze um. „Kein Ding. Ich bin Jamie." Ich versuche ihn möglichst freundlich anzulächeln, damit er nicht das Gefühl hat noch mehr stress zu bekommen, weil ich sauer auf ihn bin. Denn das bin ich wirklich nicht. „Gut Jamie dann lass uns mal anfangen. Hast du schon mal gekellnert?" „Ja ein paar mal, aber nicht über länger." Meine Jobs sind immer unterschiedlich und darum habe ich in vielen Dingen schon ein bisschen Erfahrung, die allerdings nicht sehr tiefgreifend ist. Für meine kurze Beschäftigungsdauer ist das aber häufig auch gar nicht von Nöten. „Schön dann muss ich dir ja nicht alles von Grund auf erklären. Wir müssen heute eigentlich nur ein bisschen Bestellungen aufnehmen und abräumen. Ich würde vorschlagen, dass du die Getränke übernimmst und wenn ich der Meinung bin, dass du das gut machst kannst du mir beim Essen helfen." Das klingt für mich nach einem guten Plan und vor allem nach einer leichten Aufgabe. „Alles klar. Irgendwas das ich beachten muss. Also bei euerm System der Tische oder so?" „Nicht wirklich. Ansonsten frag einfach und ich helfe dir."
Wir gehen durch den Flur in den Gastraum weiter zur Bar, wo Zac mich absetzt und mir ein paar Bestellungen gibt, die ich verteilen soll. Nichts was ich noch nie gemacht hätte und so hört er schnell auf mich zu beobachten und wendet sich seiner eigenen Arbeit zu. Nach einer Stunde merke ich bereits, wie mein Arm vom Tragen des Tabletts schwach wird, weil ich schon eine Weile nicht mehr gekellnert habe und auch nicht wirklich viel Sport treibe, aber nach einer weiteren Stunde ist der Schmerz überwunden, weil ich so in meiner Arbeit drin bin, dass es mir nicht mehr auffällt. Die Gäste im „Macadamia" sind alle freundlich und einfach zu umsorgen. Niemand beschwert sich über zu lange Wartezeiten oder schlechtes Essen und so verbringe ich den Abend mit Getränkebestellungen. Hier und da lässt Zac mich auch ein paar Teller abräumen, wenn er selbst nicht mehr hinterher kommt, aber das wars. Also wirklich ein entspannter Abend, obwohl ich nicht eine Minute abschalten und Pause machen kann. Ich muss sagen, dass mir das gefällt. Wenn ich arbeite habe ich zu tun und bin konzentriert. Ich kann nicht nachdenken und das ist echt Balsam für die Seele. Ich bin generell ein Fan von Jobs bei denen man nicht die ganze Zeit rumsitzt, sondern immer auf den Beinen ist.
Irgendwann wird es immer leerer und um elf macht das Restaurant dicht. Zac und ich machen die letzten Tische sauber und dann bedeutet er mir das ich Schluss machen kann. Die anderen werden heute den Rest erledigen, also die Lampen abschalten, die Abrechnung machen und noch kurz durchwischen. Ich werfe mich auf einen Stuhl im Aufenthaltsraum und öffne meinen Zopf. Dann nehme ich die Schürze ab und werfe sie in den Wäschekorb im Aufenthaltsraum. Das sie täglich gewaschen werden ist Pflicht. Nach einem kurzen Blick aufs Handy, der mir verrät, dass ich nichts wichtiges verpasst habe ziehe ich mir eine Strickjacke über und mache mir einen lockeren Dutt. Zac kommt nach hinten und beginnt ebenfalls sich für den Feierabend fertig zu machen. „Du hast dich echt gut gemacht. Bis wann arbeitest du hier?" „Nur diese Woche. Ich bin nur als spontane Vertretung angedacht." „Das ist eigentlich schade, du bist gut." Er setzt sich mit seinem Handy an den kleinen Tisch und beginnt durch seine Nachrichten zu scrollen. „Danke, aber ich arbeite ganz gern nur so spontan." Wir sitzen eine Weile schweigend da, ich weil ich jetzt doch kurz Pause mache bevor ich gleich nach Hause fahre und Zac ist immer noch mit seinem Telefon beschäftigt.
Ich will mich gerade erheben und gehen, da muss ich schon wieder so völlig unerwartet Grinsen. Ich bin das immer noch nicht losgeworden. „Na da scheint ja wenigstens eine Spaß zu haben." Verwirrt sehe ich Zac an, der mein Lächeln bemerkt hat. „Hä?" „Na du siehst aus, als würdest du jetzt zu deinem Freund gehen, so wie du lächelst. Kann ja nicht jeder solche Probleme haben wie ich." Ich stehe immer noch auf dem Schlauch und dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen. „Ich habe keinen Freund. Ich grinse nur einfach so." Zac scheint überrascht zu sein. „Okay. Du sahst nur so aus, als hättest du an jemanden gedacht. Naja jedenfalls bis morgen dann." Ich schüttle belustigt den Kopf und nehme meine Tasche aus dem Schrank. „Bis morgen dann. Und Zac, tut mir leid das du Beziehungsprobleme hast." Er sieht zu mir auf und nickt dankbar. Wir verstehen uns gut und das freut mich. Mit Menschen zu arbeiten, die man nicht mag ist nämlich wirklich anstrengend.
Ich habe bereits den Türgriff in der Hand während ich weiter über den armen Zac nachdenke und hoffe das er jemanden zum reden hat. Plötzlich halte ich inne. „Sag mal Zac, dass ist jetzt bestimmt eine komische Frage, aber du hast nicht zufällig einen Mitbewohner oder?" Erst ist er verwirrt, dann versteht er meine Frage und antwortet. „Ich wohne mit einem Kumpel zusammen, warum?" Jetzt komme ich mir doch etwas blöd vor und beschließe das ganz schnell sein zu lassen. „Ach keine Ahnung. Ich hatte nur gerade so einen dummen Gedanken, aber so klein ist die Welt sicher nicht." Jetzt ist Zacs Interesse geweckt. „Wie klein ist die Welt nicht?" Ich gebe meiner Ahnung nach, drehe mich von der Tür weg und nehme meine Hand vom Griff, bevor ich wieder einige Schritte in den Raum mache. „Auf die Gefahr hin, dass ich mich jetzt total lächerlich mache, aber wenn du mal eine Ablenkung von deinen Beziehungsproblemen brauchst geh zum Bagelstand am Kunstgebäude. Dein Mitbewohner wird's dir danken." Und dann verlasse ich den Aufenthaltsraum um endlich nach Hause zu gehen.

finding love - im freien FallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt