Teil 4

202 18 4
                                    

‚(Merry Christmas!) I wrapped it up and sent it
With a note saying, "I love you, " I meant it
Now, I know what a fool I've been
But if you kissed me now
I know you'd fool me again'

(Last Christmas – Wham!)

Schmerzhaft heulte Roger auf und Ruby lächelte. Sie lächelte, wie auch er sie immer angelächelt hatte, wenn sie bereits am Boden gelegen hatte und er noch einmal heftig zugetreten hatte. Sie lächelte, wie er gelächelt hatte, als er sich genommen hatte, was sie ihm verweigern wollte.

Schließlich stand Ruby auf, stellte die Teller zur Seite und holte das Geschenk, das sie für ihn in das kirschrote Geschenkpapier eingewickelt und mit einer goldenen Schleife versehen hatte. Ein kleiner Tannenzweig und ein Ästchen mit roten Beeren der Stechpalme war aufwendig auf die Schleife geklebt worden. Es sah einfach schön aus und auch wenn Ruby wusste, dass sie, wie jedes Jahr, kein Geschenk von Roger erhalten würde, übergab sie es ihm mit einem strahlenden Lächeln auf den roten Lippen.

„Weißt du noch, unser aller erstes Weihnachten?", fragte sie ihren Ehemann, der noch immer winselnd vor sich hin heulte: „Du hast mir eine Ohrfeige verpasst und gesagt, dass ich nicht mehr verdient hätte. Das waren noch Zeiten."

Ruby starrte in die Ferne und dachte darüber nach, dass die Ohrfeige eigentlich noch eine nette Geste gewesen war, wenn man bedachte, was er danach alles mit ihr getan hatte. Und dennoch liebte sie ihn, wenn auch nicht mehr auf die romantische Art und Weise, wie sie ihn einst geliebt hatte.

Sie legte ihm das Geschenk auf den Schoß, direkt auf den blutenden Oberschenkel, was ihn erneut aufjaulen ließ. Als er sich langsam davon erholte, sah er sie ungläubig an. Ruby zog die Augenbrauen in die Höhe und deutete auf das Paket: „Willst du es nicht öffnen?"

„Wie denn?", krächzte ihr Ehemann und wies auf die bläulich wirkenden Hände, die links und rechts von ihm an den Ohrensessel gefesselt waren. Sie hatte ihn mit einer altmodischen Lichterkette gefesselt und er erkannte die Ironie in dem ganzen Schauspiel. Sie hatte Weihnachten immer geliebt und er hatte sie dafür verachtet. Jetzt verachtete sie ihn, in dem sie ihn zur Weihnachtsdekoration gemacht hatte.

„Ach ich Dummchen", grinste Ruby und setzte sich auf den Boden, zwischen die Beine ihres gefesselten Ehemanns.

Vorsichtig zog sie an der feinen goldenen Schleife, die sich nur mühevoll löste und ganz vorsichtig entfernte sie das rote Papier um die Schachtel. Er würde staunen, wenn er sah, was sie ihm schenken würde. Als nur noch der bloße Karton in seinem Schoß lag, roch Roger den süßlichen Geruch aus der Schachtel entweichen und fragte sich, welche kranke Absurdität sich darin befand.

„Bist du schon gespannt?", fragte Ruby und strahlte wie ein kleines Kind, das auf den Weihnachtsmann wartete.

Vehement schüttelte Roger den Kopf. Nach diesem Abend wollte er gar nicht wissen, zu was für kranke Spielchen seine Ehefrau im Stande war. Sie war immer das Mauerblümchen gewesen, eine Fickunterlage und der Boxsack für seine schlechte Laune. Er hatte mit ihr all die Jahre getan, was ihm gefiel, ohne auch nur einmal an sie zu denken. Warum auch, es gab so viel schönere Frauen als sie, Frauen, die in ihm wieder die Jugend weckten und ihn begehrten, wie es Ruby schon lange nicht mehr getan hatte.

Doch heute Abend, war sie vollkommen durchgedreht und all der Frust der letzten Jahre, der sich angestaut hatte, wie das Magma eines Vulkans, war nun explodiert und Roger stellte erschrocken fest, dass er Tiefen in seiner Frau geweckt hatte, die er nie für möglich gehalten hatte.

Ruby dagegen lächelte nur. Sie lächelte schon den ganzen Abend und es war kein falsches Lächeln, sondern eines, das von Herzen kam. Sie wirkte so unbeschwert, wie sie es nur vor ihrer Ehe getan hatte. Das machte Roger Angst.

„Nun mach schon das Paket auf", forderte Roger sie auf, weil er das Unvermeidbare nicht länger hinauszögern wollte.

Mit ihren rotlackierten Nägeln öffnete sie den Deckel des Pakets und Roger stöhnte auf. Er hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. Ein Büschel blonder Haare, das verkrustet vom Blut war, kam zum Vorschein und er wusste genau, was sich in dem Paket befand. Doch es war nicht der Ekel, der ihn aufstöhnen ließ, sondern die Angst. Er hatte Todesangst, da er nun wusste, zu was seine Ehefrau im Stande war.

Gepackt von Panik, entleerte sich seine Blase. Ruby schien es gar nicht zu bemerken, so versessen war sie in das Geschenk, dass sie ihm gemacht hatte. Der nackte Kampf ums Überleben begann und Roger realisierte, dass nicht er über Leben und Tod entschied, sondern eine Verrückte, die er selbst zu der Psychopatin gemacht hatte, die sie jetzt war.

In Schockstarre dachte Roger an Maddie, das Mädchen aus dem Versand. Sie war so jung und schön und hatte ihr ganzes Leben noch vor sich gehabt. Er hatte ja nur seinen Spaß mit dem blutjungen Mädchen haben wollen. Roger konnte sich nicht einmal annähernd vorstellen, was Maddie während ihrer letzten Atemzüge gefühlt haben muss. Übelkeit stieg in ihm auf und er schluckte sie tapfer hinunter. Das Mädchen war gerade einmal Anfang zwanzig gewesen und hatte das nicht verdient. Jetzt war sie Tod ... das dachte er zumindest.

Vorsichtig stellte Ruby die Schachtel mit dem Büschel Haare zur Seite. Sie hatte Roger den Schock seines Lebens verpasst. Er hatte ja keine Ahnung, dass sich darin Schlachtabfälle befanden, die bis zum Himmel stanken und den Boden es Kartons mit Blut durchtränkten. Die Haare waren tatsächlich von Rubys Nebenbuhlerin. Ruby hatte sich im Bus hinter sie gesetzt, und ihr ein ganzes Büschel, der goldblonden Haare abgeschnitten. Unauffällig, so dass keiner es sah.

Ruby feierte sich innerlich für die Show, die sie da abzog und die Furcht in Rogers Augen gaben ihr eine gewisse Genugtuung. Jetzt war er es, der Angst hatte, Angst, die sie seit 20 langen Jahren fühlte.

Roger wagte es nicht, einen Ton von sich zu geben. Er wendete sich vom Anblick der blutdurchtränkten Schachtel ab und fing an zu weinen. Bitterlich schluchzte er, da er wusste, dass dies sein letztes Weihnachtsfest gewesen war, und fing an zu betteln: „Bitte Ruby Schatz, mach mich los. Ich liebe dich doch so sehr."

„Och mein armer Roger", säuselte Ruby und strich ihm über die tränennasse Wange: „Ich liebe dich auch, mein Schatz."

„Bitte Baby, wir können doch über alles reden." Hemmungslos, wie ein kleines Kind, heulte der Mann, den Ruby einst so sehr geliebt hatte, der Mann, der in Vietnam gekämpft hatte und einst ein stattlicher Soldat gewesen war. Vielleicht liebte sie ihn ja immer noch, war nur nicht bereit, ihn mit einer anderen zu teilen.

„Das Gute ist, dass sie noch so jung war. Das Fleisch ist echt vom Knochen gefallen, als ich es 3 Stunden im Ofenrohr gebraten hatte", bluffte Ruby und studierte das Gesicht ihres Mannes, das immer mehr an Farbe verlor. Sie hatte es geschafft. Er hatte wahnsinnige Angst.

Dieser realisierte, was seine Frau da eben von sich gegeben hatte: ‚Hatte sie tatsächlich...? Hatte er eben...?'', fragte er sich. Roger blickte mit Abscheu auf den Teller, der so liebevoll angerichtet war und das helle Fleisch das darauf lag. Augenblicklich würgte er und Ruby sprang gerade noch zur Seite, bevor er sich vor ihren Füßen übergab. 

 

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.
Last ChristmasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt