Teil 6

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‚Dashing through the snow...'

(Jingle Bells)

Ruby hatte nie mehr gewollt, als respektiert zu werden, als vollwertiges Mitglied in der Gesellschaft. Doch während ihr Vater sie misshandelte und ihre Mutter sie verstoßen hatte, hatte Roger ihr genau das vorgegaukelt.

Sie waren sich in dem kleinen Diner begegnet, wo Ruby arbeitete, um die Alkoholsucht ihres Vaters zu finanzieren. Die Art, wie Roger sie angesehen hatte, war so anders gewesen. Er hatte ihr das Gefühl gegeben, etwas ganz Besonderes zu sein. Keine Sekunde hatte sie gezögert, als er ihr schon kurz darauf einen Antrag gemacht hatte.

Letztlich hatte er sie nur geheiratet, weil er eine Dumme gesucht hatte, die seine, von der Gicht und Arthritis gebeutelten Mutter versorgte und ihm, wie eine Sklavin den Haushalt machte, kochte und dafür sorgte, dass er immer ein gebügeltes Hemd im Schrank hat.

Schon wenige Wochen nach ihrer Heirat hatte er sich in ein Monster verwandelt, dass ihren Körper missbrauchte, sie quälte und ihren Geist misshandelte. Zuerst waren es nur kurze Ausraster, die ihr eine Ohrfeige eingehandelt hatte. Sei es ein Teller in der Spüle gewesen oder weil die Tischdecke fleckig war. Dann war es zu einer täglichen Prozedur geworden. Irgendwann brauchte Roger keinen Grund mehr, sie zu schlagen und an den Haaren durch das Haus zu ziehen. Es war einfach zur Gewohnheit geworden, dass er sich ihren Körper nahm und hechelnd seinen Samen in sie hineinpumpte, auch wenn sie dabei schrie und flehte, er solle aufhören.

Irgendwann hatte Ruby versucht, zu fliehen, und hätte es fast mit dem Leben bezahlt. Ein zweites Mal, war sie zur Polizei gegangen, wo sie vom Sheriff, einem Cousin von Roger nur ausgelacht wurde. Er könne nichts tun, solang er sie nicht anrührte. Die blauen Würgemale an ihrem Hals tat er als Unfall ab. Was danach folgte, endete mit einem Schädelbruch und einem dreimonatigen Aufenthalt im Krankenhaus.

Wie oft hatte sie versucht, Freunde zu finden, die wenigen Male, die sie das Haus verließ. Doch diese wendeten sich von ihr ab, als sie begriffen, was Ruby zuhause durchmachte. Keiner hatte ihr geholfen. Alle haben nur weggesehen.

Die Affären ihres untreuen Mannes waren nur eine weitere Schmach, ihr zu sagen, dass sie selbst für Sex nicht gut genug war. Doch jetzt saß Ruby da und hatte die Fäden in der Hand. Jetzt war sie es, die Macht über ihn hatte.

Vorsichtig nahm sie das Gesicht ihres Mannes in die Hand und küsste seine Lippen. Es war ein Kuss, wie einst, als er sie noch liebte, falls er das überhaupt je getan hatte. Sie dagegen hatte ihn wirklich geliebt. Selbst als er die Hand gegen sie erhoben und ihren Körper gegen den Küchentisch geschleudert hat. Selbst, als er sie an einem Bein zum Badezimmer geschleift und ihr die Haare abgeschnitten hatte, weil er ein Haar in seinem Teller gefunden hatte. Sie hatte ihn selbst noch geliebt, als er und seine Kollegen über sie hergefallen sind und sich genommen haben was ihnen, wie sie behaupteten, zustand. Sie hatten ihr einfach das letzte bisschen Würde genommen, dass sie besessen hatte.

„Wir sollten noch den Stern an die Spitze des Baumes stecken", haucht Ruby ihrem Mann ins Ohr, der einfach nur reglos da saß und flennte wie ein Baby.

Ruby stand auf, nahm den Stern in die Hand und musterte ihn. Eigentlich wollte sie es zum Ritual machen, dass Roger ihn auf die Spitze steckte, doch meistens hatte er sich zu Weihnachten gar nicht erst blicken lassen. Jetzt war er da. Jetzt hatte er die Möglichkeit, sein Versäumen nachzuholen.

Sie trat auf ihren Ehemann zu, den Stern in der Hand und sah ihn an, wie er da so saß, sich einnässte und wimmerte. Auf einmal war sie es leid. Sie war es leid, diesen jämmerlichen Lappen noch länger anzusehen. Ohne auch nur darüber nachzudenken, rammte sie Roger die Spitze des Sterns in den Schritt.

Das Schreien war markerschütternd. Blut durchtränkte Rogers Hose und Ruby lachte. Der Wahnsinn hatte sie vollkommen übermannt und die Hysterie sie zu einem willenlosen Wrack gemacht. Sie stand einfach nur da, hielt sich die Ohren zu, mit ihren blutverschmierten Händen, lachte, bis ihr die Tränen kamen.

Die Tränen des Wahnsinns mischten sich mit den Tränen des Leids, dass sie fast 20 Jahre über sich ergehen hat lassen. Sie wusste, dass man sie für diese Tat hinrichten würde. Das würde sie nicht zulassen. Sie würde heute Abend mit Würde von dieser Welt gehen und Roger mit sich nehmen.

Wie ferngesteuert, schritt sie auf die kleine Bar zu, in der Roger sein Sammelsurium an edlen Tropfen und Hochprozentigem aufbewahrte. Jede Flasche entleerte sie, goss sie über das abgewetzte Sofa, auf dem er sie vergewaltigt hatte. Sie entleerte die Flasche Gin auf dem Küchentisch und die roten Servietten sogen sich voll mit dem Alkohol. Sie hörte erst auf, als jedes Tröpfchen Alkohol in diesem Haus entleert war.

Dann stand sie vor Roger und sah ihn an, der sie anbettelte, flehte und schrie, wie sie es immer getan hatte, wenn er sie benutzte. Er hatte sie ausgelacht, sie als niederes Wesen beschimpft. Jetzt war es Ruby, die vor ihm stand und sein Leben in ihren Händen hielt.

Doch sie lachte nicht. Selbst als sie das Feuerzeug vom Tisch nahm und es auf den, in alkoholgetränkten Dielenbrettern warf, verzog sie ihre Miene nicht.

Das Feuer entzündete sofort die Vorhänge, wanderte über die Wände des Hauses bis zum Wohnzimmerschrank, dessen gläserne Türen bei der Hitze barsten. Ruby sah an sich hinunter und fand, dass es schade wäre, wenn dieses wunderschöne kirschrote Kleid in Flammen aufging. Auf einmal konnte sie den Gedanken nicht mehr ertragen, mit Roger in diesem Haus zu sein, mit ihm zu verbrennen und ihn mit in den Höllenschlund zu reißen.

Ruby blickte ein letztes Mal traurig auf den Mann, den sie einst geliebt hatte, und ließ den wimmernden Roger dann einfach zurück. Mit wackeligen Knien steuerte sie auf die Haustür zu. Es war Zeit zu gehen. Zeit, diesem letzten Weihnachten mit Roger den Rücken zu kehren. Zeit, sich selbst zu finden.

In ihrem kirschroten Kleid, nur mit den roten Pumps an den Füssen, lief sie durch das Schneegestöber, während hinter ihr das Dach ihres Albtraum-Hauses einstürzte. Es war vorbei, ein für alle Mal. 

Sie war frei!

ENDE

ENDE

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Last ChristmasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt