entscheidungspanisch

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Ich melde mich mal wieder zu Wort. Seit meinem letzten "Kapitel" ist so einiges passiert: Um Bewerbungen und Konflikte mit Mitbewohnerinnen mache ich mir mittlerweile keine Gedanken mehr. Denn inzwischen stecke ich schon mitten in der Ausbildung, vor der ich mich vor ein paar Monaten noch gedrückt habe zu bewerben. Und meine ehemalige Mitbewohnerin sowie FSJ-Arbeitsstelle habe ich seit September nicht mehr gesehen. Hallelujah? Eher weniger. 

Gerade eben nämlich sitze ich auf meinem Bett unter meiner lieblich leuchtenden Lichterkette und versuche mich davor abzuhalten meinen Kopf auf die Tastatur meines Laptops zu schlagen. Warum? Weil ich mir selbst heute ein Bündel Entscheidungen vor die Füße geknallt habe und nicht weiß, welchen der vielen Wegweiser ich denn jetzt nun als meine neue Zukunft preisen soll! 

Spulen wir mal ein wenig zurück. Um ein Gesamtbild meiner Situation zu bekommen, muss ich wohl ein bisschen weiter vorne anfangen. Zuallererst: Ich wohne sozusagen auf einem Campus meiner Ausbildungsstätte - auf offiziellen Papieren werden die Wohnmöglichkeiten hier Internat genannt - zusammen mit einer anderen jungen Frau in einem Doppelzimmer. Insgesamt wohnen in unserem Haus an die achtzehn Menschen, was ziemlich cool ist und extrem viel Spaß in Gemeinschaft macht. Aber wir alle hier hocken seit nun genau zehn Tagen in Quarantäne. Das bedeutet, dass niemand sein Zimmer ohne Mundschutz verlassen, anderen nur noch mit Abstand begegnen und demnach auch nicht mehr mit anderen zusammen Zeit verbringen darf. Ziemlicher scheiß, wenn man mich fragt. Ich hab wenigstens noch meine Mitbewohnerin, zu der ich keinen Abstand halten muss. Alle anderen sind in einem Einzelzimmer und dementsprechend alleine. Aber kommen wir zum Punkt. Da ungefähr die Hälfte der Schülerschaft dieser Ausbildungsstätte nun in Quarantäne festsitzt, kann natürlich der Unterricht nicht normal weitergehen. Deshalb wurde alles auf Online-Unterricht umgestellt. Das wiederum hat dazu geführt, dass alle anderen Schüler, die hier nicht rum hocken und sich wie in einem Gefängnis vorkommen, auch nach Hause zu ihren Familien fahren durften - was ca. 95% auch gemacht haben. Frustrierend, wenn man mich fragt. 

Heute erreichte jetzt auch uns zu Quarantierende die Nachricht, dass wir, sobald unsere Quarantäne abgesessen ist, die Wahl haben nach Hause fahren zu können - dann aber richtig. Auf gut Deutsch: Wenn wir jetzt fahren, dürfen wir vor Ende der Weihnachtsferien nicht mehr zurückkommen - ist sicherer wegen Corona und so. Alles schön und gut. Jetzt stehe ich aber vor der Qual der Wahl mich zu entscheiden, was ich denn mit meiner zukünftigen Freiheit anfangen möchte. Will ich sofort meine sieben Sachen zusammen packen und von hier abhauen? Oder möchte ich lieber die Restgemeinschaft noch so weit auskosten wie es eben geht, bevor sowieso alle in die Ferien fahren werden? 

Warum ich mich so anstelle? Begrüßt mit mir meine drei Entscheidungsfaktoren, die mir das Leben schwer machen. 

1. Da gibt es so einen Kerl, den ich mag. Ein Kerl, der aktuell auch in den Klauen der Quarantäne steckt und eben noch bis mindestens Montag hier sein wird. Ein Kerl, mit dem ich wirklich gerne Zeit verbringe und bei dem ich sowieso schon ein bisschen wehmütig werde, wenn ich daran denke, dass ich in den Ferien und im Januarpraktikum vermutlich nur spärlich Kontakt zu ihm haben werde.  Soll ich also die Zeit auskosten, die wir beide noch hier sind, und erst nach Hause fahren, wenn er auch geht?

2. Das Fahrmittel. Wie komme ich eigentlich nach Hause? Bisher hatte ich das Glück an manchen Wochenenden von einer Mitstudierenden mit dem Auto mitgenommen werden zu können, da sie zufälligerweise aus derselben Stadt kommt wie ich. Problem: Sie sitzt nicht in Quarantäne fest und ist schon letzte Woche nach Hause gefahren. Das bedeutet, dass ich mich wohl oder übel in einen Zug setzen muss, um nach Hause zu kommen. Einerseits bin ich aber ganz schön knauserig, was die Preise der DB angeht, und andererseits komme ich zu dem Zeitpunkt gerade erst aus 15 Tagen Quarantäne und habe keine Lust zwei Stunden in einem abgeschlossenen Raum mit lauter fremden Menschen zu sitzen, von denen alle (mich eingeschlossen) potentielle Überträger sein könnten. Cool. Wenn ich meine Eltern nicht darum anhauen möchte, dass sie mich einfach abholen, bleibt mir aber keine andere Wahl. 

3. Meine Mitbewohnerin. Ich mag sie wirklich sehr und bin richtig froh darum, dass wir uns bisher so gut verstehen. Da sie aber ursprünglich aus Mosambik kommt und fast ihre ganze Familie dort noch ist, hat sie gar niemanden, zu dem sie über die Ferien fahren könnte. Heißt, wenn hier alle früher oder später ausfliegen, um Weihnachten bei ihren Liebsten zu verbringen, hockt sie hier alleine in unserem Zimmer und... macht was? Kann ich es dann überhaupt verantworten, schon früher als zu Ferienbeginn abzuzischen?

Jetzt ist es aber natürlich auch so, dass ich meine Familie wirklich gern hab und sie unheimlich gerne mal wieder länger sehen würde. Was würde sich da mehr anbieten als schon ein paar Tage früher Zuhause aufzuschlagen? Ja, mist nur, dass ich entscheidungspanisch bin und nicht weiß, was zum Geier ich machen soll! 

So, das war jetzt aber wieder genug Einblick in meinen Kopf für einen Tag. Falls ihr irgendwelche guten Ratschläge oder Ideen habt, wie ich aus diesem meinen Dilemma glücklich rauskomme, bin ich sehr froh darüber, wenn ihr euch bei mir meldet. Bis dahin: bleibt gesund und macht's gut. 

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 02, 2020 ⏰

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Aus dem Leben einer IntrovertiertenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt