Betrunkene und Kinder sagen immer die Wahrheit

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Nachdem sie nun in seinem Zimmer standen, schloss Carlos die Tür mit einem Fußtritt und brachte Lando zum großen Bett, legte diesen nieder und musste sich kurz sammeln. Er hatte seinen Kollegen wirklich auf den Armen quer durch den Garten zu seinem Zimmer getragen! Es war unglaubliches Glück, dass sie niemand dabei gesehen hatte. Wie hätte er das auch erklären sollen?

„Uhm."

Besagter Kollege rollte sich gerade klein auf den Bett zusammen, was irgendwie wieder total niedlich gewesen wäre - wenn Lando nicht total durchnässt gewesen wäre. Er musste diesen unbedingt aus den Klamotten bekommen. Und bei diesem Gedanken spürte Carlos, dass er Lando mit der Gesichtsfarbe jetzt wahrscheinlich starke Konkurrenz machen würde. Es blieb ihm aber nichts anderes übrig. Lando würde sich sonst was wegholen, wenn dieser noch länger in der nassen Kleidung bleiben würde.

„Lando."

Auch wenn es verdammt wichtig war, den anderen von der Kleidung zu befreien, huschte Carlos selbst schnell ins Bad, schnappte sich Handtücher und schmiss diese auf das Bett, bevor er sich selbst in Windeseile aus seinem klammen Anzug schälte. Provisorisch trocknete er sich ab, eilte zu seiner Tasche und kramte Jogginghose und Shirt raus. Carlos konnte sich noch daran erinnern, dass Isabel ihn ausgelacht hatte, als er meinte, auch bequeme Sachen einpacken zu wollen. Jetzt war er mehr als froh, dass er nicht auf seine Freundin gehört hatte. Hose und Shirt waren schnell Angezogen, sodass er sich endlich Lando widmen konnte.

Die ganze Aktion hatte sicher keine fünf Minuten gedauert, aber Lando hatte sich wie ein kleiner Igel zusammengerollt. Carlos konnte kaum den Haarschopf des Jüngeren erkennen, als er sich zu Lando auf das Bett setzte.

„Kleiner?"

Wie durch eine dicke Schicht Watte drang der Name in sein Gehirn. Lando murrte leise. Sein Kopf hämmerte leise und am liebsten hätte er sich noch weiter vergraben, aber irgendwie fühlte sich alles so nass an. War er duschen gewesen? Mit Klamotten?

Da Lando schon keine Schuhe mehr an hatte, sollte er vielleicht mit den Socken anfangen, wenn sich sein Kleiner weiterhin so klein machte. Von Lando kam keine große Gegenwehr, als Carlos einfach nach dessen Beinen griff und diese langzog.

„Was machst du nur? Ohne Schuhe laufen." Kopfschüttelnd zog er die nassen Socken aus und schmiss diese vorerst auf den Boden. Er berührte die Haut an den Füßen nur ganz leicht, auch eher unbeabsichtigt, aber Carlos merkte sofort, wie kühl die Haut war.

„Lasch das", murrte Lando leise. Mühsam versuchte er seine Beine den Händen zu entziehen, scheiterte aber kläglich.

„Lando, lass das. Du hast eine ganz kalte Haut. Wir müssen die Klamotten loswerden." Carlos hatte nicht damit gerechnet, dass sich Lando wirklich wehren würde. Obwohl es ja schon ein kläglicher Versuch war. Nichtsdestotrotz hatten sie dafür keine Zeit.

Sein Kopf schwirrte, er surrte. Lando wusste nicht, ob er träumte oder wach war. Aber er musste träumen. Es konnte ja nicht sein, dass er Carlos' Stimme erkannt hatte. Dieser war bei seiner Freundin und würde sicher Spaß mit ihr haben. Mit ihr tanzen, sie küssen und sanft liebkosen.

„Geh weg. Du solltest nicht hier sein." Erneut versuchte er seine Beine frei zu strampeln, aber Carlos hielt diese mit Leichtigkeit fest.

Was war nur los mit seinem Kleinen? Carlos konnte sich keinen Reim daraus machen. Erst war Lando ihm die ganze Zeit aus dem Weg gegangen und jetzt, wo er diesem helfen wollte, versuchte dieser alles, um das zu unterbinden. Warum? Carlos war sich bewusst, dass er ruhig mit Lando reden musste. Er kannte den anderen zu gut, wusste, dass Lando sehr schnell zumachen konnte und bockig wurde, wenn er etwas nicht wollte.

„Wo sollte ich sonst sein? Ich will dir helfen, Lando", sprach er ganz ruhig. Er ließ die Beine los und legte die Hände erst mal an die Schultern von dem Jüngeren, drehte diesen auf den Rücken und öffnete den Reißverschluss der Jacke. Carlos schluckte leicht. Lando sah ihn an. Aber irgendwie auch nicht. Die Augen schimmerten feucht, aber man konnte auch deutlich erkennen, dass sie glasig vom Alkohol waren.

„Bei ... bei deiner Freundin ... Ihr solltet doch Spaß haben ... tanzen und euch küssen ..." Seine Augen verengten sich leicht. Lando gab sich nicht die Mühe, die Bitterkeit in seiner Stimmlage zu verheimlichen. Wieso auch? Es war sein Traum. Sein Traum-Carlos, also konnte er sagen, was und wie er es wollte. Dass sein Gehirn ihn damit aber auch quälen musste, war nicht nett. Hatte er nicht schon genug gelitten?

Okay, da stimmte etwas ganz gewaltig nicht. Carlos war regelrecht erschrocken über den wütenden Ton. So kannte er Lando nicht, so hatte er den anderen noch nie reden gehört. Wenn er raten müsste, hätte Carlos darauf getippt, dass sein Kleiner verdammt eifersüchtig auf Isa zu sein schien. Aber das war Schwachsinn. Warum sollte Lando eifersüchtig sein?

„Stört es dich, dass ich Isabel geküsst habe?"

„Ja!" Schmollend schob er seine Unterlippe vor, sah Carlos finster an, bevor er sich auf die Seite drehte und das Kissen unter seinen Kopf zog.

„Wieso?"

„Weil ich das will!" Was hatte er für einen nervigen Traum-Carlos? War der reale Carlos auch so? Nein, sicher nicht. Aber sein Unterbewusstsein schien es amüsant zu finden, ihn so zu ärgern. Das war echt unfair.

Fast hätte er vergessen, wie man atmet. Carlos starrte auf den Jüngeren, konnte nicht glauben, was er gehört hatte. Aber sagte man nicht, dass Kinder und Betrunkene immer die Wahrheit sagen? Sollte er also weiter fragen?

„Was willst du, Lando?" Irgendwie musste er den anderen endlich mal aus den Sachen bekommen. Nicht auf die Gegenwehr achtend, zog er an der Jacke, bis er Lando diese ausgezogen hatte. Schwächlich versuchte Lando ihn zu hauen, schaute noch immer finster und schmollend. Es war ein Leichtes für Carlos, die Hände abzufangen und an seine Brust zu drücken. Sein Blick bohrte sich geradezu in die glasigen Augen des Jüngeren.

„Ich will, dass du mich küsst! Ich will, dass du mir durch die Haare streichst und mit mir tanzt! Ich will das .... aber sie bekommt das ... Das ist nicht fair ... Das ist so scheiße von dir ... Du blöder Arsch ..." Lando wusste gar nicht, woher die plötzliche Wut kam. Aber sie brach aus ihm heraus und er fühlte sich wohl, auch wenn die Tränen über sein Gesicht liefen. Vielleicht konnte er mit diesem Traum ja endlich abschließen und Carlos vergessen. Zwar hätte er gerne auf diesen Ausgang des Traumes verzichtet, weil es echt wehtat, aber wenn sein Unterbewusstsein meinte, es müsste sein, dann würde er es eben hinnehmen.

„Lando ..." Carlos war richtig erschrocken über den Ausbruch, fackelte aber nicht lange und zog Lando an den Händen zu sich nach oben. Behutsam legte er die Arme um das weinende Bündel und drückte diesen sanft gegen seine Brust. Zärtlich fuhr er dem Jüngeren über den Rücken, strich durch die feuchten Haare. Was hatte er nur getan? Er wollte doch nur wissen, ob Lando eifersüchtig war. Und diesem Ausbruch nach zu urteilen, war sein kleiner Brite mehr als eifersüchtig. Er sollte sich freuen, weil Lando scheinbar die gleichen Gefühle hegte, aber gerade im Moment tat ihm der andere nur leid. So verzweifelt wie sich Lando festklammerte und weinte, war dieser mit seinen Gefühlen völlig überfordert.

„Todo está bien, Lando. Relajarse", kam es beruhigend vom Spanier. Mit so einer Reaktion hätte er im Leben nicht gerechnet. Aber was bedeutete dies nun? Sagte Lando das, weil er dachte, er würde träumen? Waren die Wünsche echt? Wollte Lando von ihm geküsst werden? Aber was, wenn es wirklich nur ein Traum war und Lando sich wohlmöglich nicht erinnern würde, wenn er bei klarem Verstand war? Konnte Carlos es riskieren? Sein Herz schlug so kräftig gegen seine Rippen, dass Carlos davon ausging, dass Lando dies merken musste. Nur konnte er daran auch nichts ändern. Er war aufgeregt, nervös und selbst kaum zu beruhigen. Aber einer von ihnen musste die Ruhe bewahren. Und dass es Lando in seinem Zustand nicht sein würde, war offensichtlich.

Wieso sprach sein Traum-Carlos spanisch? Sein Unterbewusstsein musste doch wissen, dass er es so schon kaum verstand, wenn Carlos wirklich mit ihm in seiner Muttersprache redete. Dabei mochte er es total gerne, wenn der Ältere spanisch mit ihm sprach. Es hörte sich so geheimnisvoll, so leidenschaftlich an. Aber viel mehr als diese Tatsache überraschte es Lando doch sehr, dass sein Traum-Carlos einen sehr kräftigen Herzschlag hatte. Zu deutlich konnte er diesen spüren, während er in den Armen gehalten wurde. War das nicht zu extrem für einen Traum?

"Aua." Sein Kopf tat weh und das Nachdenken machte es nicht besser. Aber Lando wollte wissen, wieso Carlos so einen kräftigen Herzschlag hatte und er in der Lage war, diesen auch im Traum zu fühlen. Oder war es kein Traum? Was war wahr? Lando wimmerte leise, weil alles auf einmal über seinem Kopf zusammenbrechen wollte. Die Hochzeit. Seine Gefühle. Die Erkenntnis, dass er sich in Carlos verliebt hatte. Carlos und Isabel beim Tanzen und Küssen. Der Blumenstrauß. Die Bar. Die Kurzen. Es kam so heftig, dass sich alles drehte und er sich die Hände auf die Ohren presste - in der Hoffnung, dass es verschwinden würde. Aber es wurde nicht besser. Die Gedanken fuhren Achterbahn. Sie kreisten wie ein Kettenkarussell.

"Schhh. Lass es, Lando. Denk jetzt nicht darüber nach." Behutsam legte er den Jüngeren wieder ins Bett, nahm die Hände von dessen Ohren und legte seine eigenen an die Schläfen des Jüngeren, massierte diese ganz vorsichtig.

"Ich verspreche dir, wir reden über alles, wenn du deinen Rausch ausgeschlafen hast. Okay?" Es war zu hoffen, dass sich Lando in einigen Stunden auch noch daran erinnern würde. Nun war es verdammt noch mal endlich an der Zeit, die nassen Klamotten auszuziehen, die er schon die ganze Zeit über hatte ausziehen wollte.

"Okay", wisperte Lando leise, nicht fähig, mehr von sich zu geben. Sein Verstand war nicht klar, er konnte nicht ausmachen, ob er jetzt träumte oder Carlos wirklich bei ihm war. Er wollte nur, dass alles wieder besser wurde. Er hielt die Augen geschlossen, weil die Kopfschmerzen wirklich nicht mehr schön waren. Aber zu diesen Schmerzen gesellte sich auch ein Zittern, was durch seinen Körper ging.

"Lando, hör mir zu. Ich muss dich jetzt ausziehen. Deine Kleidung ist ganz nass und du frierst. Ich versuche mich zu beeilen. Und dann stecken wir dich in trockene Kleidung."

Carlos wusste, dass er nicht länger zögern durfte oder auf das Einverständnis von Lando warten. Er musste endlich anfangen, ansonsten würde sein Kleiner noch ernsthaft krank werden. Seine Finger zitterten, als er Lando in eine sitzende Position zog.

"Mein Kopf, Carlos."

Es klang so kläglich, dass Carlos nicht anders konnte, als einen Kuss auf die Schläfe zu setzen. "Ich weiß." Es tat ihm so leid, dass Lando so litt, aber da musste dieser erst mal wie jeder andere durch. Da es Landos erste Erfahrungen mit Alkohol waren, konnte man sicher davon ausgehen, dass es besonders schlimm für den Briten sein musste. Nur durfte er gerade keine Rücksicht nehmen, wenn er nicht wollte, dass Lando krank wurde. "Ich gebe dir gleich eine Tablette", versprach er leise, während er mühsam versuchte das Jackett auszuziehen. Es war ein schwieriges Unterfangen, den nassen Stoff von Lando zu bekommen, aber nach einigen Momenten schaffte Carlos es.

"Nasse Kleidung ist blöd." Das hatte er schon bei sich feststellen müssen. Und dabei war er dem Regen nicht lange ausgesetzt gewesen. Es half alles nichts. Nachdem das Jackett verschwunden war, ließ er Lando wieder zurück ins Bett gleiten und machte sich daran, die Knöpfe des Hemdes zu öffnen. Bei dem Anblick, der ihm von Lando geboten wurde, kamen noch nicht mal erregende Gedanken, da dieser einfach erbärmlich zitterte und ihn mit kleinen Augen anblickte.

"Wenn du mir hilfst, schaffen wir es schneller." Er versuchte sich an einen aufbauenden Lächeln und tatsächlich nickte Lando minimal. Aber Hilfe konnte er nicht wirklich erwarten, da die Hände des Jüngeren zu stark zitterten, als richtig helfen zu können. Carlos konnte sehen, dass Lando erneut den Tränen nahe war, weil er nicht helfen konnte.

"Nicht schlimm. Du kannst nichts dafür. Dir ist einfach kalt." Das Hemd war endlich offen und Carlos musste verdammt tief durchatmen, als er es von der Brust schob. Lando hob seinen Oberkörper etwas an, damit Carlos ihm das Hemd ganz ausziehen konnte. Auch wenn sein Verstand nicht ganz da war, so war es seine Verlegenheit allemal. Kaum dass sein Hemd weg war und er mit entblößtem Oberkörper vor dem anderen lag, schlang Lando die Arme schützend um diesen. Carlos erwiderte diese Geste nur mit einem sanften Lächeln, sagte aber nichts. 

Eine Hochzeit voller Geheimnissen, Gefühlen und tiefgründiger LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt