[Kapitel 1]

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... 15 Jahre Später...

Im starken Schneefall standen zwei Gestalten am Rande einer Klippe und betrachteten das schwache Flackern der Feuerstellen im Tal. Der Atem der Beiden formte sich synchron zueinander in kleine Wolken und vermischte sich mit dem seichten Nebel.
Das Pferd hatte seinen Kopf gesenkt und der Körper neben ihm verhüllte sich in einem dunklen Stoff. Beide verharrten sie still, als seien sie Geschöpfe des Eises.
Dennoch spürte sie ihre Finger kaum noch. Sie zog den dicken Mantel noch enger um ihren Körper und vergrub ihr Gesicht darin, so gut es ihr möglich war.
Der starke Wind blies ihr den Schnee in die Augen und machte es beinahe unmöglich ihren Fokus auf all den Feuerstellen im Lager zu halten, das sich am Fuße des Berges befand. Sie blinzelte die Flocken aus den Augen und sah zu ihrem Gefährten.

Buraq, ein brauner, stattlicher Hengst. Eine breite, weiße Blesse lag wie eine Maske auf seinem Gesicht und ließ seine braunen Augen hervorschimmern.
Obwohl sich jeder einzelne Muskel zeigte, trug er sie mit einer Leichtigkeit über den Boden und schenkte ihr das Gefühl, fliegen zu können. Er war ihr engster Vertrauter und ihr bester Freund. Ihr einziger Freund.
Seine braunen und warmen Augen trugen eine Wahrheit in sich, die ihr kein Mensch dieser Welt geben konnte. Absolute Loyalität und bedingungslose Liebe.

Sie waren die einzigen Überlebenden des Massakers gewesen, das sich vor fünfzehn Jahren in einem kleinen Dorf zugetragen hatte und seither waren sie unzertrennliche Seelen.

Buraq, ihr Gefährte.

Ihr Name war Kethlyn von Gangorian und ihre Lebensaufgabe war es, denjenigen, der ihr Dorf in Schutt und Asche gelegt hatte, zu finden und zu töten.
Rache bestimmte ihr Leben. Rache war das, was sie zu der Kriegerin machte, die sie jetzt war.
Die Kriegerin von Armargon.

Schweigend tätschelte sie Buraqs Schulter, nachdem sie sich aus ihrer knienden Position erhoben hatte.
Sie sahen sich einander in die Augen und es war, als würde er ihr mit einem Nicken zu verstehen geben, genau zu wissen, was jetzt zu tun war.
Gemeinsam suchten sie sich einen Weg den mit Bäumen bewachsenen Hang hinab. Der Schnee erschwerte ihr den Abstieg. Es war glatt und ihre Konzentration lag nun gänzlich darauf, keinen unachtsamen Schritt zu machen.
Auf ihrem Rücken trug sie einen Köcher mit Pfeilen und einen massiven Bogen, der durch seine Ausstattung mit stählernen Klingen und Spitzen auch für Nahkämpfe geeignet war. Der Umgang mit diesem war ihr in die Wiege gelegt worden. Schon als kleines Mädchen hatte sie sich für diese Waffe entschieden und verschiedene Techniken gelernt und präzisiert.
Eine Tatsache, weshalb sie immer wieder mit Erwyne aneinander geraten war. Denn der Anführer der königlichen Garde bestand darauf, stets das Schwert zu nutzen. Aber der Bogen war die Waffe, die sie gewählt hatte.
Ihrer Meinung nach brachte diese viel mehr Eigenschaften mit sich, als ein Schwert. Denn mit einem solchen würde sie immer gezwungen sein, in den direkten Kampf mit dem Feind zu gehen. Ein Bogen hingegen ermöglichte ihr stille Angriffe aus dem Hinterhalt; ermöglichte ihr, die Anzahl ihrer Feinde zu dezimieren, ehe sie in einen Nahkampf ging. Und diese Möglichkeit machte sie nicht nur zu einer Kriegerin, sondern auch zu einer todbringenden Jägerin.
Dadurch war sie zu einem gefährlichen Scharfschützen geworden, der es aber auch verstand, sich an seine Ziele bis auf wenige Meter heranzuschleichen.

Obwohl sie der Abstieg anstrengte, weil sie sämtliche Muskeln beanspruchte, um nicht auszurutschen, war ihre Atmung flach und gleichmäßig.
Doch dann schlitterte sie einige Meter, konnte sich aber an einem dünnen Baum festhalten und so einen Sturz verhindern.
"Nephus' Scheißhaufen!", fluchte sie leise vor sich hin und drehte ihren Blick nach hinten zu ihrem Gefährten, um ihn vor dieser Stelle zu warnen.
Buraq folgte mit Bedacht und setzte Schritt für Schritt seine schweren Hufe vorsichtig, um nicht an derselben Stelle zu rutschen.
Am Fuße des Berges hielt sie einen Moment inne, um sich zu orientieren. Der Mond schimmerte mit schwacher Kontur hinter den grauen Wolken hindurch und beleuchte die abendliche Umgebung nur sehr schwach.
Von der Klippe aus hatte sie all die kleinen Feuerstellen des Lagers gesehen, jetzt aber musste sie auf ihre Sinne vertrauen. Der Nebel schwebte über den Boden und verbarg alles unter sich.
Nur die Stimmen nicht, die er hingegen zu ihr trug. Allen voran die einer Frau, deren Proteste noch im Wald nach oben hallten.
Jene Schreie, die Keth auf dieses Lager überhaupt erst aufmerksam gemacht hatten.
Es verging einen Moment, bis sie den Rand des Waldes erreichte und die große Lichtung mit all den Feuerstellen erneut vor sich sah.
Prüfend wanderte ihr Blick über das Feld; wägte ab, wie viele Soldaten hier ihre Zelte aufgeschlagen hatten.
Um eine genauere Zahl bestimmen zu können, streifte sie um das Lager herum. Schätzte, dass es sich hierbei um etwa zwei- oder dreihundert Mann handeln musste. Verhältnismäßig also ein kleines Heer.

Armargon - Die Rache der KriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt