[Kapitel 1] -- 2

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Obwohl Keth ein wenig an der Ernsthaftigkeit dieser Armee zweifelte, wollte sie nicht zu leichtfertig glauben, sie würden die Prinzessin nicht richtig bewachen. Dennoch spekulierte sie mit dem Leichtsinn dieser Grünschnäbel.
Ein wenig bereute sie es, sich von ihrer eigenen Gruppe abgesondert zu haben, um schneller voran zu kommen. Denn ihre Kameraden könnten ihr jetzt von Nutzen sein. Zu viert wäre die Befreiung eine Leichtigkeit gewesen. Da sie sich aber dazu entschlossen hatte, die Fährte der Prinzessin nach ihrem Schema zu verfolgen, war sie nun alleine.
Ganz sicher würden Denius, Rasmus und Cyril den Weg hierhin finden. Nur wann, war da die Frage, denn keiner von ihnen beherrschte das Fährtenlesen so gut wie sie und dies machte die Krieger der Garde einfach langsamer. Wobei Rasmus die Spurensuche ebenfalls gut verstand, jedoch noch nicht so gut darin war, wie sie; war er doch selbst noch ein Anfänger, der erst kürzlich zu einem Mitglied der Garde geworden war.

Ihre Gedanken wurden jäh von einem jungen Soldaten unterbrochen, der plötzlich in ihrer Nähe stand, um sich zu erleichtern.
Seinem Ausdruck nach, war er sich nicht sicher, ob er wirklich einen Schatten im Gestrüpp entdeckt hatte, oder es nur die Silhouette eines Busches war, die er sah.
Sicherheitshalber setzte er an, eine Warnung auszurufen, was Keth dazu zwang ihr Versteck zu verlassen und nach vorne zu schnellen. Mit ihrem Dolch durchtrennte sie seine Kehle und verhinderte die Vereitelung ihres geplanten Hinterhalts.
Sein Gurgeln war unbedenklich und würde ihre Anwesenheit nicht verraten.
Während sie ihren Dolch an seiner Kleidung säuberte, betrachtete sie das bartlose Gesicht, das ihr mit weit aufgerissenen Augen entgegen sah. Noch keine zwanzig Sommer war er alt, wenn sie schätzen müsste.
Mitleid aber hatte sie keinen für ihn.
Die Reaktion des jungen Soldaten bestätigte ihr erneut, es hier mit Kriegern zu tun zu haben, die noch keine Erfahrungen im Kriegswesen hatten. Denn ein erfahrener, vollständig ausgebildeter Soldat des nidyanischen Heeres hätte sich nichts anmerken lassen, wäre ins Lager zurück und hätte erst dann Alarm geschlagen. Sie waren für ihre Heimtücke und Hinterlist bekannt. Nicht umsonst fürchtete man die Armee aus dem Norden. Sie hatten nicht mal Skrupel ihre eigenen Soldaten zu opfern, um den Feind hervorzulocken.
Obwohl Keth keinen Späher um das Lager herum erblickte, konnte sie nicht sicher sein, dass dort keine waren. Auch sie verstanden sich sehr gut darin, sich zu verstecken und mit ihrer Umgebung zu verschmelzen. Es war für sie also ungewiss, ob man sie bereits entdeckt hatte, oder nicht.
Aber da sich die Soldaten bisher nicht sonderbar verhielten und sich auch nicht auf einen Angriff vorbereiteten, schien ihre Anwesenheit immer noch unbekannt zu sein.
Trotzdem wollte sie sicher gehen und suchte sich eine andere Stelle, von der aus sie ihren Hinterhalt starten konnte.
Auch wenn sie alleine war, könnte sie das Heer glauben lassen, von mehreren umringt zu sein. Dafür musste sie nur flink und schnell genug sein.
Und das war sie.
Also schlich sie sich wieder zu dem vorderen Teil des Lagers zurück, wo sie den Tumult anstiften würde - weit genug von dem Zelt entfernt, in dem sie die Prinzessin ausfindig gemacht hatte. Dass alle Soldaten ihre Position verlassen würden, bezweifelte sie, aber es würden nicht mehr so viele dort sein, wie jetzt. Zumindest spekulierte sie darauf, ein heilloses Durcheinander anzustiften, damit sie unbemerkt durch die Hektik zum Zelt der Prinzessin gelangen konnte.

Als sie eine Stelle fand, spannte sie den ersten Pfeil in ihren Bogen und vertraute ihrem Gehör, einen der feindlichen Soldaten zu treffen. Mit schnellen Bewegungen, waren weitere Pfeile eingelegt und abgeschossen.
Und sie schien zu treffen. Zumindest ließen die plötzliche Unruhe und Schmerzensschreie darauf schließen.
Wie erhofft, wurde aus der feiernden, sorglosen Stimmung eine aufgebrachte und hektische Aufruhr. Durch den Lärm würde man ihre schnellen Schritte durch das Unterholz nicht mehr wahrnehmen, wenn sie zu einer anderen Stelle rannte, um von dort aus weitere Pfeile zu schießen.
Ihr Plan ging auf: Im Lager ging es hitzig zu. Die Männer liefen wild und schreiend herum, um die Formation für eine Verteidigung einzunehmen - gar nicht so einfach, wenn der größte Teil des Heeres mit benebelten Sinnen umher wankte.
Jene, die noch bei Verstand waren, brüllten Befehle und Warnungen.
Keth hörte nicht auf, ihre Pfeile von verschiedenen Stellen abzufeuern, bis diese endgültig verbraucht waren.
Das würde reichen, um all die Männer für einen Moment abzulenken. Sie würden nach den Angreifern suchen und das würde dauern - denn es gab ja keine zu finden. Dennoch musste sie sich beeilen und diese Zeit dazu nutzen, die Prinzessin zu befreien.
Der Nebel, die Feuerstellen und Fackeln sowie die umher rennenden Soldaten machten es Keth nicht einfach, die Orientierung zu behalten.
Ihre ganze Konzentration lag nun darauf, sich unbemerkt zwischen den Zelten zu bewegen, bis sie schließlich nur noch wenige Schritte bis zur Prinzessin hatte. Auf dem Weg dorthin plünderte sie die Pfeilvorräte der Späher, um ihren eigenen Köcher wieder zu füllen.
Vier Wachen verharrten eisern vor dem Zelt der Königstochter, scheinbar unbeeindruckt von dem, was im Lager gerade los war. Ganz offensichtlich hatten sie nur diese eine Aufgabe. Durch die immer noch anhaltende Unruhe waren sie dennoch entsprechend wachsam und schienen nur darauf zu warten, angegriffen zu werden.
Keth musste schnell handeln. Die Nidyaner waren durchaus schlau genug, um zu begreifen, dass sie nur abgelenkt und weggelockt werden sollten. Entsprechend würde sich das Heer gleich in diesen hinteren Teil des Lagers bewegen. Bis dahin musste sie die Wachen niedergestreckt und die Prinzessin befreit haben. Jeder Wimpernschlag zählte.
Deshalb überlegte sie nicht lange, griff nach ihren Wurfmessern, die sie an ihrem linken Oberschenkel befestigt hatte und warf zwei davon auf die Wachen.
Den Vorderen traf sie zu ihrer Freude direkt ins Auge, den zweiten in den Hals.
In dem Moment, den beide Männer leblos zu Boden sanken, verließ Keth ihre Deckung und eilte auf die anderen beiden Wachen zu.
Einer begutachtete seinen toten Kameraden, um herauszufinden, wo der Angriff herkam, der andere ließ seinen Blick über das Lager wandern.
Ehe sie sich versahen, schwang Keth ihren Bogen und durchtrennte deren Kehlen mit den Klingen. Zeit, sicher zugehen, ob sie wirklich tot waren, hatte sie nicht und schlüpfte eilig in das Zelt hinein, aus dem sie die Schreie der Prinzessin gehört hatte.

Armargon - Die Rache der KriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt