[Kapitel 1] -- 5

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Die Sonne schielte schüchtern über den Horizont und verkündete einen nebelfreien Tag. Noch schafften ihre Strahlen es nicht, die Welt in ihren Farben zu präsentieren und umschmiegte das Leben mit einem tristen Grau.
"Mir ist kalt!", bibberte Varia klagend und schlang ihre Arme fest um ihren Körper. Selbst der Mantel, den sie von der Kriegerin bekommen hatte, wärmte sie nicht mehr.

Keth, die gerade alles wieder am Sattel befestigt hatte, seufzte und band eine Decke wieder los, die sie Varia über die Schultern hängte.
"Das liegt daran, weil Ihr die Nacht in Eurer Kleidung verbracht habt", kommentierte sie und stieg dann in den Sattel.
Varia zog sich die Decke enger um sich und sah sie entschuldigend an.
"Und was ist mit dir?", fragte sie reuevoll, griff nach Keths Hand, die ihr entgegen gehalten wurde und ließ sich auf Buraqs Rücken ziehen. Immerhin trug sie deren Mantel und nahm ihr damit den wärmenden Schutz, den die Kriegerin selbst benötigte.
"Werd's überleben", sprach Keth, gab Buraq einen kleinen Stoß in die Seite und der Hengst startete willig seinen Gang.
Varia gab sich mit der Antwort nicht zufrieden und das Mitleid nagte an ihr. Sie breitete ihre Arme aus und legte sie, samt Decke, um Keths Körper und drückte sich fester an sie.
Knurrend protestierte diese und wollte sich aus der Umklammerung befreien.
"Wenn du schon deinen Mantel für meine Torheit opferst, sollst du wenigstens auch etwas davon haben."
Keth nahm einen tiefen Atemzug und akzeptiere den Willen der Königstochter ohne Weiteres, verkündete dennoch mit einem Brummen ihr Missfallen.

"Was denkst du ...?", begann Varia nach einer Weile des Schweigens, "sind sie uns hinterher gekommen?"
Zunächst kam von Keth nur ein stummes Schulterzucken, während sie den schneebedeckten Boden ihrer Umgebung betrachtete. Aber es gab keine Spuren, die darauf hindeuteten, dass Pferde dieses Gebiet bereits durchquert hatten. Andererseits war es Neuschnee, der sich über Nacht hier niedergelassen hatte. Wenn es ein paar von Borgeus' Soldaten geschafft hatten, ihnen zu folgen, waren sie vor dem Neuschnee hier lang gekommen. Es frustrierte sie, diese Frage nicht beantworten und es selbst einschätzen zu können.
"Habe ich eigentlich richtig gesehen? War Denius dabei gewesen?", kam es erneut von der Prinzessin.
Ohne ihren Fokus von der Umgebung zu nehmen, nickte Keth.
"Ich kenne Denius", plapperte die Prinzessin weiter. "Er wird mir zumeist als Schutz zur Seite gestellt und hat mich und meinen Vater sehr oft nach Telguan begleitet. Darüber habe ich mich immer gefreut. Denius ist ein wirklich netter und lustiger Mann. Einmal durfte ich mit nach Verchell, als die Hochzeitszeremonie für Prinzessin Caleen war. Dort war Winter und wir haben dann eine Schneeballschlacht gemacht. Ich hatte soviel Spaß, wie noch nie, denn wir haben in Armargon ja nie Schnee. Und bis vor Kurzem liebte ich den Winter auch. Aber es ist wahrlich etwas anderes, ob man nur einen Moment draußen genießt, oder mehrere Wochen dazu gezwungen ist, darin zu leben. Ich frage mich ja, wie die Menschen hier oben in den Bergen es Mond für Mond aushalten?
Jedenfalls: Denius ist anders, als Cyril oder dieser andere Kerl bei euch. Wie heißt er doch gleich?" Nachdenklich blickte Varia in den Himmel. Dabei erkannte sie, dass sich die dicken, trüben Wolken verzogen hatten und das Azurblau zu sehen war.
"Es gibt mehrere Kerle bei uns", kam es stumpft von Keth.
"Groß, breit, lange braune Haare und vollen Bart. Braune Augen."
"Theodulf." Zumindest war er der Einzige, auf den diese Beschreibung passte.
"Genau! Er ist auch wirklich nett, aber sehr schweigsam und durch seinen dicken Bart wirkt er immer so grimmig. Habe ihn in diesem einen Winter auch mal einen Schneeball entgegen geworfen. Dachte er geht darauf ein, so wie Denius. Aber er blieb einfach stehen, bewegte sich nicht, und sagte auch nichts."
"Er ist kein Mann großer Worte", kommentierte Keth.
"Du offensichtlich auch nicht", grunzte Varia.
"Nein, ich bin tatsächlich kein Mann." Ihre Mundwinkel zuckten, um ein Schmunzeln zu unterdrücken, weil die Prinzessin frustriert schnaufte.
"Den Göttern sei Dank ist der Nebel verschwunden." Varia streckte ihr Gesicht der strahlenden Sonne entgegen, die nun beinahe gänzlich den Horizont überwunden hatte.
"Das tut so gut nach all den düsteren Tagen." Kurz festigte sie ihre Umarmung. "Findest du nicht? Ich meine, immerhin können wir jetzt früh genug sehen, wenn Borgeus' Soldaten kommen."
"Ja, und sie sehen uns auch früher", kommentierte Keth mürrisch und überlegte, welche Konsequenzen es für sie hätte, wenn sie die Prinzessin einfach knebeln würde.
"Kannst du nicht für wenigstens einen kleinen Moment den frischen Tag genießen?"
"Nein."
Varia stupste ihr mit dem Zeigefinger in die Seite. "Der Himmel ist blau, keine Wolken und die Sonne scheint. Da merkt man die Kälte fast nicht mehr." Den kleinen Widerstand der Kriegerin ignorierte sie.
"Vielleicht können wir ja jetzt am Tage ein kleines Feuer machen? Zum Aufwärmen und um etwas Warmes essen zu können."
"Könnt Ihr kochen?" Keth warf einen Blick über ihre Schulter zu Varia. In der Tat war dies eine gute Idee. Nicht nur, weil man das Feuer am Tage nicht sehen würde, auch, weil sich auch ihr Magen langsam meldete. Das Dörrfleisch war nichts zum Sättigen, stillte lediglich den ersten Hunger.
"Kannst du jagen?", konterte Varia mit einem Kichern.
Das entlockte Keth endlich ein Lächeln und sie nickte zustimmend, als sie wieder nach vorne sah.

Armargon - Die Rache der KriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt