[Kapitel 1] -- 6

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Varia schaute ungeduldig aus dem Höhleneingang nach draußen. Der Himmel war mittlerweile ergraut und verdunkelte sich langsam. Der Tag ging zu Ende und Keth war von der Jagd immer noch nicht zurück.
Sie wusste nicht, ob sie sich Sorgen machen sollte, weil sie vielleicht auf Borgeus' Männer gestoßen war, oder aber ob es schlicht daran lag, kein Tier zum Erlegen gefunden zu haben.
Ihr Blick ging zu Buraq und schätzte sein Gemüt ab. Der Hengst hatte seinen Kopf gesenkt und die Ohren entspannt nach hinten gelegt, weshalb sie davon ausging, dass mit Keth wohl alles gut war. Trotzdem schwand ihre Nervosität nicht.

Dann endlich erweckte ein Schatten und ein merkwürdiges Geräusch ihre Aufmerksamkeit. Varia kniff ihre Augen zusammen, um die Silhouette besser erkennen zu können. Buraqs freundliches Schnauben kündigte die Kriegerin an, aber der Schatten hatte eine merkwürdige Form, der nicht auf einen menschlichen Körper schließen ließ.
Aber dann erkannte sie ihre Retterin, die einen totes Tier hinter sich her zog. Deren Ausdruck war hart und wirkte wütend.

"Hier", zischte Keth. "Wildschwein." Mit einem kräftigen Ruck zog sie das Tier näher zu sich.
"Was ist mit dir passiert?", fragte Varia hingegen und ignorierte das Mitbringsel ihrer Gefährtin, ging einen Schritt auf sie zu und betrachtete die Kratzer, Wunden und den Schmutz auf ihren Armen und im Gesicht.
"Mir geht es gut." Keth wich der Berührung aus, ging an Varia vorbei und zog das schwere Tier in die Höhle. "Wir haben nicht mehr viel Zeit bis die Sonne untergeht", sagte sie, zog ihren Dolch aus seiner Halterung und begann das Tier aufzuschneiden, um es für ihre Mahlzeiten auseinander zu nehmen.
Varia seufzte und ließ ihre Schultern fallen.
"Es hätte nicht zwangsläufig ein Wildschwein sein müssen", murmelte sie und kniete sich zu Keth, von der sie umgehend einen funkelnden Blick erhielt.
"Guck mich nicht so an!", wehrte sich die Prinzessin sofort und hob beschwichtigend ihre Hände. "Ich habe nicht von dir verlangt ein Wildschwein zu jagen. Ich war nur überrascht, als du das vorgeschlagen hast!"
Keth gab ein leises Grummeln von sich und konzentrierte sich auf das Tier.
"Trotzdem danke", wusste sich Varia zu benehmen, lächelte und lehnte sich aufmunternd gegen Keth. "Das Tier ist riesig."
Von ihrer Heldin erhielt sie nur ein frustriertes Raunen als Antwort.
"Das versorgt uns für eine ganze Weile, huh?"
Immer noch schwieg die Kriegerin, während sie gekonnt das Fell vom Fleisch trennte und begann die besten Stücke aus dem Tier zu schneiden.

Während das Fleisch, auf einem Stock aufgespießt, über dem Feuer grillte, kümmerte sich Keth um ihren Bogen. Streng begutachtete sie ihn, ob er bei der Jagd etwas abbekommen hatte. Zwar hatte sie das Herz des Tieres anvisiert und auch getroffen, aber es starb nicht sofort. Es lief aufgeschreckt im Kreis, ehe es umfiel. Nur wenige Augenblicke, aber es reichte, um die anderen Sauen zu alarmieren.
Und jene waren nicht - so, wie Keth es gewohnt war - geflüchtet, sondern bei ihrem Mitglied geblieben. Umringten es, sahen sich um und waren wachsam.
Gegen eine ganze Rotte aufgebrachter Wildschweine hatte Keth nicht kämpfen wollen. Aber die Sonne sank und die Zeit lief ihr davon. Sie musste sich also aus ihrem Versteck wagen, um an ihre Beute zu kommen, wenn sie noch vor Sonnenuntergang essen wollten.
Es war unvermeidlich gewesen, mit ihrem Bogen in den Nahkampf zu gehen.
Zu ihrer Erleichterung fand sie aber keine Schäden.
Prüfend ging ihr Blick zu ihrem Köcher, um die Pfeile zu zählen. All zu viele hatte sie nicht mehr. Für einen Hinterhalt würden sie nicht ausreichen, weshalb sie hoffte, ohne Zwischenfälle bis zum nächsten Dorf zu kommen. Dort könnte sie ihren Vorrat wieder aufstocken oder aber Utensilien kaufen, um selbst neue Pfeile herzustellen.
"Keth", wurde sie aus ihren Gedanken gerissen, als ihr die Prinzessin den ersten Spieß entgegen hielt.
Dankend nickte sie und nahm diesen an sich.

"Wenn wir ein Dorf erreichen", begann Varia, nachdem sie einen Bissen runtergeschluckt hatte, "dann müssen wir uns eine Pfanne oder einen Topf besorgen." Erneut biss sie in das Stück Fleisch, das auf einem Stock aufgespießt und über dem Feuer gegrillt worden war.
Keth hielt inne und sah sie fragend an.
"Damit wir variieren können", erklärte Varia. "Immer nur Gegrilltes ... Mit Pfanne und Topf können wir braten und kochen. Und vielleicht finden wir ein paar Kräuter und Gewürze."
"Es sind nur ein paar Wochen, wenn überhaupt", merkte Keth skeptisch an.
"Ein paar Wochen sind eine lange Zeit", entgegnete Varia.
"Und wer trägt die ganzen Sachen?" Keth hob fragend eine Augenbraue und sah, wie Varia einen kurzen Blick nach draußen zu Buraq richtete.
"Was soll er denn noch alles tragen?" Nun ging die zweite Augenbraue nach oben. "Er muss neben uns noch das zerlegte Schwein, meine Waffen, die Bärenfelle und die ganzen Decken tragen."
"Dann werde ich laufen", schnaufte Varia und widmete sich wieder ihrem Essen. "Hält mich wahrscheinlich sowieso wärmer, als nur zu sitzen."
Keth öffnete den Mund, um zu widersprechen, schluckte dann aber ihre Gedanken runter und zuckte gleichgültig mit den Schultern. "Na gut."

Varia sah sie einen Moment musternd an. Galt das 'Na gut' jetzt ihrem Vorschlag, Pfanne und Topf zu kaufen, oder zu laufen? Sie überlegte die Frage laut zu stellen, entschied sich dann aber dazu, zu schweigen.
Keth war - das hatte sie in der Zeit, in der sie jetzt mit ihr unterwegs war, gemerkt - ohnehin keine große Rednerin und ging sparsam mit Worten um.
Es war schwer für Varia ihre Gefährtin einschätzen zu können. Keths Gesicht war meist emotionslos, nur einmal hatte sie ein Lächeln von ihr gesehen, und das auch nur sehr kurz. Schade, so fand Varia, denn sie hatte ein wirklich schönes Lächeln, das sie durchaus öfters zeigen sollte. Denn wenn Keth lächelte, bildeten sich bezaubernde Grübchen an ihren Mundwinkeln, die von tiefen Lachfalten umrahmt waren.
Und überhaupt, sie ließ ihren Blick über ihre Retterin wandern, die nun damit begann, das Feuer zu löschen. Keth war eine äußerst schöne Frau, der man kaum zutrauen konnte, eine Kriegerin zu sein. Dass sie so stark war und mit Waffen umgehen konnte. Dass ihre Muskeln hart waren, und doch waren sie nicht so sichtbar wie Varia es von Männern kannte. Ihr Körper war stets der einer Frau geblieben.

Als sich die Kälte über sie legte und sie zu Zittern begann, wurde sie aus ihrer Bewunderung gerissen. Mit ihrem Blick wanderte sie durch die dunkle Höhle auf der Suche nach der Kriegerin, die aus ihrem Sichtfeld verschwunden war.
Die Dämmerung ließ nur noch wenig Licht in die Höhle und legte alles in einen grau-blauen Ton.
Als Keth zurückkehrte, zog sie sich aus und legte sich unter die Decke.
Mit einen tiefen Atemzug drehte sich Varia dem Schlafplatz zu, den sie zunächst einen Moment betrachtete.
"Ist es wirklich besser ...", begann sie, "wenn ich ... uhm ... nackt schlafe?"
Keth drehte ihren Kopf zu ihr und ihre Augenbrauen schossen nach oben. "Nackt?"
"Nun ja, ohne meine Kleidung. Das nenn' ich nackt, ja."
"Tragt Ihr nichts drunter?" Keth streckte ihren Arm aus und zupfte an Varias Kleid.
Der zerknirschte Gesichtsausdruck war Antwort genug und Keth drehte ihr demonstrativ den Rücken zu, um Varia zu signalisieren, sich ohne Scham entkleiden zu können.
"Nicht ... genug", antwortete sie schüchtern und streifte nur sehr zögerlich ihr Kleid vom Körper. Unter diesem trug sie lediglich eine lange, aus Leinen, zum Kleid gehörende Hose, die ihre intimste Stelle schützen sollte.
Mit einem Seufzen setzte sich Keth wieder auf, um sich ihr Leinenhemd auszuziehen und es der Prinzessin zu überlassen.
"Und du?", fragte diese irritiert und spürte die Röte in ihrem Gesicht ob des Wissens, dass die Kriegerin nun nichts mehr an ihrem Oberkörper trug. Trotzdem griff sie nach dem Hemd, um es sich schnell überzustülpen, nachdem sie ihr Kleid gänzlich ausgezogen hatte.
Und ebenso schnell eilte sie unter das Fell und wickelte sich in dieses.
Die wenigen Sekunden ohne ihre Kleidung hatten gereicht, um ihren Körper zum Frösteln zu bringen, und das Bärenfell war nicht wirklich hilfreich dabei, ihr schnell die nötige Wärme zu geben.
"Hast recht", murmelte sie dann, "ich werde morgen früh sicher nicht frieren." Sie hielt einen Moment inne und richtete ihren Blick auf Keth, die mit dem Rücken zu ihr lag. "Weil ich über Nacht erfroren sein werde und morgen früh nicht mehr lebe."
Nur langsam drehte sich die Kriegerin etwas um. Nicht wegen des Kommentars, sondern weil sie das Zittern in Varias Stimme gehört hatte.
"Na gut", seufzte sie, drehte sich nun gänzlich auf den Rücken, breitete ihren Arm einladend aus und hob die Decke ein wenig an.
Varia zögerte und musste tief schlucken. Zwar erlaubte das schwache, dämmernde Licht kaum etwas von der Haut der Kriegerin zu sehen, aber sie fühlte sie.
"Mir ... wird nichts passieren, oder?", fragte die Königstochter verunsichert, während ihre Hand vorsichtig über den nackten Oberkörper der Kriegerin glitt.
"Mir wächst schon nix", gab Keth zynisch von sich.
"Oh", stieß die Prinzessin aus und erneute Röte schoss durch ihr Gesicht, "so ... war das nicht gemeint", fügte sie murmelnd hinzu. "Ich meinte, weil wir ...", sie stoppte ihre Erklärung, als sie die hochgezogene Augenbraue und den abwartenden Blick förmlich spürte. Also schüttelte sie ihre Benommenheit zur Seite, stieß ihren angehaltenen Atem aus und rückte näher an Keth heran.
"Bei allen Göttern!", hauchte sie erschrocken. "Wieso bist du so warm?"
Keth zuckte mit den Schultern und versuchte die Reaktion ihres Körpers auf diese Nähe zu unterdrücken. Ihr war durchaus bewusst, dass sie gerade eine sehr innige Pose eingenommen hatten. Eine innige Pose mit der Tochter ihres Königs. Alleine dafür würde sie in die Unterwelt kommen, dem war sie sich sicher.
Aber es war auch ihre Aufgabe die Prinzessin wohlbehalten und gesund zurück zu bringen, also ... "Muskeln", beantwortete sie schließlich Varias Frage.
"Muskeln?" Diese hob ihren Kopf und sah Keth in die Augen.
"Die Muskeln halten mich warm", erklärte sie. "Je mehr Muskeln man hat, umso weniger friert man."
"Huh", kam es von Varia, die ihren Kopf wieder auf Keths Schulter legte, sich enger an sie heranschmiegte und ihren Arm um deren Bauch legte.
Keth hielt den Atem an, als die Hand der Prinzessin dabei über ihren Bauch glitt und entschied, deswegen in Schwierigkeiten zu geraten.
Auf Varias Gesicht hingegen legte sich ein glückliches Lächeln, als sich Keths Körperwärme auf sie übertrug und driftete langsam in das Land der Träume ab.

Armargon - Die Rache der KriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt