Zwei Jahre später
Die junge Frau schrie qualvoll, als Azir die Peitsche niedersausen liess - auf ihren blutübersäten Rücken. Striemen zeichneten sich auf der Haut ab. Einige frisch und einige schon alt und vernarbt. Ihre Hände und Füsse lagen in schweren Ketten. Sie war barfuss und ihre Fusssohlen waren... Quynh wandte den Blick ab. Sie stand still und leise, wie ein Schatten, neben dem Thron von ihrem Schattenmeister Azir.
Nach einem Jahr voller Folter und Qualen wegen des Verrats ihres Bruders, der spurlos verschwunden war, hat Azir sie zur Faust des Schattens erkoren. Sie tat alles was er verlangte. Alles. Das harte Leben, das sie vor den zwei Jahren hatte, war nichts im Vergleich zu dem, was sie nun durchmachen musste. Doch sie hatte gelernt, ihre persönlichen Emotionen wegzustecken. Gefühle zeigen Schwäche. Das hat Azir Quynh immer wieder weis gemacht, wenn er auf sie eingeschlagen hatte. Und irgendwann hat sie es akzeptiert. Das Schicksal, das sie wohl oder übel annehmen musste.
Keine Ahnung was die junge Frau angestellt hatte, dass der Meister so wütend geworden war. Sie war bestimmt höchstens zwanzig und verdiente einen schnellen Tod. Also beschloss Quynh kurzerhand, ihr diesen Frieden zu geben. Sie blickte das Opfer wieder an. Ihren geschundenen Rücken. Und beschwor ihre Magie.
Quynh verstrickte die unsichtbaren Stränge und zog leicht daran, ohne nur einen Muskel zu bewegen. Dann warf sie ein erfundenes Szenario in ihren Kopf hinein. Sie soll denken, dass Azir sie nicht auspeitscht, sondern ein Schwert hält und es in ihr Herz stösst. Schnell und präzise. Der Schock, der der jungen Frau durchfuhr, lässt ihr Herz stillstehen und sie fällt wie ein Sack um.
Quynh zog ihre Magie zurück und zeigte keinerlei Regung. Azir zuckte nur mit den Schultern und lässt seine Peitsche sinken. „Beseitige es", sagte er nur und ging zu seinem Thron, der aus Obsidian gebaut war, um sich darauf niederzulassen. Er ahnte nicht, dass sie für ihren Tod gesorgt hatte. Das hatte er noch nie geahnt, dass sie anstatt blaues Feuer, Illusionen erzeugen konnte. Illusionen, die für das Auge des Betrachters beinahe real waren. So real, dass sie sogar Emotionen manipulieren konnte - körperliche Schmerzen erzeugen konnte, bis der Betroffene davon erlitt.
Das blaue Feuer, dem sie Azir immer vorführte, diente zum Schutz ihrer selbst. Als sie mit sechs Jahren erkannte, dass sie gar kein Feuer, sondern eine Illusion des Feuers erzeugt hatte, beschloss sie, das Geheim zu halten. Also trainierte sie in ihrem Gemach für sich selbst. Wann immer es möglich war. Sie wurde besser und perfektionierte ihr Blaufeuer. Die Hitze, die alle zu verspüren glaubten, wenn sie eine Flamme beschwor oder den Gestank von verbranntem Fleisch, wenn sie vorgab jemanden zu verbrennen.
Es war ein Wunder, dass ihr Schattenmeister nach all den Jahren keinen Verdacht geschöpft hatte. Ihre Magie war anders. Dunkel und nicht von dieser Welt. Das wusste sie. Gefährlich und zerstörerisch, wenn sie die Kontrolle verlor. Aber das würde nie passieren.
Quynh streifte die Kapuze runter und strich sich durch die offenen, onyxschwarzen Haare. Dann beschwor sie ihr berühmtes Feuer. Mit blosser Gedankenkontrolle. Ihre Hände blieben wo sie waren, nur ein kleiner Muskel bewegte sich an Quynhs Schläfe. Farben wie saphirblau, himmelblau und meeresgrün spielten im Feuer. Sie beschwor die Hitze und liess Azir glauben, dass es immer heisser wurde. Jetzt wird die Flamme kleiner und eine verkohlte Leiche erschien. Sie spielte mit den Schattierungen und den Winkel. Dann kam der Gestank.
Wie auf Kommando rümpfte Azir die Nase und wedelte mit der behandschuhten Hand. Er liess ein Bein über eine verzierte Armlehne baumeln und lümmelte lässig auf dem Thron. Quynh drehte sich um und verbeugte sich leicht vor ihm. „Soll ich die Leiche den Hunden geben, Meister?" Die Boshaftigkeit, die sie in ihre Stimme legte, liess Azir lächeln. „Nein." Er trommelte nun mit den Fingern auf der freien Armlehne. „Komm her", sagte er nur und sah sie unverblümt an. Quynh gehorchte und schritt die steinerne Treppe hinauf. Sie blieb vor ihm stehen und wartete. Ihr komplett schwarzer Anzug liess sie düster und mysteriös erscheinen. Etwas, was sie als Trägerin der Faust des Schattens mag. Ihr Schwert steckte in eine kunstvoll verzierte Scheide, die von talentierten Schmiedemeistern geschmiedet wurde. Der Griff blitzte hervor, der aus Drachenglas gemacht worden war. Diamanten und Smaragde schmückten das Glas. Das Schwert taufte man Lethiferous. In anderen Worten wie Todbringer, oder Zerstörungsbringer. Welch eine Ironie. Sie bekam es als Geschenk für ihre Krönung.
Er hörte auf mit dem Trommeln der Finger und setzte sich aufrecht hin. Nun klopfte er auf seinen Schoss. „Ich sagte: komm her." Sie gehorchte. Wie immer. Langsam liess sie sich auf seinen Schoss nieder und er seufzte auf. Azir umfasste ihre Hüfte und flüsterte ihr ins Ohr: „Du hast in letzter Zeit gute Arbeit geleistet, Zonara." Beim Klang ihres Nachnamens sträubten sich ihre Nackenhaare. „Du wirst... anderweitig belohnt." Sein Flüstern ging langsam in einem Schnurren über und er hauchte einen Kuss auf ihren freigelegten Nacken. Quynh liess sich langsam auf seine starke Brust zurücksinken und streichelte seine Wange. Dann neigte sie ihren Kopf zur Seite, sodass sich ihre Lippen beinahe berührten. „Diesmal will ich übernehmen", schnurrte sie und lächelte katzenhaft. Azir antwortete, indem er ihre Hüfte grober packte und mit der linken Hand ihren kurvigen, durchtrainierten Körper hinaufstrich und ihre Brust umfasste.
Dieses Spiel hat sie schon zu oft mit ihm gespielt. Er belohnte sie durch guten Sex. Sehr guten Sex sogar, da kann sie sich wenig beklagen. Wenn Azir kein Monstrum wäre, hätte sie das sogar gern gemacht. Aber war sie nicht auch ein Monstrum, wenn sie das alles zuliess? Diese Frage stellte sie sich immer wieder. Ihre einzige Hoffnung war ihr Bruder, der sie irgendwann aus diesem Schlamassel rausholen wird.
Hoffentlich.
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Die Nacht so dunkel
FantasyQuynh wurde wegen Xander, ihren Bruder, dessen Verrat den Schattenmeister verärgert hat, in Rechenschaft gezogen. Nun plant sie ihre Flucht und ihre einzige Hoffnung bleibt der Zugang zu den Schatteninseln. Doch als sie Ace, den berüchtigten Blutbän...