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Mit einem hämmernden Kopf wachte Quynh auf. Ihr ledernes Band, welches den inzwischen aufgelösten Zopf halten sollte, lag vor ihr auf dem Sand. Sie versuchte sich aufrecht hinzusetzen - so gut es ging mit den Fesseln. Die Morgensonne schien durch die Blätter und wärmte ihren steifen Körper auf. Noch war die Sonne angenehm, doch sobald es höher wandern wird, wird die Hitze unerträglich sein.

Quynh seufzte und bettete ihren Hinterkopf auf den Baumstamm und beobachtete aus halb geschlossenen Lidern Ace Valavanis. Seine Lippen waren halb geöffnet und die dichten, schwarzen Wimpern berührten seine Wangenknochen und die pechschwarzen Haare waren voller Sandkörner. Ein Arm benutzte er als Kissen, während das andere auf seinem muskulösen Bauch ruhte und sich immer leicht auf und ab bewegte - im Takt seiner Atemzüge. 

Sie hatte Ace Valavanis schon erkannt, wo er noch in der Baumkrone hockte und Quynh beobachtet hatte. Seine verschiedenfarbige Augen würde jeder überall erkennen. Den Kosennamen Blutbändiger flüsterten ängstliche Dorfbewohner ihm nach und den hatte er nicht umsonst. Die einzigartige Kunst, Blut zu kontrollieren, war erschreckend und doch machte es Quynh neugierig. Es war ein glücklicher Zufall, dass sie ihn genau hier traf. Ihre Magie schien sich zu gleichen: dunkel und mächtig zugleich. So kann sie mehr über sich selbst herausfinden - über ihre Illusionen.

„Buh!" Quynh kreischte auf, als plötzlich ein Gesicht sich in ihr Sichtfeld schob. „Was zum Teufel?", keuchte sie und funkelte den Weisshaarigen wütend an. Dieser lachte nur und tänzelte um den Baumstamm herum. „Den Teufel gibt es gar nicht mehr... obwohl...", er schaute nachdenklich Ace an, schüttelte aber dann den Kopf. „Ich bin Mika." Er streckte Quynh seine Hand entgegen. Als er ihren verwirrten Blick bemerkte, zog er seine Hand wieder zurück. „Ich Dummerchen, du bist ja gefesselt!", er schlug sich mit der Handfläche auf die Stirn und plapperte weiter: „Wir wären an dem Punkt angelangt, an der du mir deinen Namen verrätst, Lady."

Quynh starrte ihn mit offenem Mund an. „Ich belasse es lieber bei Lady", erwiderte sie dann und lächelte Mika an. „Nur keine Angst. Wir beissen nicht", sagte er und lächelte zurück, das allerdings seine Augen nicht erreichte.

Das aufgesetzte Lächeln erinnerte sie so sehr an Azir, dass es ihr kalt den Rücken herunterlief. Es wurde für einen Moment ruhig, als wartete er nur darauf, dass sie endlich ihren Namen verriet.

 Mika beugte sich dann vor und kam mit seinem Gesicht immer näher. Er warf einen bedrohlichen Schatten auf sie und plötzlich wurde es ihr eisig kalt an den Beinen. Quynhs Blick wanderte nach unten und sie erblickte tatsächlich kleine Eiszapfen, die neben ihren Beinen durch den Sand hinausragten. „Ich bin verrückt, aber nicht einfältig. Ich war noch nett zu dir, aber langsam nervst du mich. Sag mir deinen Namen." 

Quynh öffnete den Mund und kleine Dampfwölkchen kamen heraus. „Ich rede nur mit Prinz Eiryls." Mika lächelte gewissenhaft und kam mit seinem Gesicht noch näher. „Also wusstest du schon wer wir sind, noch bevor wir dich gefangen genommen haben. Es ist kein Zufall, dass du hier bist", stellte er fest. Verdammt. Ein dummer Fehler, den sie gemacht hatte. Sie musste vorsichtiger mit ihrem Mundwerk sein. 

Seine blassen Augen hielten ihren Blick gefangen. Sie konnte einfach nicht wegsehen. Trotzig hob Quynh ihren Kinn an und spuckte: „Und wenn schon? Ich bin dir weit aus mehr überlegen, als du es dir denkst. Deine kleinen Eiszäpfchen können mir gar nichts."

Wie zur Antwort kroch die Eiseskälte weiter bis zu ihren Hüften hinauf und ein dünner Schicht von Eis bildete sich auf ihren Beinen. Sie warf einen kurzen Blick auf der Stelle, wo Ace gelegen ist, doch dieser war leer. Schnell wandte Quynh ihren Blick ab und konzentrierte sich wieder auf Mika. 

Sie hatte keine Angst - schon gar nicht vor so einem Trottel. Tief im Inneren hatte er Angst, das spürte sie genau und diese Angst musste sie sich zunutze machen. Er war kein Kämpfer, denn sonst hätte er schon längst eine Waffe verwendet, anstatt seine Magie zu demonstrieren und zu offenbaren, welche Art von Fae er war.

Quynh wartete. Sie wartete bis er nah genug an ihrem Gesicht war und dann schmiss sie eine handvoll Sand in sein Gesicht. Er keuchte erschrocken und rieb sich an die Augen. Die Kälte verflog und Wärme kehrte zurück an ihren Beinen. Schnell sprang sie auf und rann auf ihn zu. 

Grobe Hände packten an ihren Unterarmen und hielten sie zurück. Ein harter Oberkörper drückte sich an sie und nahm ihr jegliche Bewegungsfreiheiten. „Shsh", raunte ihr eine tiefe Stimme ins Ohr, „nicht so schnell." Es war Ace. Er hatte sie und Mika die ganze Zeit über beobachtet und auf den richtigen Moment gewartet.

Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag und die Raffiniertheit brachte ihr Blut zum Kochen. Wortlos schleifte er sie durch die Bäume und liess Mika dort stehen, der immer noch versuchte Sandkörner aus seinen Augen zu pulen. 

Zelte kamen in Sicht und viele Pferde - Vollblüter - standen reihenweise angebunden an den Bäumen. Soldaten über Soldaten kämpften, assen und lachten miteinander. Ace, Mika und Prinz Eiryls schienen die einzigen Fae weit und breit zu sein - und Quynh. Niemand schien sie zu beachten und Ace führte sie seelenruhig durch das Treiben hindurch, bis sie vor einem Zelt standen. 

Ace nickte dem Soldat zu, der vorne stand und übergab ihm Quynh wie ein Vieh. Der Soldat packte sie am Arm und schubste sie in das Zelt hinein. 

Sie straffte sich, als sie sah wer vor ihr stand. Prinz Eirlys.

· • ☾ • ·

„Sie ist verrückter als ich!", schrie Mika schon seit Ewigkeiten aufgebracht herum. Ace verdrehte die Augen und rauchte gelassen unter dem Baum, an der die Frau gefesselt war, weiter. „Sie ist verrückt und schlau. Kannst du das glauben? Verrückt und schlau." Insgeheim war Mika beeindruckt von ihrer List. Doch Ace wusste, dass er das nie zugeben würde. 

Ace schweifte mit seinen Gedanken ab. Etwas beschäftigte ihn schon seit geraumer Zeit. Er hatte sie die ganze Zeit über beobachtet, während sie Mika mit Absicht provoziert hatte. 

Ihre Hände. Ihre Hände waren verbunden und darauf hatte er besonders geachtet. Und als sie plötzlich Sand in Mikas Gesicht warf, waren ihre verbundenen Hände für eine kurze Zeit verschwunden - als wären sie unsichtbar geworden und boom - da waren sie frei.

Wie hatte sie das gemacht? Oder besser gesagt, welche Magie hatte sie angewendet, um seine Augen so täuschen zu können? 

Um das aller Augen?

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 03, 2021 ⏰

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Die Nacht so dunkelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt