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Mattheo

Ich wachte auf, als ich von unten ein dumpfes Poltern hörte. Einen Blick auf mein Handydisplay verriet mir, dass es gerade Mal acht Uhr war. Langsam richtete ich mich auf und fuhr mir übers Gesicht und die Haare. Nur mit einer Jogginghose an und meinem Handy in der Hand machte ich mich auf den Weg nach unten. Darcy kann es nicht gewesen sein, denn sie würde erst in zwei Stunden zur Arbeit kommen. Auch meinen Bruder schloss ich aus, denn er ging weder in den Kindergarten, noch zu einer Tagesmutter. Darcy passte auf ihn auf, wenn meine Mutter zur Arbeit ging. Wenn sie von zu Hause aus arbeitete, übernahm sie das Aufpassen von ihrem Sohn jedoch, wobei sich auch dann Darcy mehr mit ihm beschäftigte als meine Mutter. In der Küche entdeckte ich dann, überraschenderweise, wirklich meine Mutter, welche hastig ihre Ordner und Zettel aufsammelte. Sie mussten runtergefallen sein und diesen Lärm verursacht haben. "Oh Theo tut mir leid, ich habe versucht leise zu sein.", begrüßte sie mich, als sie meine Wenigkeit im Türrahmen wahrnahm. "Bist du jetzt erst nach Hause gekommen?", ignorierte ich ihre Begrüßung. Gestern Abend hatte ich mit Timo auf ihren Anrufbeantworter gesprochen, denn natürlich war sie nicht zu erreichen. Timo hatte ihr erzählt, dass er schon ganz alleine schaukeln konnte und den Kletterturm auch ohne Hilfe bis nach oben geklettert war. Sie hatte jedoch nicht zurück gerufen und die Nachricht wahrscheinlich nicht mal abgehört.

"Ja, ich habe auf meiner Büro Couch geschlafen. Es ist sehr spät geworden und dieses Projekt ist sehr wichtig. Willst du es dir vielleicht nachher anschauen?"

"Ja gerne, passt auch ganz gut, ich habe heute nur einen Kurs gegen fünfzehn Uhr.", antwortete ich ihr. Obwohl die Beziehung zwischen meiner Mutter und mir nicht so eng war, wie die zwischen meinem Vater und mir, teilten wir die gleichen Interessen, was die Berufswahl anging. "Ich freue mich schon darauf, wenn wir endlich Partner werden. Dann bin ich endlich deinen Vater los.", lächelte sie mich entschuldigend an. Meine Eltern hatten zusammen eine PR-Agentur gegründet. Nach der Trennung wollte meine Mutter die Anteile meines Vaters abkaufen, er jedoch wollte sie an mich überschreiben, sobald ich mein Studium fertig hatte.

Damit konnte meine Mutter leben, obwohl sie ihn bei wichtigen Projekten immer noch nach seinem Einverständnis fragen musste, aus rechtlichen Gründen. "Ich bin ein Papakind, du wirst ihn niemals los." Ich bückte mich, um ihr beim Aufheben zu helfen. "Ja leider, aber vielleicht wird uns sein Verlag irgendwann einmal nützlich sein." Nach unten gebeugt verdrehte ich meine Augen. War ja klar, dass so etwas kam. "Hast du deine Mailbox abgehört?", wechselte ich das Thema. "Nein, mein Akku hat den Geist aufgegeben. War etwas wichtiges?"

"Timo hat erzählt, dass wir auf dem Spielplatz waren. Und dass er dich Nachts weinen hört.", fügte ich hinzu. Das Gesicht meiner Mutter änderte sich schlagartig von leicht lächelnd zu schockiert. "Was? Das hat er dir gesagt?"

"Er hört dich öfter nachts weinen und glaubt, dass es wegen Timothy ist."

"Oh", machte meine Mutter und ließ sich überfordert auf einen der Küchenstühle sinken. Trotz ihres Gesichtsausdrucks, den knittrigen Klamotten und der zerzausten Frisur war sie eine wunderschöne Frau. Auch wenn sie mit ihren 45 Jahren deutlich jünger war als die Mütter meiner Freunde, hatte sie sich gut gehalten. "Was soll ich denn machen?", sah sie mich an. "Das fragst du mich? Er ist dein Sohn."

"Ich wusste ja, dass es schwer für ein Kind ist, ohne Vater aufzuwachsen, aber auch noch zu hören wie die Mutter weint.", sie machte eine kurze Pause, "Glaubst du, er wird verkorkst?" Auch ich ließ mich auf einen der Barhocker fallen. "Das werden wir wohl in ein paar Jahren merken. Wenn du sichergehen willst, dass das nicht so ist, solltest du mehr für ihn da sein."

"Ich verstehe nicht-", fing sie an. "Timo wächst nicht nur ohne Vater auf, Mam, sondern auch mit einer Mutter, die selten für ihn da ist.", etwas zu vorwerfend schaute ich sie an. "Ich bin eine schlechte Mutter.", sagte sie und ließ ihren Kopf in ihre Hände sinken. Ich stand vom Barhocker auf und kniete mich neben ihren Stuhl. "Ich gebe zu, du könntest dir etwas mehr Zeit für deine Kinder nehmen, aber du bist keine schlechte Mutter. Ich bin auch nicht verkorkst.", versuchte ich sie zu trösten und legte eine Hand auf ihr Knie. Sie lachte halbherzig auf. "Du hattest deinen Vater, der immer für dich da war. Da war schon immer so ein Band zwischen euch."

"Was ist, wenn ich Timo mit zu Paps nehme, wenn ich ihn das nächste Mal besuche. Er hat bestimmt nichts dagegen.", schlug ich ihr vor. Mein Vater hätte definitiv nichts dagegen, er hatte ein großes Herz. "Nein, nein das geht nicht.", schniefte sie. "Überlege es dir einfach." Damit stand ich auf und holte mir eine Kaffeetasse. Bei der Kaffeemaschine füllte ich die Bohnen auf und drückte dann auf den Knopf, um meine Tasse zu füllen. "Ich gehe joggen, bist du noch da, wenn ich wieder komme?", fragte ich meine Mutter, die mit einem Ellenbogen aufgestützt immer noch am Esstisch saß. Ich fand das Esszimmer, welches an die offene Küche grenzte, ziemlich unnötig, denn gegessen wurde an der Kücheninsel. Früher hatte ich meine Hausaufgaben am Esszimmertisch gemacht und bei den unzähligen Familienessen aßen wir dort auch. Jetzt ist dieser Tisch so überflüssig, wie mein Umzug in die WG mit Owen und James. "Ja, ich fahre einfach mit dir zusammen ins Büro.", antwortete sie mir. Das reichte mir und ich verschwand aus der Küche. Im Rhythmus der Goa Musik, aus meiner Spotify Playlist, lief ich meine Jogging Route im Wald entlang. Trotz des teilweise ungleichmäßigen Takts war Goa für mich die beste Musik zum Laufen. Auch zum Feiern oder in meiner Freizeit quälte ich meine Freunde gerne mit meinem Musikgeschmack. Als ich wieder die Straße erreichte, entschied ich mich, diese nach Hause zu laufen und nicht, wie sonst, den Waldweg wieder zurück. Heute wurde ein heißer Tag, noch wärmer als gestern, das kann man schon an der Luftfeuchtigkeit feststellen. Noch während ich auf unserer Zufahrt hochjoggte, zog ich mir mein klitschnasses T-Shirt aus. Im Flur lief ich Darcy über den Weg, welche auch gerade gekommen zu sein schien. "Oh Gott Gütiger, du stinkst mein Lieber.", begrüßte sie mich, "Geh dich waschen."

"Guten morgen Dars. ", begrüße ich sie auch. "Ich wollte gerade Frühstück für Timothy machen, isst du auch mit?

"Du musst das nicht machen Darcy.", erinnerte ich sie. Meine Mutter war durchaus in der Lage, Frühstück zu machen. "Matteo ich mach das gerne, deine Mutter sah ziemlich fertig aus. Ich habe sie hoch geschickt, um sich fertig zu machen. Die Frau schien ganz durch den Wind."

"Trotzdem-", fing ich an. "Jetzt geh hoch, du Bengel. Ich mache Pfannkuchen.", scheuchte sie mich hoch. "Was würden wir bloß ohne dich machen!", rief ich ihr nur noch dankend zu und konnte sehen, wie sie schmunzelnd in die Küche ging. Meiner Mutter begegnete ich oben nicht, dafür meinem Bruder, welcher in meinem Bett saß. Fragend, zog ich eine Augenbraue hoch. "Gehst du heute schon wieder?", fragte er. "Ja, ich muss.", lachte ich und zog eine kurze Hose und ein T-Shirt aus meinem fast leeren Kleiderschrank. "Warum?" Bitte nicht, die Phase war doch vorbei. "Weil ich in die Uni muss. Außerdem habe ich eine Wohnung, für die ich Geld zahle.", antwortete ich ihm. "Du kannst doch wieder hier wohnen."

"Timo, ich möchte aber gerne woanders wohnen. Ich bin doch so oft hier, du darfst dich eigentlich nicht beschweren."

"Gehen wir dann am letzten Tag der Woche zum Spielplatz?" Über seine Wortwahl musste ich lachen. "Da muss ich Basketballtraining geben, weißt du doch."

"Ja, aber Darcy sagt, dass Samstag nicht geht, weil da große Jungstag ist, wo du mit deinen Freunden spielst.", erklärte er mir. "Wie wär's denn, wenn du mitkommst und wir danach auf den Spielplatz gehen?", schlug ich ihm einen Kompromiss vor. "Ja!", rief er freudig aus. "Und jetzt lass mich duschen, Darcy wartet unten mit Pfannkuchen.", gab ich ihm Bescheid, bevor ich das Zimmer wieder verließ, um mich ins Badezimmer zu begeben.

Sour and SweetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt