7.
Entschlossen diesen furchtbaren Gedanken aus ihrem Kopf zu verdrängen, richtete Keir ihre Konzentration auf den schmal Pfad, der sich an der nächsten Ecke vor ihr ausbreitete.
Es wunderte sie nicht, das auch hier uralte Malereien den dunklen Wänden mit realistischen Kunstwerken Leben einhauchten.
Zu den erbarmungslosen Tönen des Kampfes, der nicht weit von Keir auf einen Höhepunkt zu raste, erzählten ausschweifende Linien, detaillierte Konturen und dynamische Szenen die triumphale Geschichte ganz anderer Schlachten, die sich innerhalb dieser versteckten Gänge über die Jahre hinweg abgespielt hatten.
Während Keir den unebenen Weg entlang lief, sah sie zu wie Kalk und Gestein die vielen Siege und wenigen Niederlagen dieses altertümlichen Ortes auf ewig auf den kühlen Felsen dieser Höhle gefangen hielten. Ohne dabei jedoch die gleiche hypnotische Faszination auf Keir auszuüben, wie die imponierende Zeichnung des vernarbten Wolfes, das noch immer in ihrem Geist so überaus manifest war.
Meter um Meter zog sich die vielseitige Historie über den rauen Untergrund, wo sie ein paar Schritte entfernt schließlich in einer zwei Meter hohen Steinöffnung mündete, dessen Inneres mit zahlreichen versiegelten Truhen und offengelegten Schätzen angefüllt war.
Der überwältigende Anblick, der sich vor Keirs sprachloser Gestalt auftat, ließ ihre hexerische Besitzgier an der Oberfläche kratzen und sie selbst vor Ehrfurcht erstarren.
Eifrig zuckte ihr Blick durch den überfüllten Raum.
In ihrem unersättlichen Hunger nach Reichtum versuchte sie jedes Detail der außergewöhnlichen Juwelen in sich aufzusaugen und sie mit einem fixen Blick ihrem Wert nach unterzuordnen.
Schnell fiel ihre Aufmerksamkeit auf eine Hand voll kostbarer Goldmünzen, die sich in einer verborgenen Ecke unterhalb einer Ansammlung alter Pergamente häuften, eine kleine Schatulle, dessen unersetzlicher Inhalt an silbernen Harpyienfedern halb an einer Seite herausschaute und schließlich zwei massive Glyphenplatten, dessen verblasste Inschriften seltene Zauber enthielten, die die Größe ihres Unterarms hatten.
Zögernd trat Keir unter dem türlosen Steinbogen hindurch, der in die altertümliche Kammer führte und schickte mit einer einfachen Handbewegung ihren Offenbarungszauber voraus.
„Revelare in Conatio", wiederholte sie die Worte, die sie schon einmal gesprochen hatte und beschwor damit zum zweiten Mal den weißen Nebel innerhalb dieser wölfischen Höhle herauf.
Flüchtig flackerte der helle Dampf vor ihren Füßen auf, bevor er sich unversehens wieder auflöste und Keir damit signalisierte, das nun keine weiteren Fallen mehr zwischen ihr und ihrer Beute stehen würden.
Verwundert neigte Keir den Kopf zu Seite.
Aus unerfindlichen Gründen machte Keir die Tatsache, das eine solche Anzahl an Schätzen nicht durch weitere Flüche oder Banne geschützt waren, nervös und auch misstrauisch.
Vielleicht lag es daran, das sie in Anbetracht von Reichtümern unschätzbaren Wertes unter paranoiden Hexen aufgewachsen war, dass sie immer befürchtete, das ein nicht vorhandener Fluch stets ein Fluch zu wenig war, um ihr eigenes Hab und Gut zu schützen.
Aber es erschien ihr doch seltsam, das sie nach Giftpfeilen, Lurtinen und Werwolfkriegern nun endlich all diesen Kostbarkeiten ungehindert gegenüber stand.
Sie konnte sich selber nicht erklären, wieso sie trotz des tödlichen Chimärengiftes, das auch jetzt noch in ihren Adern brodelte und den zahlreichen Blessuren, die sich nach der Begegnung mit den unsterblichen Wächtern dieser Kammer auf ihrem Körper befanden, noch immer nicht der Meinung war, dass die Verteidigungsmechanismen ausreichten.
Aber als sie an die wunderbare Kette zurückdachte, die sie zuvor in den großen Händen dieses starken Kriegers gesehen hatte, die er so behutsam zwischen den Fingern gehalten hatte, kam es ihr so vor, als wäre sie an diesem Ort auf einen unbezahlbaren Schatz gestoßen.
Der zu kostbar war, als das ihr Besitzer nicht alle Vorkehrungen hätte treffen wollen, um das Stehlen so aussichtslos zu machen wie nur irgend möglich.
Aber vermutlich, dachte Keir schulterzuckend, hatte diese Kette auf andere eine viel weniger ausgeprägte Wirkung als auf sie und es war nur ihrer Habsucht zu verdanken, das sie so besessen von diesem einen Schmuckstück war.
Wahrscheinlicher war es sogar, das dieses Objekt ihrer ungefilterten Begierde in Wirklichkeit gar nicht so besonders sein würde, wie sie dachte und nur eines von vielen Kostbarkeiten unter all den Schätzen darstellte, die diese Höhle in sich barg.
Mit klopfendem Herzen betrat Keir endgültig den reich besetzten Raum und atmete tief den Duft antiker Besitztümer ein, während sie im Rausch des Adrenalins badete, das sie jedes mal überkam, wenn sie kurz davor stand sich neuen Reichtum anzueignen.
Stolz überkam sie, als sie nach den Münzen griff und ihr schweres Gewicht in den Händen hielt. Bevor sie diese mit einem zufriedenen Lächeln in einem kleinen Beutel verstaute, den sie um die Hüfte schnallte.
Ebenso andächtig griff sie nach der alten Schatulle und den unbezahlbaren Platten und machte keinen Hehl daraus, welche Schadenfreude sie bei dessen prunkvollen Anblick verspürte, als sie an die neidischen Hexen dachte, derer sie sich schon bald gegenüber sah.
Wie gebannt kniete Keir in mitten der seltenen Artefakte, die sie in diesem abgelegenen Teil des Amazonas entdeckt hatte.
Kaum in der Lage sich von ihrer pietätvollen Wirkung loszureißen, als sie schließlich am Ende der Kammer eine kleine Statue entdeckte, dessen zierliche Gestalt von einem roten Tuch umhüllt war.
Auf einem schlichten Altar stehend ruhte die marmorne Skulptur einer jungen Frau, die sich durch ihre leicht erhöhte Position über jedes einzelne andere Schmuckstück erhaben sah.
Ihr blieb das Herz stehen, als sie die elegante Haltung der gesichtslosen Dame aus der Wandmalerei erkannte, die man am Eingang der Höhle in den Stein getrieben hatte.
Fast rannte Keir auf die lebensechte Nachbildung der Gesichtslosen zu, als ihr bewusst wurde, was sie ohne Zweifel in ihren blassen Fingern verborgen halten musste.
Als ihr suchender Blick auf die erhobenen Hände der Statue fielen, die den funkelnden Anhänger ihrer vergoldeten Kette zwischen den ausgestreckten Fingern an ihre Brust hielt, begann Keirs Herz wie wild zu rasen.
Ehrfürchtig ließ Keir ihren Zeigefinger über die feinen Gravuren dieses kostbaren Schmuckstücks wandern und fühlte eine beruhigende Wärme von den zart geschliffenen Ornamenten ausgehen, die sich in einer präzisen Aufgliederung rund um einen funkelnden Stein schlossen.
Sprachlos entschied Keir, das die uralte Illustration der Wandmalerei dieses Stückes es nicht im Ansatz dem Original nach tat, dem sie sich nun nahe sah.
Unmöglich war eine solche Pracht in Worte oder gar in einer Zeichnung auszudrücken.
Vielmehr noch war Keir in eben diesem Moment so, als zöge sie eine unleugbare Verbundenheit zu diesem kleinen Schmuckstück und verlangte mit mehr als ihrer grundlegenden Habgier danach sich diese Kette zu eigen zu machen.
Etwas ursprüngliches, originäres. Dessen sie sich nicht widersetzten konnte.
So stark, das Keir war, als raste ein drückender Schmerz auf sie zu, der mächtiger und unerträglicher würde, je länger sie auf Abstand zu diesem wunderlichen Schatz stand.
Im flackernden Schein der Flammen, die ihr in diese Kammer gefolgt waren und sich nun auf die Oberfläche des prächtigen Rubins legten, konnte Keir den fanatischen Gesichtsausdruck, der sich auf dem roten Edelstein widerspiegelte kaum als ihren eigenen deuten.
So fremd sah der gebannte Blick der Frau aus, die ihr aus dem Abbild des Rubins entgegen starrte.
Sie konnte sich nicht erklären, was sie da ergriff, aber sie spürte es in den Tiefen ihrer Seele, dass es aussichtslos war, sich dagegen zu wehren.
Genau so überzeugt wie sie davon war, dass von diesem Augenblick an etwas entscheidendes in ihrem Leben seinen Anfang nahm, dessen unleugbarer Beginn sich mit der Inbesitznahme dieser Kette fand.
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HYBRIDS Soul - Bhreac&Keir
FantasyIn der Welt der Unsterblichen gibt es nur eine Spezies, die mehr verabscheut wird als die fleischfressenden Ghule, die Nachts ihr Unwesen treiben; die Hybriden. Als Hybrid geboren zu werden gilt als Todesurteil. Seit 100.000 Jahren ist es Unsterblic...