5.
Keir hätte nicht aufsehen brauchen, um sich der drei animalischen Augenpaare bewusst zu sein, die sich nun ungehindert auf ihre entlarvte Gestalt richteten, doch sie weigerte sich, unter den niederringenden Blicken ihrer Gegenüber klein bei zu geben und starrte trotzig in die blauen Augen, die ihr am nächsten waren. Entschlossen, keine Furcht zu zeigen, so real und unleugbar diese auch in ihr toben mochte.
Sie war froh, das die Wölfe, die jetzt zwar sehen, aber immer noch nicht hören konnten, nicht mitbekamen, wie laut ihr Herzschlag in ihrem innern dröhnte.
Beinahe Ohrenbetäubend pumpte ihr aufgewühltes Herz, das Adrenalin durch ihre Venen und ließ ihr selbst ihre kühne Fassade wie das Schauspiel erscheinen, das es war.
Sie wusste, das sie, sollte sie es nicht schaffen, ihren Umhang zurück in ihren Besitz zu bringen, einen epochalen Nachteil zu verzeichnen hatte.
„Ein...ein Mädchen!", erklang der verblüffte Ausruf des Wolfes, der sich zuvor als erster auf den noch immer bewusstlosen Lennox geworfen hatte und die pure Fassungslosigkeit, die in dieser kurzen Feststellung mitschwang, hätte schon gereicht, um Keir wünschen zu lassen, das er derjenige gewesen wäre, der statt seines Freundes mit einem Loch in der Brust am Boden lag.
„Tja, manchmal sind es eben die Frauen, die den Männern so richtig in den Arsch treten.", murmelte Keir patzig in Richtung des verdutzten Wolfes, obwohl sie wusste, das er sie nicht hören konnte und lenkte sie damit kurzfristig von dem Unsterblichen ab, der ihr in diesem Moment wohl das eigentliche Kopfzerbrechen bereiten sollte.
Als wäre sie nicht die einzige gewesen, die dieser Gedanke gestreift hatte, fühlte sie, wie sich eine schwielige Hand, trotz der offenen Feindseligkeit, sanft unter ihr Kinn legte und ihren Kopf entschieden zur Seite drehte, bis sie ihre Aufmerksamkeit erneut dem blonden Kämpfer entgegenbrachte, der noch immer seinen Unterarm gegen sie drückte.
Vor den Blicken der anderen Wölfe abgeschirmt, erkannte sie, das die Vibration ihres Herzschlages gegen die Haut seines Unterarms schlug und sie hoffte, das er die erhöhte Frequenz trotz seiner unsterblichen Sinne nicht bemerkte.
„Du kannst uns hören, nicht war?", wollte er mit zusammengezogenen Augenbrauen wissen.
Genau wie vorhin schien es, als wären seine Worte von einem begleitenden Knurren unterlegt.
Auch wenn er genau so überrascht wie sein Gefährte wirkte, hatte Keir doch das Gefühl, dass er sie weniger herablassend beäugte als die anderen beiden. Fast dachte Keir, so etwas wie Faszination in seinem Blick zu lesen.
Dennoch hielt ihn dies nicht davon ab, seinen Arm mit nachdrücklicher Gewalt gegen ihr Schlüsselbein zu pressen, als sie sich weigerte zu einer Erwiderung anzusetzen, wobei der stumpfe Knauf seines Schwertes nachdrücklich in ihre klaffende Wunde stieß.
Sie biss die Zähne zusammen, um vor dem brennenden Schmerz, der daraufhin durch ihren Sedierungszauber hindurch in ihre angeschlagene Schulter schoss, nicht das Gesicht zu verziehen.
„Antworte, Feuerhexe."
Da Keir sich nicht sicher war, wie viel Druck ihre Knochen noch mitmachen würden, nickte sie wiederwillig.
„Heb den Bann auf.", verlangte er darauf hin schlicht von ihr.
Sie wusste, das er es ernst meinte und doch konnte sich Keir ein verächtliches Schnauben kaum verkneifen.
Für wie töricht mochte er sie halten, das sie neben ihrem Umhang auch noch ihre letzte Schutzmaßnahme zum Einsturz brachte?
Auch wenn sie noch kein genaues Bild im Kopf hatte, auf welchem Weg genau sie die derzeitige Konstellation der Machtverhältnisse zu ihren Gunsten rumreißen würde, gab sich Keir noch lange nicht geschlagen.
In ihrem Wesen hatte sich einfach zu viel Sturheit angesammelt, als das sie so leicht das Handtuch werfen würde.
Stattdessen hob sie in einer herausfordernden Geste die Brauen und formte lautlos eine einzige Frage: „Und wenn nicht?"
Sie konnte selber nicht sagen, wieso Befehlstöne stets eine solch kindische und riskante Seite in ihr heraufbeschworen und oft könnte sie sich für diesen Charakterzug selber eine runterhauen, da sie jedoch war wie sie eben war, weigerte sie sich störrisch seiner Forderung nachzukommen.
Zur Erwiderung fletschte er bedrohlich seine Reißzähne, während das eisige Blau seiner Augen bersteingelb aufglühte und es die typische Färbung annahm, die sich zeigte, bevor sich die wütende Bestie eines Werwolfs erhob. Im Lichtschein Keirs magischer Flammen legte sich ein dunkler Schatten über die zornigen Gesichtszüge des blonden Kriegers und verstärkten die animalischen Konturen seiner wilden Erscheinung so deutlich, das Keir ein flüchtiger Einblick auf das innere Monster erhaschte, das dieser Wächter vor ihr in sich trug. Seine ohnehin schon breiten Arme schwollen an und zerrten an den strapazierten Stoffen seiner Kleider, während seine spitzen Klauen sich schwarz färbten und vor Keirs entsetzten Augen noch weiter wuchsen.
Wäre sie eine Wölfin gewesen, hätte sie als schwächere Kontrahentin jetzt das unbändige Bedürfnis verspürt, in offener Kapitulation ihre Kehle darzulegen.
Als Hexe war ihr dieser Instinkt zwar fremd, doch konnte sie nichts dagegen tun, dass ihr treuloser Verstand, der sich der potenziellen Gefahr durchaus bewusst war, eine körperliche Reaktion heraufbeschwor, die keine äquivalentere Aussage hätte implizieren können.
Für das arrogante Lächeln, das ihr verräterische Schauder auf seinem wölfischen Gesicht erscheinen ließ, hätte sie ihm am liebsten eine verpasst.
Er war sich nur allzu sehr bewusst, das es kein Unsterblicher, der noch ganz bei Verstand war, wagen würde, einem Werwolf in solch einer Situation unnötig dazu anzutreiben, seine innere Bestie, noch weiter heraufzubeschwören.
„Also dann, Hexe.", flüsterte er ihr süffisant entgegen, während sein Daumen erwartend eine leise Drohung an ihrer Wange entlang strich.
Fieberhaft grub Keirs Verstand sich einen sprunghaften Weg durch die wenigen Möglichkeiten, die ihr in diesem Moment zu einer Fluchtmöglichkeit verhelfen konnten, doch leider alle den Ausgang in der gleiche Tatsache fanden:
Es musste ihr irgendwie gelingen an den schwarzen Lederbeutel zu kommen, der in einem lockeren Knoten um ihre linke Hüftseite gebunden war.
Alles in ihrer weiteren Planung stand und fiel mit dem unscheinbaren Inhalt dieser einen Waffe.
Viel schlimmer noch, bemerkte Keir langsam, wie die betäubende Wirkung ihres anästhetischen Zaubers seine Wirkung verlor und durchlässiger dabei wurde, die Ausbreitung des Chimärengifts zu dämmen.
„Ich warte.", knurrte der blonde Wolf ungeduldig, als er bemerkte, das Keir keine Anstalten machte, den Zauber zu brechen und sie begriff, dass sie nur noch die Chance hatte, alles auf den Effekt ihrer nächsten Täuschung zu setzten.
Als wollte sie ihm begreiflich machen, das sie mit eingeschränkter Beweglichkeit nicht im Stande wäre den Bann zu brechen, wand sich Keir übertrieben in der stählernen Umklammerung ihres widerspenstigen Opponenten und zog in demonstrativer Ungeduld die Augenbrauen in die Höhe, als er sich nicht im Begriff zeigte seine Halterung zu lockern.
Die unverhohlene Skepsis, die sich daraufhin in seinen leuchtenden Augen widerspiegelte, ließ Keir für einen schwermütigen Moment daran zweifeln, das sie ihn tatsächlich dazu zu bringen konnte, sein Misstrauen ihr gegenüber bröckeln zu lassen und ihr damit mehr Spielraum für ihre hinterhältige Taktik zuzugestehen.
„Keine Tricks, Hexe.", seufzte er schließlich nach einem schier endlosen Augenblick.
Sie konnte den zögernden Widerwillen, die ihn sein nächster Schritt kostete, beinahe mit den Händen greifen, als er langsam einen Schritt zurück trat und seinen bewaffneten Unterarm nur Millimeter von ihrer Brust im Raum ruhen ließ. Jederzeit dazu bereit, sie erneut zurück an den steinernen Hintergrund zu stoßen.
Doch Keir hatte nicht vor es noch einmal dazu kommen zu lassen.
Blitzschnell hatte sie ihren Dolch gezückt und schlitzte mit einem brutalen Schlag seinen gerüsteten Arm entlang. Seine Sehnen, die sie bei ihrem Hieb sauber durchtrennte, lösten die Spannung seiner linken Hand, die eben noch sein Schwert in seinem Griff gehalten hatte und ließen ihm die Klinge aus den erschlafften Fingern gleiten. Der derbe Fluch, der dem blonden Wolf dabei über die Lippen kam, war so hasserfüllt, das er Keir in den Ohren brannte.
Scheppernd traf die silberne Schneide auf dem Höhlenboden auf, wo sie unter dem tropfenden Blut seines Besitzers zu seinen Füßen liegen blieb.
Sie gab ihm keinen Moment, sie mit der anderen Klaue zu packen, die bereits hervorschnellte bevor Keirs Dolch auch nur seinen Ellenbogen erreichte. Mit einer raschen Bewegung wich sie seinen Pranken aus und flüchtet sich behänd unter seinen massigen Armen hindurch, während sie in ihrer Flucht den Dolch rücksichtslos aus der klaffenden Wunde des Werwolfes mit sich zog. Ohne Zeit zu verlieren, griff sie sich die letzten Reste des Betäubungspulvers und stürzte so schnell sie konnte, auf ihren am Boden liegenden Umhang zu.
„Nichts da, Hexe."
Im Rausche des Adrenalins, zuckte Keir nicht einmal zusammen als sich schon im nächsten Moment, einer der anderen Wölfe zwischen sie und ihre Kutte materialisierte. Auch verlangsamte sie nicht ihr rasendes Tempo, als sie mit der rechten Hand ausholte und noch mitten in ihrem Spurt das Pulver durch die Luft auf seine siegessichere Gestalt schleuderte.
Zitternd und laut kippte der riesige Körper zu Boden, als auch schon der nächste Krieger sich ihr in den Weg stellte.
Den Dolch immer noch in festem Griff, schlug Keir einen zuckenden Bogen um den angriffslustigen Unsterblichen und rammte sich, ohne stehen zu bleiben, die scharfe Klinge tief in die weiche Haut ihrer eigenen Handinnenfläche. Beinahe schaffte sie es nach dem kleinen Lederbeutel zu schnappen, der noch immer an ihrer Hüfte hing, als eine grobe Faust nach den offen fallenden Haaren ihres Hinterkopfes schnappte und sie mit einem rücksichtslosen Ruck nach hinten riss.
Vor Schmerz schreiend, sah sie im Augenwinkel wie der blonde Krieger zu ihr aufgeschlossen hatte und sie zornig mit der Hand seines unverletzten Armes zurück in seine Gewalt zu bringen versuchte.
Bevor er sie jedoch erneut gegen die steinerne Wand der Höhlengänge zwingen konnte, zerrte Keir, trotz des furchtbaren Drucks an ihrer Kopfhaut, den dunklen Inhalt des kleinen Beutels hervor und spürte sogleich wie sich die staubige Substanz mit ihrem Blut vermischte.
Noch ehe sich ihre Hand vollends um den pulvrigen Inhalt schloss, fühlte Keir wie ihren Körper bereits das unheilvolle Beben erfasste, das die nahende Auferstehung ihres Inferi ankündigte.
Kribbelnd schlängelte sich das blutgetränkte Pulvergemisch ihren zitternden Arm entlang und färbte ihre blasse Haut unter dem erbarmungslosen Griff ihres Feindes rabenschwarz, als es gebannt darauf wartete, das Keir die mystischen Worte sprach, die seine infernalische Macht in den engen Gängen dieses wüsten Chaos freisetzen würden.
Als der Wolf seine spitzen Klauen tief in das weiche Fleisch ihres blanken Oberarms rammte, um Keirs widerspenstige Gestalt unter Kontrolle zu bekommen und an dessen Innenseite bereits das Inferipulver empor kroch, brüllte Keir die Worte, die ihre mächtigste Waffe heraufbeschwören würden.
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HYBRIDS Soul - Bhreac&Keir
FantasyIn der Welt der Unsterblichen gibt es nur eine Spezies, die mehr verabscheut wird als die fleischfressenden Ghule, die Nachts ihr Unwesen treiben; die Hybriden. Als Hybrid geboren zu werden gilt als Todesurteil. Seit 100.000 Jahren ist es Unsterblic...