Potions

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In den nächsten Monaten beobachte ich immer wieder, wie Remus jeden Vollmond verschwindet und ein paar Tage später wieder auftaucht. Als wäre das nicht genug, scheinen aber auch die anderen drei Rumtreiber an diesen Tagen völlig übermüdet zu sein.
Es macht mich wütend, dass mein Bruder offenbar so dumm ist, sich mit einem Werwolf anzulegen. Natürlich wollen die Drei Remus vermutlich nur helfen, doch ich glaube kaum, dass Remus dieses Risiko eingehen möchte.
Allein der Gedanke Sirius könnte gebissen werden... Mutter würde vermutlich vor Scham und Schreck tot umfallen.
Oft sitze ich beim Essen teilnahmslos da und beobachte Sirius und seine Freunde. Außer der Gruppe gibt es kaum etwas interessantes in meinem Leben, außer die Briefe, die Mutter mir in letzter Zeit ständig schreibt. Meine Eltern scheinen etwas zu planen, doch ich glaube nicht, dass es in meinen Augen etwas Gutes sein wird.
Als ich an diesem Abend, auf dem Weg zum Gemeinschaftsraum, aus dem Zaubertränke Klassenzimmer eine vertraute Stimme höre, gehe ich neugierig die Treppen runter und nutze die willkommene Ablenkung.
James und mein Bruder beugen sich über ein Buch, welches ich auf den ersten Blick nicht erkenne. Kein übliches Schulbuch auf jeden Fall. Der Kessel neben ihnen ist leer.
„Ist das so eine Art Date...? Wenn ja, könntet ihr das bitte wo anders machen und nicht in dem Klassenraum?", frage ich schmunzelnd, während ich auf die beiden zugehe.
Um meinen Hals liegt ein dicker Slytherinschal. Besonders jetzt im Winter ist es hier unten im Kerker eisig kalt und ich vermisse mein Zimmer im Dachgeschoss des Grimmauld Place, wo es immer etwas wärmer ist.
Sirius und James zucken sichtlich zusammen und Sirius fegt das Buch mit einer Handbewegung vom Tisch, offensichtlich damit ich nicht sehe, welche Seite aufgeschlagen war.
„Kein Date.", sagt er genervt. „Wir machen Hausaufgaben, wenn's erlaubt ist. Und was führt dich her? Ich hoffe doch wohl nicht irgendwelche Sorgen wegen des Vollmonds?"
Ich schaue leise. „Falls du dich erinnerst, Brüderchen, der Gemeinschaftsraum ist nur ein paar Gänge weiter. Es ist nicht sonderlich ungewöhnlich, dass ich hier bin.", erinnere ich eine Spur überheblich.
Mein Blick wandert neugierig zu dem Buch. Dabei bin ich mehr auf Ablenkung aus, als auf Streit.
„Hausaufgaben also? Mit einem Buch aus der verbotenen Abteilung? Und einem leeren Kessel?", frage ich mit einem selbstgefälligen Schmunzeln und lehne mich an den Tisch hinter mir. „Was plant ihr wirklich?"
„Was willst du, Reg?", fragt mein Bruder und stößt den leeren Kessel um, der klappernd zu Boden geht. Er wirkt frustriert und seine Geduld scheint noch weniger vorhanden zu sein als sonst. „Spionierst du für irgendwen? Ist dir langweilig oder so? Hast du nicht irgendwelche Aufgaben zu erledigen? Wir sind hier an etwas Wichtigem dran. Das ist nichts für zarte Gemüter wie dich."
Ich sehe meinen Bruder einen Moment zornig an, ehe ich mich vom Tisch abstoße und auf ihn zugehe.
„Zarte Gemüter, hm? Es tut mir leid, wenn ich nicht einfach wegsehe, während ihr offensichtlich mit einem Werwolf spielt. Denkst du, mir ist nicht aufgefallen, wie müde ihr in letzter Zeit immer nach dem Vollmond seid?", fahre ich ihn an.
In dem Moment kommt jedoch Peter in den Kerker gehastet und so werden wir abgelenkt. Er ist völlig außer Atem und fällt beinahe über die letzte Stufe der Treppe. „Ich hab den Totenkopfschwärmerkokon!", ruft er.
„Totenkopfschwärmerkokon?", wiederhole ich fragend, während mein Bruder so aussieht, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er nun zuerst Peter oder mich erwürgen will.
Ich erinnere mich, schon einmal von dieser Zutat für einen Zaubertrank gehört zu haben, aber ich bin mir nicht mehr sicher wo. Mit einem Accio Zauber lasse ich das Buch zu mir fliegen und blättere darin, bis ich die richtige Seite gefunden habe.
„Ihr wollt lernen, ein Animagus zu werden?", frage ich teils erstaunt, teils beeindruckt und sehe meinen Bruder wieder an.
Mit finsterem Blick sieht Sirius mich an und verschränkt die Arme, ehe er einen Blick mit James tauscht. Dieser zuckt jedoch nur die Schultern. „Wir können klein Regulus ja als Versuchskaninchen nehmen.", schlägt er vor.
Ich verdrehe auf Grund seines dummen Kommentars nur die Augen und überfliege die Erklärung des Zaubers.
„Dieser Zauber ist unglaublich kompliziert und wenn man als nicht registrierter Animagus erwischt wird, landet man sofort in Azkaban.", stelle ich überflüssiger Weise fest.
„Habt ihr die Alraunenblätter im Mund gehabt? Einen ganzen Monat? Von Vollmond bis Vollmond?", frage ich neugierig.
Sirius verdreht genervt die Augen und streckt mir die Zunge raus, auf der das Alraunenblatt liegt.
Ich unterdrücke den Reflex mir mit der flachen Hand vor die Stirn zu schlagen, weil er so leichtfertig riskiert das Blatt versehentlich zu verlieren. Sobald man das Blatt verliert, es runterschluckt oder es zerreißt, muss man von vorne beginnen.
Doch damit halte ich mich nicht länger auf und gehe stattdessen zu einem Schrank, in dem die Utensilien für Zaubertränke lagern. Da die Schüler hier meist eine große Unordnung hinterlassen, brauche ich einen Moment, bis ich in einer der Schubladen gefunden habe, wonach ich suche.
Prüfend halte ich ein altes milchiges Glas ins Licht. Es sieht aus wie ein normales Trinkglas.
„Ihr habt euch sicherlich schon mit dem Thema Kristallglas beschäftigt, nicht wahr?", frage ich die Drei und lehne mich an den Tisch hinter mir. Das Glas drehe ich in meiner Hand. Der nächste Schritt um den Zauber zu vollenden, besteht darin, das Alraunenblatt in ein Kristallfläschchen zu geben und an einen mondbeschienenen Ort zu bringen. Ist die Nacht wolkenverhangen, geht der Vorgang mit einem neuen Alraunenblatt von vorne los.
„Ich meine... Ihr könnt es natürlich mit einem normalen hübsch verzierten Glas versuchen, wenn ihr scharf darauf seid, nochmal einen Monat auf einem Blatt zu kauen.", sage ich und zucke die Schultern.
Sirius sieht mich an, als würde er lieber an dem Alraunenblatt ersticken, statt zuzugeben, dass die Drei sich darum wirklich noch keine Gedanken gemacht haben.
Dabei frage ich mich selbst, was ich hier eigentlich tue. Was die Rumtreiber vorhaben, ist gefährlich und sollten sie erwischt werden, wartet mit Sicherheit eine Zelle in Azkaban auf sie. Warum mische ich mich also ein? Oder helfe ihnen gar?
Doch der Reiz herauszufinden, ob der Zauber funktioniert, ist größer als meine Vernunft und meine Neugier siegt.
Ich drehe ihnen den Rücken zu und stelle das Glas vor mir auf dem Tisch ab. „Kreacher!", rufe ich.
Mit einem lauten Plopp erscheint der Hauself nur Sekunden später vor mir und mustert Sirius, James und Peter abfällig. „Blutsverräter...", höre ich ihn finster murmeln, doch das ignoriere ich.
„Master Regulus hat nach Kreacher gerufen?", wendet sich Kreacher schließlich mir zu und ich nicke.
„Danke, dass du so schnell erschienen bist. Hast du einen Moment Zeit, um mir etwas von Zuhause zu bringen?", frage ich den Elfen freundlich. Ich achte darauf, es tatsächlich wie eine Bitte zu formulieren und nicht wie einen Befehl.
„Kreacher hilft Master Regulus jederzeit gern.", antwortet er.
„Ich brauche einen Kristall von unserem Kronleuchter im Salon. Du musst ihn für mich stehlen, aber du darfst dich nicht erwischen lassen. Schaffst du das?", frage ich beinahe liebevoll.
Kreacher vollführt eine Verbeugung, schnipst mit den Fingern und verschwindet.
Sirius und James heben eine Augenbraue, sehen sich gegenseitig fragend an und zucken dann beinahe synchron die Schultern. Offenbar wollen sie abwarten, was ich vorhabe.
Es dauert nicht lange, bis Kreacher wieder auftaucht und ich nehme ihm dankbar den Kristall ab.
„Niemand hat dich gesehen?", frage ich. Der Hauself schüttelt den Kopf. „Gut. Solange dich niemand fragt, behalt es für dich. Danke Kreacher."
Es war gefährlich einem Hauselfen vollkommen zu verbieten, über solche Dinge zu sprechen. Sollte Mutter nachfragen, ist es mir lieber, wenn ich den Ärger bekomme, statt Kreacher. Schließlich hat er nichts damit zu tun.
Der Hauself verschwindet mit einer erneuten Verbeugung und ich wende mich dem milchigen Glas zu.
Leise murmele ich den Zauber, den mein Vater mir in den letzten Ferien beigebracht hatte und richte meinen Zauberstab auf das unscheinbare Glas. Es beginnt nach ein paar Sekunden zu leuchten und nimmt einen klar glänzenden Ton an, während der Kristall auf dem Tisch daneben nahezu glüht.
Feine Schnörkel zieren nun die Oberfläche des zuvor einfachen Trinkglases und außen bildet sich eine kleine wunderschöne kristallene Rose.
Im selben Moment schlängelt sich ein gläserner dünner Rosenast magisch um mein Handgelenk und die Dornen kratzen minimal an meiner Haut, sodass ein kleiner Tropfen Blut in meine Handfläche fließt.
Es ist ein Blutzauber und so wie alle Zauber, die ein Opfer verlangen, ist es dunkle Magie. Normalerweise würde ich nicht so offenkundig preisgeben, dass ich diese Zauber beherrsche, doch da die Drei mit dem weitaus mehr verbotenen Animagus Zauber experimentieren, halte ich es für ungefährlich.
„100 Prozent reiner Kristall, wie ihr ihn in der Natur kaum finden werdet. Solange sich der Zauber nähren kann, also jemand dieses Armband trägt, hält der Zauber. Wenn nicht..."
Um es zu demonstrieren, nehme ich das Armband ab und lege es neben dem Kristallglas auf den Tisch.
Sofort scheint die Rose zu verwelken und das Glas nimmt wieder einen milchigen Ton an.
Wortlos wende ich mich ab und gehe langsam in Richtung Treppe. Die ganze Zeit war ich weder hochmütig noch habe ich angegeben, auch wenn ich selbst nicht weiß, warum ich überhaupt geholfen habe.
„Hey!", höre ich James Stimme und drehe mich am Absatz der Treppe nochmal herum. „Du hast echt was drauf, Slytherin! Wie können wir uns revanchieren?", fragt er und ich sehe auch auf den Lippen meines Bruders ein schwaches Lächeln.
Vorsichtig hebe ich einen Mundwinkel. „Erzählt mir einfach, ob es funktioniert hat oder nicht.", meine ich und trete hinaus in den Gang.
Ich bin gerade ein paar Schritte gegangen, als ich einen leichten Windhauch verspüre und verwundert stehen bleibe.
Wenn man ein paar Mal bemerkt hat, wie jemand mit einem Tarnumhang dicht an einem vorbei geht, bekommt man ein gewisses Gespür dafür und da die drei Rumtreiber noch in dem Klassenraum sind, ist es recht einfach zu erraten, wer hier nicht gesehen werden will.
„Lupin - Wohin des Weg's?", frage ich und drehe mich um. Es dauert noch einen Moment, ehe sich tatsächlich ein recht ertappt dreinblickender Remus von dem Tarnumhang befreit.
Er faltet den Umhang zusammen und ich sehe ein größeres Stück Pergament in seiner Hand. Eine Karte, auf der man sehen kann, wer sich wo in Hogwarts aufhält. Ich hatte sie nie gesehen, doch Sirius hatte mir in den letzten Ferien stolz davon berichtet.
„Sie haben mir Schokolade und ein Buch geschenkt und zuerst habe ich mich darüber gefreut, aber dann ist mir irgendwann aufgefallen, wie merkwürdig das ist.", erklärt er und hebt einen Mundwinkel, „Du weißt nicht zufällig was sie planen?"
Einen Moment zögere ich und mustere ihn genauer. Obwohl Remus schon seit beinahe zehn Jahren ein Werwolf ist, sind Müdigkeit und die Narben das einzige Anzeichen auf seine Krankheit. Er wirkt ansonsten wie ein ganz normaler Schüler und ich weiß, dass er sehr fleißig ist und unglaublich gute Noten hat.
Aber mir fällt auf, dass auf seiner Wange eine neue kleinere Narbe ist. Ob er sich diese bei der letzten Verwandlung zugezogen hat? Aber wie, wenn außer ihm niemand in der Heulenden Hütte ist?
Kurz überlege ich, ob ich lügen sollte, um die anderen Drei nicht zu verraten, doch es ist mir klar, dass Remus es mit dem Tarnumhang sowieso bald erfahren würde und ich hoffe Remus würde aufpassen, dass die Rumtreiber nicht auffliegen. Er ist der Vernünftigste von ihnen.
„Sie arbeiten an dem Zauber, durch den man zu einem Animagus wird.", antworte ich daher wahrheitsgemäß.
Remus öffnet den Mund, als würde er etwas sagen wollen, doch er überlegt es sich anders und schüttelt  seufzend den Kopf über den Plan seiner Freunde.
„Bei Merlin... irgendwann werden wir noch alle der Schule verwiesen.", murmelt er gequält und ich weise ihn besser nicht darauf hin, dass sie wohl eher in Azkaban landen würden. Er scheint wirklich Angst davor zu haben.
„Naja, wenn würden ja nur die Drei verwiesen werden. Du hast doch damit nichts zu tun.", sage ich und hebe leicht einen Mundwinkel im Versuch ihm etwas Mut zu machen.
Doch Remus schüttelt mit einem vorsichtigen Lächeln den Kopf. „Sie tun das wegen mir... Damit ich an Vollmond nicht mehr alleine sein muss."
Meine Augen weiten sich leicht bei der Erkenntnis. Ich erinnere mich daran, wie Potter mir Anfang des Schuljahres voller Arroganz erklärt hatte, er wüsste genau wie gefährlich es für Menschen wäre sich einem Werwolf zu nähern. Für Menschen, nicht aber für Tiere.
Ich realisiere, dass Remus sich all diese Narben vermutlich selbst zufügt, weil der eingesperrte Wolf an Vollmond nichts besseres mit sich anzufangen weiß. Seine Freunde wollen die Zeit in ihren Tiergestalten mit ihm verbringen, um das zu verhindern.
„Das ist.. vollkommen verrückt.", stelle ich fest und Remus lacht leise.
„Absolut.", sagt er kopfschüttelnd, „Ich werde mit ihnen reden, danke, dass du es mir gesagt hast."
Der blonde Junge wendet sich ab und geht in Richtung Klassenzimmer davon.
Ich komme allerdings nicht umhin, ihn zu beneiden. Normalerweise wäre Remus Lupin wohl der letzte Mensch, den jemand beneiden würde. Niemand kann sich vorstellen, wie schreckliche Qualen er durchlitten hat und für den Rest seines Lebens weiterhin durchleiden wird. Ganz von dem Spott und der Verachtung abgesehen, die ihn treffen werden, falls seine wahre Natur je bekannt werden wird.
Doch seine Freunde sind bereit ihr Leben zu riskieren, nur um ihm sein eigenes etwas erträglicher zu machen.
Als ich durch den Slytherin Gemeinschaftsraum in Richtung meines Schlafsaals gehe, würdigt mich niemand auch nur eines Blickes. Niemand hat in den letzten zwei Jahren je Notiz von mir genommen, außer sie brauchten etwas von mir. Ich bin der Erbe des Hauses Black und man bezeichnet mich oft als Streber. Ich wusste, es gab Wetten darüber, ob ich einst Slughorns Lieblingsschüler werden würde oder ob Severus Snape den Thron halten würde.
Normalerweise prallen all diese Sachen an mir ab und ich kümmere mich nicht darum, doch an diesem Abend komme ich mir seltsam einsam vor.
Einsam und voller Eifersucht auf einen Werwolf, der Freunde hat, wie ich sie niemals haben werde.

The Secret HeroWo Geschichten leben. Entdecke jetzt