zwei.

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Der restliche Flug ist bis auf ein paar wenige Turbulenzen sehr ruhig verlaufen. Nach der Landung laufe ich nach einem kurzen Abstecher auf dem Klo sofort zur Gepäckausgabe und danach weiter zum Ausgang. Meinen Koffer schleife ich mühsam hinter mir her, was mir nicht wenige belustigte Blicke einbrockt. Als ich aus der großen Tür des Flughafens hinaustrete, atme ich erschöpft auf.
Endlich.
Vor mir drängelt sich eine enorme Menge an Leuten, die mit größtem Bemühen versuchen, die Aufmerksamkeit der Taxi-Fahrer auf sich zu ziehen.
Ganz hinten hinter dem Getümmel erkenne ich meine Tante, die sich suchend umblickt.
Sie ist eine schlanke, gut aussehende Frau mit einem wunderschönen Gesicht, die, wie es mir vorkommt, einfach nicht altern will.
Sie sieht immer noch so aus wie früher.
Wie alt ist sie mittlerweile? Mitte 40?
Ihre Haare hat sie zu einem tiefen Pferdeschwanz zusammengebunden, so wie sie es damals auch häufig gemacht hat, als ich noch klein war. Jedenfalls habe ich sie so im Kopf, wenn ich mich an die wenigen Male erinnere, die sie uns besuchen gekommen ist.

„Hallo, Svea", begrüßt sie mich lächelnd, als ich nach dem bestimmt anstrengendsten 5-Stunden-Flug meines Lebens und einem Durch-die-Menge-Kämpfen schlussendlich vor ihr stehe. Hierbei habe ich mir meinen gewaltigen, wahrscheinlich größten Koffer, den die Welt je gesehen hat, zum Vorteil gemacht und habe die Menschen mehr oder weniger aus meinem Weg geklatscht. Sorry, aber für ein freundliches ‚Könnte ich bitte kurz vorbei' habe ich echt keinen Nerv mehr.

Sie schließt mich unverzüglich in ihre Arme.
Es fühlt sich komisch an, ihre Nähe zuzulassen, da wir uns so lange nicht mehr gesehen haben. Aber Janna ist schon immer wärmer und herzlicher gewesen als meine Mutter.
„Ist alles gut gelaufen?", fragt sie dann neugierig.
Ihr Deutsch ist fehlerfrei, doch es hört sich so an, als müsst sie sich erst wieder daran erinnern, wie man diese Wörter aneinanderreiht.
Immerhin hat sie lange kein Deutsch mehr gesprochen, der letzte Anruf und damit auch der letzte Kontakt zu meiner Mutter ist Jahre her.

„Naja, sagen wir so...es war eindeutig nicht mein bestes Flug-Erlebnis", lache ich, obwohl mit eher zum Weinen zumute ist, und deute damit auf die fehlende Rolle an meinem Koffer.

„Oh"
Janna stimmt in mein Lachen ein.
Ich brauche dringend Schlaf, viel Schlaf. Oh, und neue Unterwäsche brauche ich ja auch noch. Uff.

„Ich würde vorschlagen, ich zeige dir jetzt dein Apartment und dann kannst du dich erstmal ausruhen."
Sie räuspert sich kurz.
„Also, nicht, dass du so aussehen würdest, als bräuchtest du Ruhe oder so, haha", lacht sie nervös.
Ich winke hastig ab. „Schon gut, Tante Janna, ich weiß, dass du es nicht so gemeint hast."

Sie nimmt mir freundlicherweise meinen Koffer ab und packt diesen in den Kofferraum ihres schwarzen SUV.
Wow, was für ein protziges Auto.
Aber bei dem Geld, das sie verdient, ist das wiederum auch kein Wunder.
Als ich die Beifahrertür öffne, um einzusteigen, erblicke ich eine Gestalt im Fenster, von der ich zuerst gar nicht glauben will, dass es sich um mich handelt. Und wenn ich mich jetzt so sehe, weiß ich, dass Janna es doch so gemeint hat. Unter meinen Augen liegen tiefe, dunkle Ringe und einige meiner Haare stehen wirr vom Kopf ab. Meine Curtain Bangs, die ich während dem Flug mit Bobby Pins hinter meinen Ohren fixiert habe, bedecken nun mein halbes Gesicht und ich frage mich kurz, wie ich das bis jetzt nicht bemerkten konnte.
,Oh mein Gott', schießt es mir durch den Kopf.
,Ich sehe aus wie eine Leiche.'
Janna hat Recht, ich sollte mich wirklich ausruhen.

Ich fühle mich so müde wie noch nie, aber das ist bei dem Schlaf, den ich in den letzten Wochen bekommen habe, auch kein Wunder, wenn ich jetzt so überlege. Meine geliebte Schlafstörung ist nämlich wieder einmal zurückgekommen, und wenn ich es einmal doch schaffe, einzuschlafen, ist es kein erholsamer Schlaf. Ich träume in letzter Zeit so intensiv, dass es sich so anfühlt, als würde ich nicht schlafen, sondern die ganze Nacht durchmachen. An die Träume, die mich nachts unterbewusst wach halten, kann ich mich jedoch nicht mehr wirklich erinnern. Schon komisch. Kommt es mir nur so vor, oder sind die Träume immer mehr geworden, je näher der Flug nach Oslo gerückt ist?

Wenn der Schnee fälltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt