4.

26 1 1
                                    

Was hast du nur getan Nefes?"~ Anne
"Du bist eine Schande für die ganze Familie!"~ Abi
"Was hast du dir eingebildet du Schlampe!?"~ Gül
"Ich bin so enttäuscht von dir..."~ Baba
"Wieso haust du ab? Steh doch zu deinen Dreckstaten!"~ Gül
"Ich hoffe du schmorst in der Hölle! Du bist für mich gestorben! Und dann noch mir, deiner eigenen Schwester!"~ Gül
"Schämst du dich nicht? Wieviele waren es schon he?!"~ Beyza
"Wenn ich dich in die Finger kriege! Du bist TOT! Für alle von uns! Komm ja nie wieder nach Hause!!"~ Abi
"Ich wusste schon immer was für eine Schlampe du bist. Wurde auch mal Zeit, dass es jeder weiß!" ~ Zeynep
"Du bist so eine Missgeburt! Wie konntest du nur?!"~ Aylin
"Ich fasse es nicht. Wie habe ich dich je meine Tochter genannt? Ich habe keine Tochter mehr!" ~ Baba

Ein lauter Schluchzer entweicht meiner Kehle und ich ringe atemlos nach Luft. Erneut fließen die Tränen meine Wange hinunter und feuchten meine Wangen an. Hätte ich mein Handy nur nicht angeschaltet! Meine Eltern verabscheuen mich. Mein Geschwister hassen mich und meine Freunde verleumden mich und behandeln mich wie dreck! Wie konnte es soweit kommen? Wie konnte er mir das antun?

Ein weiteres mal schniefe ich laut und raufe mir die Haare. Ich weine so laut wie noch nie, möchte schreien bis meine Ohren bluten und nie wieder aufhören. Plötzlich klingelt mein Handy wieder und meldet mir eine Nachricht.

„Ich habe dich wie meine eigene Schwester geliebt. Ich habe zu dir hinauf gesehen Nefes. Was hast du dir nur dabei gedacht? Wie konntest du mit ihm schlafen? Wohin ist deine Ehre gegangen?  Wohin dein Stolz? Hattest du kein Selbstekel? Fandest du es nicht widerlich? Wie kannst du dich in deinem eigenen Körper noch wohlfühlen!....
Wie konntest du nur mit dem Mann deiner Schwester schlafen Nefes!"

Ich verdecke mein Gesicht mit meinen Händen und weine laut hinaus.

Wieso? Wieso geschieht das alles? Was habe ich der Welt angetan, dass sie mir so den Rücken zu dreht!
Allahim wieso bestrafst du mich so sehr?

„Allah!!", kreische ich mir die Seele vor Schmerz raus und schaue hoch. Ich kriege kaum Luft, so sehr verschnürt der Schmerz mir den Atem. Langsam aber sicher greife ich zu meinem Hals, meinem Herz.
Ich habe das nicht verdient. Es ist so unfair. So unfair!

„Nefes..."

Augenblicklich eilt mein Kopf hinter mich und ich richte mich sofort auf.

„Bitte...", flüstere ich kaum hörbar. „Bitte lass mich." Mir kullern weitere Tränen über die Wangen, die ich nicht mal mehr versuche, wegzuwischen. „Tu dir das nicht an. Beschmutze dich nicht mit mir! Wenn deine Familie das rausfindet...mach den Fehler nicht! Bitte, bitte geh einfach!"

Wie hieß er noch gleich?

„Mach dir um die keine Sorgen. Komm bitte erstmal runter." Er tretet ein Schritt vor und hält mir seine Hand hin. „Du hast sicherlich Hunger. Es war so schwer, dich zu finden. Bitte tu mir den gefallen und iss wenigstens etwas." Noch ein kleiner Schritt.

Sofort wird mir die Leere in meinem Magen bewusst. Ich habe seit zwei Tagen weder gegessen, noch getrunken...
„Ich habe keinen Hunger", seufze ich schwach hervor. „Wieso gehst du nicht einfach...?" Langsam aber sicher wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht. Mein Atem hat sich bereits stabilisiert. Das ändert allerdings nichts daran, dass ich gerade wohl wie das schwächste Häufchen Elend aussehe.

„Ich dulde kein Nein. Wenn du möchtest, fahre ich dich in eine andere Stadt, damit du ruhig essen kannst" Er seufzt. Jetzt steht er schon direkt vor mir.

Ohne mit der Wimper gezuckt zu haben, werde ich auch schon abrupt an der Hand gepackt und stolpere nach vorne. Ein spitzer Schrei verlässt meine Kehle, als ich gegen seine Brust knalle und mich sobald an sein Hemd kralle.

„Du standest direkt am Abgrund..." Sein heißer Atem streift meinen Ohr, weswegen ich augenblicklich den Atem anhielt und sofort stillstehe.

Atilla.

Sein Name ist Atilla.

Ich lasse augenblicklich von ihm ab und möchte soeben einen weiten Schritt zurücktreten, jedoch werde ich von seinem festen Griff um meine Hand aufgehalten.

„Wir gehen jetzt frühstücken." Mit diesem Satz setzt er auch schon zum Gehen an. Und ich kriege momentan kein Wort raus, weswegen es mir nur gerecht ist.

Stillschweigend laufen wir nun nebeneinander her. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich die ganze Zeit an einem Abgrund gestanden war...sowenig bemerkte ich auch, dass wir endlich an seinem Auto ankamen. Er öffnete mir die Tür und ich stieg, zum Teil widerwillig, ein. Für immer könnte ich wohl nicht in dem Wald leben, und Hunger hatte ich wirklich.

Hör auf nachzudenken Nefes, bitte hör einfach auf.

So verlief die Autofahrt schließlich stumm und mir schien, als würde die Luft zwischen uns zum Zerreißen angespannt sein. Deswegen wagte ich es keinesfalls, auch nur einen Mucks von mir zu geben und betrachtete stattdessen die vorbeiziehende Landschaft aus dem Fenster.

Irgendwann hielten wir vor einer Gaststätte an. Wir setzten uns in einer türkischen Bäckerei in den hintersten Eck, sodass uns keiner beim Essen stören konnte.

Ich betrachtete das Simit auf meinem Teller und wollte mich am liebsten übergeben. Obwohl ich seit 48 Stunden nichts gegessen hatte, regte sich mein Appetit kein Stück und Hunger schien ich auch keinen mehr zu haben. Also starrte ich es einfach stumm an.
Wie traurig. Wie konnte ich mich so tief fallen lassen? Wie konnte ich es so weit kommen lassen.

„Nefes-" Ich blicke ihn an. „Gefällt dir mein Name? Wie oft willst du ihn noch sagen?" Er zuckte etwas zurück nach meiner prompten Reaktion und zog irritiert seine Augenbrauen zusammen. Ich seufze darauf vertreten und lasse meine Schultern sinken. „Tut mir leid. Ich verstehe nur nicht, wieso du mir hilfst. Wenn dich jemand aus der Familie sieht, wirst du wirklich Schwierigkeiten haben und-"

„Lass das. Bevor ich irgendetwas bin, bin ich ein Mensch und ich sehe, dass du Hilfe brauchst. Wieso kämpfst du noch dagegen an? Nimm es doch einfach an?"

Ich sehe ihn schweigend bevor ich wieder zum Simit schweife und es in ein kleines Stück breche. „Okey..", flüstere ich als einfache Antwort und nehme das Stück in den Mund. Erstaunlicherweise schaffte ich es sogar den ganzen Ring aufzuessen und noch ordentlich etwas zu trinken, bevor ich mich in meinen Sitz senken lassen habe. Das tat gut.
Als ich hochblicke, um nach Atilla zu schauen, erwische ich sein erleichtertes Lächeln, bevor dieser aufsteht und das Tablet wegbringt.

Wir sitzen wieder im Auto. Ich habe eigentlich erwartet, dass er mich jetzt nach Hause fährt, nur damit ich dann wieder kehrt mache und wieder verschwinde, allerdings tat er das nicht und blickt stattdessen einfach in die Ferne. Was ihm wohl durch den Kopf geht? Für einen Moment ruhe ich in meinem Blick auf ihm, fahre mit meinen Augen dann aber seinem Blick nach und beobachte nun die weiten Felder vor uns.
Ich weiß nicht, wie meine Zukunft aussehen wird. Ich wollte studieren und erfolgreich werden, etwas aus meinem Leben machen, aber nun erscheint mir alles so sinnlos. Ohne Familie, ohne niemanden, fühlt sich diese Zukunft so wertlos an.

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 06, 2021 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Ela GözlümWo Geschichten leben. Entdecke jetzt