2. Nefes (Atem)

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Nefes

Hat nicht jeder seine einsamen Nächte? Ganz stumm, nur die Musik im Hintergrund läuft, während deine Gedanken ihren freien Lauf nehmen.

Gedanken über Gedanken häufen sich in deinem Schädel, während es dir immer schwerer fällt, die Augen offen zu halten.
Am liebsten würde man in der Musik entgleiten, in sie hineingesaugt werden, um es endlich als Pflicht zu empfinden, die Trauer über einen herzulegen. Um sich nicht mehr einreden zu müssen, die Trauer abzulegen. Um seinen Zustand endlich als Bestimmung anzuerkennen.

Nur herrscht hier im Moment keine Musik. Und doch wirken die wehenden Bäume, rufenden Eulen und vorbeiflatternden Blätter harmonisch klingend miteinander.

Er sieht mir schweigsam in die Augen. Ein bitterer Luftzug huscht über beide unserer Körper, so schleichen sich auch die Erinnerungen wieder in meine Gedanken. Langsam gelangen sie wieder an die Oberfläche, wo sie doch gerade dabei waren, unter die Gewässer zu sinken, zu ertrinken in all dem versalzenem Wasser.

Ich betrachte ihn, seine Haare, seine Wimpern, die kleine Narbe, die sich quer an seiner rechten Schläfe befindet.

Wieso er mich wohl herbrachte?

Ein Gefühl voller unwohlen Vermutungen macht sich in mir breit. Ich sehe ihn erwartungsvoll an, dabei will ich garnicht wissen, was er mir antwortet. Dabei fürchte ich mich, wieder in die Realität geschleudert zu werden.

Langsam ziehen sich meine Augenbrauen zusammen.

Energisch entziehe ich mich seinen Berührungen und rutsche von ihm weg. Ungläubig und voller Entsetzen zugleich betrachte ich ihn. Ein kleiner Hauch entfährt meinen Lippen, beabsichtigt etwas zu sagen, ihn zur Rede zu stellen. Aber da war nichts, zu verschreckt war ich, um etwas rauszubringen.

Ist es wirklich das, was er sagen will? Was er tun will? Mich wieder in meine düstere Vergangenheit zu schicken und mich alles wieder erleben zu lassen?

Langsam gleitet meine Hand hoch, ruht bei seiner Gesichtshöhe, um dann sachte seinen Gesichtskonturen entlangzufahren.

Nefes?

Er war so real. So unerträglich greifbar nah....
Nochmal fahre ich mit geschlossenen Augen seinen Konturen nach. Von seinen Haaren zu seinen Augenbrauen, langsam zu seiner Wange, wo ich glaubte, seine Barthaare zu fühlen. Ein weiches Lächeln zieht sich über meine Lippen, seine Bartstoppeln kitzeln angenehm an meiner Handinnenfläche. Kurz halte ich inne und genieße den Augenblick, dann streicht mein Daumen kaum merklich über seine Unterlippe. Vernebelt von den aufkommenden Gefühlen, erschaudere ich, als ich den roten Faden sehe, den meine Berührung auf seiner Lippe hinterlässt. Ein stechender Schmerz macht sich in meiner Hand breit. Öffnend betrachte in den langen tiefen Schnitt, der sich über meine Handfläche zieht und sie rot färbt.

Ich halte inne, schweife mit meinen Augen zu seinen, nur um darauf den finsteren Ton in ihnen zu sehen.
Stumm findet eine Träne ihren Weg nach draußen, bevor sie über meine Wange gleitet und eine warme Spur hinterlässt. Ich schüttele flehend meinen Kopf, ängstlich, verletzt, hoffnungslos.

Nefes?

Noch einmal wage ich es, seine Wange zu ertasten, sein Dasein zu erfühlen, ihn an unsere Liebe zu erinnern.
Doch greife ich ins Leere.

Wie in einer Zeitreise werde ich zurück zur Realität, zu meiner Normalität geschleudert. Der Hinsicht klar werdend, wird mir augenblicklich die Luft zugeschnürt. Sie wurde mir zugeschnürt, wie als wäre es ein dünner Faden, der sich einfach um meinen Hals gewirbelt hat. Dennoch fühlte es sich schwerer an, nicht als wäre es ein einfacher Faden, der mir den Drang zum Sauerstoff verstärkte. Nicht als könnte es sich jederzeit von selber auflösen. Eine demenz schwere Last schien mir nun in der Lunge zu liegen.

Meine Hände schnellten zu meinem Hals, wo ich versuchte, diese hauchdünne Schnur zu zerreißen, mir wieder Luft in die Kehle einströmen zu lassen, wieder zu atmen...
Doch konnte ich nichts. Ich konnte die Schnur nicht fassen, ich fand sie nicht.

Nefes!

Meine Augen sind geöffnet und ich starre ihn an. Weit aufgerissen sind sie, bittend um Erlösung, um Freiheit, um seine Gnade.
Aber da ist nichts. Reine Leere in seinen Augen.

Einmal fester wird der Druck um meinen Hals. Zeitnah sehe ich die Panik vor mir, die endlich die Oberfläche erreicht hat, paddelt, wie die wirren Gefühle in mir, die jetzt anfangen zu brodeln.
Reflektartik ist es nicht mehr das Meer, das meine Panik zu verschlingen versuchte. Das Meer wird warm, angenehm warm, und auf Knopfdruck, dann, wenn ich meinen Hals umfasse, ist es heiß. So heiß, dass ich glaube, bei der feinsten Berührung zu verbrennen. So heiß, dass ich merke, wie selbst meine Beine unter dieser Hitze anfangen zu strampeln und versuchen, diesen lodernden Flammen zu entkommen.
Ich fasse um meinen Körper, doch spüre ich überall die unerträgliche Hitze, die meine Haut zu verbrennen scheint.

Und dann erfolgt ein spitzer Schrei gefolgt von einem weiteren.

Nefes!!
——

Hallo meine Lieben :)
Es sind schon mehr als 20 Reads geworden, was mich unglaublich freut!
Auf Wiedersehen! :)

Ela GözlümWo Geschichten leben. Entdecke jetzt