3. Atilla

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Atilla

„Nefes!!", ruft er und schüttelt mich an meinen Schultern. Ich habe nicht gemerkt, dass ich weinte, bis er mit seinem Daumen über meine Wange strich und meine Tränen wegwischte. Er sieht mich schmerzverzerrt an, als ob ich ihm leid täte. Mitleid..

„Nefes...weine nicht, bitte", flüstert er und hält nun mein Gesicht fest in seinen Händen.

Meine eigene Familie hat mich raus geschmissen, ich habe niemanden mehr und mein Herz ist gebrochen, wieso sollte ich nicht weinen?

Unter Tränen, die ich einfach nicht zu stoppen wusste, schluchze ich und schüttele meinen Kopf.
„W-woher kennst d-du meinen Namen?" Ich ziehe meine Augenbrauen zusammen und sehe in fragend an. Unauffällig schmiege ich mein Gesicht an seine Hand und genieße die wohle Wärme, die sie ausstrahlt.

Ich kenne ihn nicht, wieso weiß er meinen Namen?....ist es schon so weit verbreitet worden...so schnell?

Seine Augen strahlen puren Mitleid aus, jetzt noch mehr. „Unsere Eltern kennen sich..." Er merkte es anscheinend, denn nun streichelt er mir sanft über meine Wange.

„I-ich habe davon gehört, Nefes...", murmelt er leise und blickt traurig zur Seite.

Meine Augen weiten sich und wieder sacke ich weinend zusammen. Ich verdecke mein Gesicht vor Scham und weine in meine Hände hinein. „W-wie..?", frage ich ungläubig unter Schluchzern, als er mich zu sich zieht und über meinen Rücken streicht.
„Shh".

„I-ich...Ich wollte n-nicht-", schluchze ich aufgebracht und entferne mich von ihm. Völlig verweint und mit verschwommenen Augen betrachte ich erst meine Hände verzweifelt, dann ihn. „E-er hat mich gezwungen...ich wollte es n-nicht und jetzt.." Meine Stimme brach, ich gab es auf. Ich wollte nicht schwach wirken, nicht so klein und verletzt. Aber ich hatte keine Kraft mehr, meine Gefühle zu verbergen. Es ist einfach alles so viel..

Der Junge sieht mich schweigend an, dabei funkeln seine Augen feurig.
Ich nehme tief Luft und streiche mir meine Haare aus dem Gesicht. „Tut mir leid", entschuldige ich mich niedergeschlagen und sehe von meinen Händen wieder zu ihm. „Ich...ich sollte gehen." Kurz sehe ich weg, dann wieder zu ihm.

„Wo sind wir noch gleich?", frage ich verwirrt und halte meinen Kopf schräg.

Ein unerwartetes Schmunzeln ziert sein Gesicht, was mich schämend erblühen lässt.
„I-" Der Junge unterbricht mich amüsiert und steht auf, bevor er sich leicht zu mir neigt und mir seine Hand reicht. "Atilla"
Ich sehe zu ihm auf. Zögerlich nehme ich seine Hand an und lasse mir aufhelfen. „Du hast nicht nach gefragt."

Stumm blicke ich zu Boden und lasse seine Hand los.

„Komm mit mir. Ich habe eine Bleibe für dich." Atilla greift nach meiner Hand und möchte eben weiterlaufen, ich halte jedoch stand und entziehe mich seiner Berührung.

„Wieso hilfst du mir?" Hauche ich leise hervor und blicke ihm verunsichert in die Augen. Wenn er doch weiß, was mit mir passiert ist, was will er noch von mir? Ich bin dreckig, verschmutzt, ein Häufchen Elend. Wieso sollte er mir noch helfen wollen?

„Nefes...", seufzt er verzweifelt und sieht mir wehmütig in die Augen, als ich mich von ihm entferne.

„Ich- ich verstehe nur nicht, was willst du noch mit mir..? Ich meine, schau mich mal an! Ich sehe aus wie ein Häufchen Elend, die ganze Familie redet über mich, in ihren Augen bin ich Dreck! Was kümmert dich mich?...misch dich nicht ein." Mit verschwommenen Augen wische ich mir die neuen Tränen weg. „Beschmutze deine Hände nicht mit mir...", schniefe ich leise und laufe schließlich davon.

Ich will nicht erneut für Gesprächsthemen sorgen. Nicht erneut meine Familie blamieren, ich kann nicht mit ihm gehen. Was würden seine Eltern denken, wenn sie mich sehen? Und dann noch mit ihren Sohn. Ich kann Atilla nicht auch noch beschmutzen.

Ich rannte so weit in den Wald, bis ich endlich glaubte, weit genug von Atilla gewesen zu sein. Erstaunlicherweise hatte ich nichtmal Schritte hinter mir gehört gehabt, als ich weglief. Wahrscheinlich hat er selber begriffen, wie falsch sein Handeln gewesen ist. Er ist sicherlich zur Besinnung gekommen...

Mittlerweile muss es 5 Uhr sein, die Dämmerung hat begonnen und die ersten Vögel zwitschern schon. Wir haben einen kalten Herbsttag. Ich konnte kein Auge zu machen, weswegen ich die letzten Stunden nur am laufen bin. Der Boden ist etwas feucht, glücklicherweise habe ich feste Schuhe an, sodass ich einfach beschloss, zu wandern. Gleichzeitig nutzte ich die Bewegung, um mich zu wärmen. Nun sitze ich seit knappen 20 Minuten auf einem Stamm und betrachte die Stadt vor mir. Einen Vorteil hatte es, hierher zukommen, dieser Platz wird mein neuer Lieblingsort sein. Die Aussicht ist atemberaubend, ein guter Ort zum Nachdenken und Kopf frei kriegen.

Ich greife zögerlich in meine Jackentasche und betrachte unsicher den schwarzen Display vor mir. Mein Handy ist seit gestern Vormittag aus, ich wollte nicht mit den ganzen Nachrichten und Beleidigungen konfrontiert werden. Erst recht nicht mit den Drohungen meines Bruders.

Widerwillig drücke ich zitternd die Seitentaste meines Iphones, um es anzuschalten. Kaum habe ich den Code auch schon eingegeben, summt mein Handy einige male auf.

Alperen Gölge - "Yağmur" (Melankolik Beat)

Ela GözlümWo Geschichten leben. Entdecke jetzt