(Luke) In der Falle

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Sam ist wie mein großer Bruder.
Er ist manchmal ein Arschloch, aber die meiste Zeit ist er ein verdammt guter Typ.
Er hat mich von der Straße geholt und mir schon öfter als zweimal das Leben gerettet.
Und er hat mir eine Zukunft aufgezeigt, Möglichkeiten, wie ich mein Leben leben kann.
Das war damals für mich eine beschissene Zeit und ich wusste abends nie, ob ich den nächsten Tag oder, noch schlimmer, die Nacht überleben würde.
Für einen 16-Jährigen, der alleine ist und niemanden hat, ist unser Teil des Landes kein sicherer Ort. Bevor ich legal Alkohol kaufen durfte, hatte ich schon mehr Grausamkeiten gesehen, als so mancher 70-jähriger von sich behaupten kann.
Ein paar Jahre später und ich bin gewachsen.
Nicht nur körperlich, sondern auch weiter oben.
Aber jetzt scheint er seine eigenen Regeln vor sich selbst zu stellen.
Warum nimmt er Dingo nicht einfach?
Anstatt sie zu verscherbeln könnte er sie auch trainieren und sie zu seiner Assistentin oder so einen Mist machen, mein Gott, ich hätte nicht mal was dagegen, wenn er sie zu seiner Freundin machen würde.
Keine normale Freundin natürlich, aber wie sie sich ansehen.
Da ist schon mehr, als er zugeben möchte.
Oder als er sich selbst eingestehen will.
Seit wann zieht er denn so den Schwanz ein?

Gabriel hat mir die Aufgabe übertragen Dingo und die anderen Mädchen in den Sprinter zu bringen.
Er und Sam müssen noch etwas erledigen.
Leider muss ich zugeben, dass seit wir Gabriels Mann bei der Polizei haben, die Situation schon wesentlich entspannter ist.
  
Als ich Sams Tür öffne, sitzt Dingo mit gesenkten Kopf am Bett.
Warum ist sie überhaupt noch daran befestigt?
Normalerweise weckt sie Sam schon zum Frühstück.

 „Guten Morgen." Sie sieht mich aus verquollenen Augen an.

 „Guten Morgen."

 „Warum sitzt du noch hier?" Sie zuckt mit den Achseln.
Ich ziehe meinen Schlüsselbund hervor. Habe ich überhaupt den Schlüssel für ihr Halsband?

 „Ich komme gleich wieder."

 Michael sitzt in der Küche und schreibt etwas am Laptop.

 „Wo ist Sam?"

 Er sieht auf und verzieht den Mund.

„Keine Ahnung. Wieso brauchst du ihn?"

 „Dingo sitzt noch am Bett und ich hab den Schlüssel nicht."

Er schnaubt, zieht aber sein Handy hervor.

 „Gabriel, wo ist Sam?" Er hört zu. Dann sieht er zu mir und schüttelt den Kopf.

 „Nein... Luke wollte Dingo grade abholen, aber wir haben den Schlüssel nicht..." Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen.

 „Nein. Ja, ich sag's ihm." Er legt auf und erhebt sich.

 „Sam ist nicht aufgetaucht. Gabriel hat ihn auch nicht erreicht. Nimm den Bolzenschneider." Er deutet auf einen Schrank.

 „Und was machen wir wegen Sam?", Michael zuckt mit den Achseln.

 „Was sollen wir schon machen. Er wird sich schon melden. Jetzt bring die Perras runter, sonst wird es zu spät." Ich nicke und verlasse den Raum mit dem Bolzenschneider.
Was für ein Mist.
Wieso verpisst sich Sam jetzt?
Ich trete gegen eine Kommode und höre, wie etwas runterfällt.
Soll sich Michael drum kümmern.

 „Lehn' dich nach vorne und beweg dich nicht.", befehle ich Dingo, als ich den Bolzenschneider hebe.
Mit einem Klicken frisst er sich durch das Metall und ich kann das Halsband öffnen.

 „Luke?", ihre Stimme zittert.

 „Ja?"

 „Wo ist Sam?"

 „Keine Ahnung."

 „Kommt er nicht mit heute?" Ich zucke mit den Achseln.
  
„Werdet ihr mich heute..." Sie schluckt.
Verkaufen?
Wenn Sam nichts anderes sagt: ja.
Und so wie es aussieht, wird er nicht so bald kommen.

 „Dafür bist du da." Ich rubble ihr über den zerzausten Kopf.
Ihr Magen knurrt, als sie sich langsam erhebt.

 „Hast du noch nichts gegessen?" Sie schüttelt den Kopf.

 Ich sehe auf die Uhr. Eigentlich lässt es der Zeitplan nicht zu, aber bevor sie auf der Auktion umkippt, sollte ich ihr schon was zu essen geben.

 „Komm mit." Wir gehen in die Küche und Michael sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an.

 „Was ist los?"

 „Sam hat sie heute nicht gefüttert." Er erhebt sich und stellt sich vor sie.

 „Wann war er das letzte Mal bei dir?"

 „Gestern hat er mich nach der Fahrt angebunden." Sie senkt ihren Blick und ich sehe, wie sie ihre Hände auf dem Rücken verkrampft.
Michael sieht mich an.

 „Das war vor achtzehn Stunden." Er stöhnt und reibt sich über das Gesicht.

 „Gib ihr was zu essen, ich muss mit Gabriel reden. Bereite die Perras soweit vor, dass wir losfahren können. Warte bis ich komme." Er verzieht sein Gesicht.

 „Na dann." Ich lege Dingo die Hände auf die Schultern und schiebe sie zum Küchentisch.

 „Setz dich."

 Ich bereite schnell zwei Toasts mit Marmelade vor. Ich war nie ein großer Koch, das übernimmt normalerweise Gabriel für uns. Im Kühlschrank finde ich noch ein paar kleine Tomaten, die zwar nicht mehr perfekt aussehen, aber noch vollkommen in Ordnung sein sollten. Alles zusammen packe ich auf einen Teller und schiebe es Dingo zu.
Als sie mich verwirrt ansieht, verdrehe ich die Augen.

 „Iss einfach." Sie nickt zögerlich.

Doch als sie viel zu lange braucht und den Toast mit Babybissen traktiert, verliere ich die Geduld.

 „Dingo, wir haben einen Zeitplan." Ich nehme ihr den Teller wieder weg.

 „Mund auf." Fast erleichtert verschränkt sie die Hände wieder hinter dem Rücken und öffnet den Mund. Schnell ist mein kleines Frühstück verdrückt und ich hole eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank.

 „Das kannst du aber selbst, oder?" Sie grinst und zieht eine Hand hervor. Ich reiche ihr die Flasche und sie trinkt sie in schnellen Schlucken aus.

 „Musst du noch auf Toilette?" Natürlich muss sie.
Warum frage ich überhaupt?
Wir gehen ins Bad und ich lehne mich an die Wand.
Früher war mir dieser Moment von allen am unangenehmsten gewesen.
Füttern, Schlagen, Fesseln, Verkaufen, war schnell logisch für mich gewesen, aber jemanden beim Pinkeln oder Kacken zu zusehen? Als die erste Perra vor mir kacken musste, war mir das unangenehmer als ihr und ich musste währenddessen ständig kichern.
Ich schüttle lachend den Kopf bei der Vorstellung.
Dingo macht alles ohne Murren mit, worüber ich ziemlich froh bin. Ich mag sie und eigentlich ist es echt schade sie zu verkaufen.
Aber so ist das Geschäft.

Bald sitzen die Perras im Wagen und warten auf die nächsten Befehle.
Als auch noch nach einer Stunde keiner kommt, steige ich aus dem Wagen und rufe Michael an.

 „Ja?"

 „Hey, lange nichts mehr von dir gehört. Was machst du so, wie geht's Frau und Kindern?"

 „Luke.", stoppt er mich mit gepresster Stimme.

 „Ja, sorry, wann geht's los?"

 „Fahr los mit den Perras"

 „Alleine?" Ich höre ihn schnauben.

 „Das geht heute nicht anders."

 „Was ist los?"

 „Ich weiß es nicht. Sam ist weg und Gabriel hat Probleme. Ich fahre zu ihm und klär' das ab."

 „Und bei der Auktion?"

 „Ich beeil mich. Mach keine Scheiße."

 „Danke für die Erinnerung."

 „Luke!"

 „Ja, sorry." Wir legen auf.
Ich öffne die Fahrertür und steige ein.

 „Auf geht die wilde Fahrt, meine Lieben."
Ich drehe mich nach hinten und grinse sie an.
Alle sehen auf ihre Knie, nur Dingo sieht mich besorgt an.
Das kann ja eine spaßige Fahrt werden. Ich drehe das Radio an und starte den Wagen.

Dingo (Teil 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt