Beinahe 17

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Am Wochenende fing ich an, meinen 17. Geburtstag zu planen. Ich grübelte lange, wen und wie viele Leute ich einladen sollte. Doch meine Großmutter, welche gerade das Abendessen vorbereitete, schien schon eine sehr genau Vorstellung des Ablaufs zu haben. "Zum Glück hast du an einem Samstag Geburtstag, dann haben wir den ganze Tag Zeit, alles vorzubereiten. Morgens macht Carlos leckere Pancakes und danach backe ich schon mal Kuchen- willst du wieder Apfelkuchen? Der ist schließlich meine Spezialität! Wobei, ich könnte auch eine Schokotorte mit Minze backen, klingt außergewöhnlich, ich weiß, ist es auch, aber richtig beliebt in der Bäckerei! Du, Opa und ich können einen Ausflug in dein Lieblingscafé oder so machen und danach machst du dich in Ruhe fertig, Carlos besorgt Getränke und Snacks und ich dekoriere alles! Dann brauchen wir nur noch..." "Entspann dich Oma", lachte ich. Sie war ganz aufgeregt, sie liebte Besuch und Partys umso mehr. "Ich find das hört sich alles super an, aber ich muss erstmal überlegen, wen ich einladen möchte", erklärte ich. "Dann können wir weiter gucken." Meine Großmutter sah mich verständnislos an. "Lad doch einfach deinen ganzen Jahrgang ein und wir veranstalten die coolste Fete des Jahres!" Ich zwang mich zu einem Lächeln. "Du... ich glaube nicht, dass ich so groß feiern möchte. Ich würde das lieber... im kleineren Kreis halten." Sie sah etwas enttäuscht aus. "An wen hast du denn gedacht?", fragte sie. "Also ich dachte an Mel, Sam, Ayden und vielleicht möchte Glinda ja auch kurz vorbei kommen? Wir könnten was leckeres zusammen kochen und anschließend einen Film schauen oder so", antwortete ich vorsichtig. Oma sah aus, als hätte ihr jemand ihre Suppe versalzen, von der sie gerade kostete. "Das... das WAR'S??? Ari Schätzchen, du wirst 17, willst du keine Party?" Sie sah mich ganz entgeistert an. Oder sah sie sogar ein wenig enttäuscht aus? Ein ungutes Gefühl braute sich in mir zusammen. Was, wenn ihr diese Feier so wichtig war, weil sie sehen wollte, dass ich glücklich bin? Vielleicht dachte sie, ich würde niemanden einladen wollen, weil ich bei meinen Großeltern lebte und nicht bei meinen Eltern. Ich holte tief Luft. "Okay, wir machen einen Kompromiss. Ich werde definitiv nicht meinen ganzen Jahrgang einladen, aber ich suche noch ein paar mehr Leute aus, sodass man es eine Party nennen kann. Wenn auch eine kleine. Und dann machen wir alles so, wie du es eben vorgeschlagen hast. Abgemacht?" Als ich das erleichterte Lächeln meiner Großmutter sah, fühlte auch ich mich gleich viel besser und ich fing sogar an, mich richtig auf meinen Geburtstag zu freuen.

Den Abend vor meinem Geburtstag war ich nervöser als gedacht. Ich hatte noch ein paar andere Leute aus meinen Kursen eingeladen mit denen ich gut zurecht kam, Sam würde noch zwei Freunde vom Schwimmen mitbringen und auch Mel nahm noch eine Freundin mit, welche auf eine andere Schule ging, ich würde sie also heute erst kennen lernen. In Summe waren wir dann etwa 15 Leute und dafür dass ich eigentlich nicht einmal eine Hand voll einladen wollte, sind dann doch ein paar zusammen gekommen. Die letzten Tage waren gut gewesen, Ayden und ich haben viel Zeit miteinander gebracht und ich hatte das Gefühl, nie jemanden besser gekannt zu haben (mit Ausnahme von Sam und Mel natürlich). Ich blickte in meinen Spiegel. Ein letztes Mal 16. Ich wusste nicht wieso, aber ich fühlte mich irgendwie komisch. Wie aus dem nichts schossen mir die Tränen in die Augen. Ich versuchte gar nicht erst, mich zu beruhigen und ließ meine Tränen einfach die Wangen herunter strömen. Das passierte jedes Jahr an dem Abend vor meinem Geburtstag. Ich konnte nichts dagegen unternehmen, es überwältigte mich jedes mal wieder aufs neue. Morgen würde ein weiteres Jahr meines Lebens beginnen, ein weiteres Jahr ohne meine Eltern. Und das vergangene Jahr hatte nun ein Ende, ebenfalls ohne sie. Alles, was ich mit 16 erlebt hatte - ich fragte mich, wie es wohl gewesen wäre, hätte ich meine Mutter und meinen Vater dabei gehabt. Ich holte tief Luft und trocknete mein Gesicht ab. Sie waren im Herzen immer bei mir. Da war ich mir ganz sicher.

Auf einmal hörte ich ein merkwürdiges Geräusch von meinem Fenster. Klack. Schon wieder! Vorsichtig ging ich dort hin und zog den Vorhang ein kleines Stück zur Seite. In diesem Moment flog ein Kieselstein gegen die Scheibe und ich zuckte vor Schreck zusammen. Klack. Verwundert blickte ich nach unten und brauchte einen Moment, bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Meine Augen weiteten sich und ich spürte, wie sämtliche Trauer aus meinem Kopf verschwand und durch Schmetterlinge in meinem Bauch ersetzt wurde. Ich sah direkt in das Gesicht von niemandem geringeren als Ayden, welcher mich verschmitzt angrinste. Schnell öffnete ich das Fenster. "Ayden! Was machst du denn hier? Es ist schon total spät!" flüsterte ich. "Ich weiß, aber mir ging der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass man an seinem letzten Abend mit 16 Jahren nicht alleine in seinem Zimmer sitzen sollte. Deshalb hab ich Tee gemacht..." Er holte zwei Thermobecher aus seinem Rucksack heraus, "...und Kekse mitgebracht." Er zog ebenfalls eine kleine Dose hervor und schüttelte sie, sodass man hörte, dass sie gefüllt war. "Komm runter, wir machen eine kleine Nachtwanderung!" Sein gewelltes Haar glänzte im Mondschein dunkel und dazu könnte wirklich niemand nein sagen. Zu den Keksen, meinte ich. "Oh wow, das hast du für mich gemacht?" Gerührt stand ich einen Moment am Fenster, bis mir auffiel, dass er schließlich auf mich wartete. "Gib mir zwei Minuten, ich bin gleich unten!" Ich schloss leise das Fenster und schlüpfte in eine gemütliche Hose und ein hübsches Oberteil und tapste die Treppe herunter zur Tür.

Draußen wartete Ayden auf mich und als wir so nebenher gingen, spürte ich, wie er meine Hand in seine nahm und eine angenehme Wärme breitete sich in mir aus. "Also, wo gehen wir hin?" fragte ich ihn nach einem kurzen Moment der Stille. "Ich habe gedacht, wir suchen uns einfach eine schöne Wiese und machen dort unser... Mondlichtpicknick." Ich lachte. "Mondlichtpicknick. Klingt aufregend." "Hast du... hast du geweint?" fragte er mich plötzlich vorsichtig. Verdammt. Ich hatte gar nicht über mein fleckiges Gesicht und meine verquollenen Augen nachgedacht. "Was? Weinen? Ich? Nein, nein, ich äh, hab nur eine... Allergie. Gegen Erdnüsse. Es gab Indisches Curry, da sind immer Erdnüsse drin" log ich. Oh Gott, das war mit Abstand die schlechteste Ausrede, die mir hätte einfallen können. Ayden zog eine Augenbraue hoch und sah mich mit diesem kritischen Blick an. "Allergisch gegen indisches Curry", wiederholte er. Ich seufzte. "Okay, das war bescheuert. Es ist nur... Seit ich diesen Traum von meinen Eltern hatte, bin ich manchmal etwas sentimental. Und dass morgen mein Geburtstag ist, macht das nicht besser." "Du hattest einen Traum von deinen Eltern?" fragte er. Ich nickte. Schweigend liefen wir weiter, bis wir einen guten Platz für unser Mondlichtpicknick fanden. Ich fand in seinem Rucksack sogar noch eine Picknickdecke (ein Wunder, dass das alles da hinein gepasst hat) und breitete sie aus. Währenddessen sammelte Ayden ein paar umherliegende Stöcker auf. Ich holte den Tee und die Kekse und als ich mich umdrehte, loderte dort ein kleines Lagerfeuer. "Wie hast du das denn jetzt so schnell gemacht?" fragte ich erstaunt. Er zuckte mit den Schultern. "Warst du noch nie in der Wildnis unterwegs?" Er zwinkerte und setzte sich zu mir auf die Decke. Es war wundervoll. Wir tranken unseren Tee und aßen alle Kekse auf und redeten über alles mögliche. Ich vergaß meine ganzen Sorgen. Ich vergaß, dass ich nur ein fast 17-jähriges Mädchen war, in diesem Moment war einfach nur der glücklichste Mensch auf Erden, nicht mehr und nicht weniger.

Sein GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt