Der Traum

22 6 0
                                    

Nach dem Essen viel ich erschöpft ins Bett. Der heutige Tag hatte mich total durcheinander gebracht und in mir brodelten unzählige Gefühle. Bevor ich jedoch meine Gedanken verarbeiten konnte, schlief ich hundemüde ein.

..."Ari... Ari..." Verwirrt blickte ich mich um. Ich stand am See im Wald, die Sonne schien und es fühlte sich aus irgend einem Grund noch friedlicher an, als sonst. Plötzlich erklang die selbe Stimme wieder, die mich eben gerufen hatte. „Ari, ich bin hier..." Die Stimme war ruhig und hell, fast wie eine Melodie. Ich versuchte ihr zu folgen, doch das war nicht so leicht. Doch dann erklang noch eine weitere Stimme, tief und rau. „Wir sind hier, Ari, beim Wasserfall..." Ich lief so schnell ich konnte zu dem kleinen Wasserfall bei den Felsen, doch niemand war dort. Ich war enttäuscht. Aber dann geschah etwas Seltsames. Der Wasserfall begann zu leuchten und sich wie eine Art Vorgang zu öffnen. Dahinter... stand ich selber? Und ein Mann daneben. Ich kniff die Augen zusammen. Das war nicht ich, sie sah bloß aus wie ich. Eine schöne Frau mit den gleichen langen, dunklen Haaren wie ich. Der Mann hatte meine Augen. Er lächelte und auch sein Lächeln kam mir bekannt vor. Mein Großvater hatte das gleiche Lächeln. „Ari. Du bist so wunderschön", flüsterte die Frau. „Wie vermissen dich so sehr", sagte der Mann. Mir wurde bewusst, wer vor mir stand. Antonia und Jack Valentine. Meine Eltern. „Mum, Dad", wisperte ich, während meine Augen sich mit Tränen füllten. Ich war so überwältigt, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Mein Vater ergriff das Wort: „Wie geht es dir?" „Mir geht es gut, wirklich gut. Meinen Großeltern auch. Aber ich vermisse euch sehr." Eine Träne rollte mir die Wange herunter. Meine Eltern lächelten mich an und ich streckte meine Hand in Richtung des Wasserfalls, um die Hand meiner Mutter zu ergreifen. Doch als ich das Wasser berührte, verschwanden sie auf einmal. „Nein", sagte ich tonlos. „Nein, nein, nein... Mum? Dad!" schrie ich und schlug mit meiner Hand immer wieder durch das Wasser hindurch. „Bitte kommt zurück..."

Ich schlug meine Augen auf. Für ein paar Sekunden lag ich einfach nur so da, doch dann erinnerte ich mich an meinen Traum. Noch im Halbschlaf stand ich auf und betrachtete mich im Spiegel. Auf meinen Wangen waren getrocknete Tränen und ich hatte ziemlich dunkle Augenringe. Ich hatte noch nie zuvor von meinen Eltern geträumt, generell träumte ich eher selten so lebhaft. Ich wünschte ich könnte die Zeit zurück drehen, sie sehen, mit ihnen reden. Auch wenn das alles nur in meinem Kopf geschah. Anfangs war ich verwirrt und durcheinander, doch während des Frühstücks wurde mir bewusst, dass der gestrige Tag der Grund dafür gewesen sein muss. Noch nie hatte ich so viel über meine Eltern geredet. Das hatte dann wohl etwas in mir, in meinem Unterbewusstsein ausgelöst. "Hast du schlecht geschlafen?" fragte meine Großmutter mich, während ich lustlos an meinem Toastbrot knabberte. "Sieht man mir das etwa so sehr an?" murmelte ich. "Oh ja, du siehst aus wie eine Leiche Schatz, nichts für ungut", antwortete sie. "Ich mache dir schnell eine Tasse Tee." "War bloß eine unruhige Nacht", sagte ich, doch dann entschloss ich mich, ihr die Wahrheit zu sagen. "Ehrlich gesagt... Ich habe von Mum und Dad geträumt." Sie blickte mich an, rückte den leeren Stuhl neben ihr an sie heran und klopfte drauf. "Komm, setz dich zu mir." Ich stand auf und setzte mich neben sie und sie nahm mich in den Arm. Keiner von uns sagte etwas, wir saßen einfach nur so da. Ich atmete den blumigen Duft ihres Pullovers ein und der vertraute Geruch von Lavendel beruhigte mich sofort. Sie strich mir über meine Haare und wir verharrten so, bis ich zur Schule musste.

Der Schultag war anstrengend und ich war völlig übermüdet, ich hatte heute keinen Kurs mit Ayden zusammen, also würde ich ihn bestimmt nicht sehen. Sam und Mel fragten mich, was los war und ich erzählte auch ihnen von dem Traum. Erst zögerte ich, aber dann erwähnte ich das Treffen mit Ayden gestern und dass unser Gespräch wahrscheinlich den Traum ausgelöst hatte. Sam zog eine Augenbraue hoch. "Nur damit ich das richtig verstehe... Du bist mit einem Jungen, den du gerade einmal einen Tag kennst, zu deinem Lieblingsort, den du uns noch nie gezeigt, geschweige denn davon erzählt hast, gegangen und hast dann mit ihm über deine Eltern geredet? Obwohl du uns noch nie so richtig von ihnen erzählt hast, weil du dich dabei nicht wohl fühlst?" Sams Worte trafen mich und es zog sich alles in mir zusammen. Hilfesuchend blickte ich zu Mel, doch sie wich meinem Blick aus. "Ich weiß dass das komisch klingt und ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, was gestern mit mir los war. Es tut mir leid Leute, wirklich", sagte ich. Mel atmete tief ein. "Schon okay. Solange du ab sofort ehrlich zu uns bist und nicht irgend einen Typen uns vorziehst, verzeihen wir dir." Sie lächelte. Ich lächelte erleichtert zurück. Sam klopfte mir auf die Schulter und machte sich dann auf den Weg zu seinem Unterricht. "Er ist immer noch sauer auf mich, oder?" fragte ich Mel. "Mach dir nichts draus, du weißt doch dass Sam einfach Unehrlichkeit nicht ertragen kann. Und ich will nicht sagen, dass es mich schon ein wenig verletzt hat...", meinte sie und ich fühlte mich ziemlich schlecht. "Aber ich kann dich auch ein bisschen verstehen. Du scheinst ja voll auf ihn zu stehen", lachte sie. Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss. "Er ist... Nett. Das ist alles." Mel versuchte gar nicht erst, sich das Grinsen zu verkneifen und knuffte mir in die Seite. Lachend gingen wir zum Unterricht.

Sein GeheimnisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt