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Mein Nachtmittagsschläfchen hielt nicht lange an. Ich war zwar ziemlich müde, aber nach guten zehn Minuten wachte ich schon wieder auf. Erst hatte ich vor, es noch einmal zu versuchen, aber vergeblich. In meinem Kopf rauschte es nur so von Gedanken. Ich konnte den heutigen Tag einfach nicht verarbeiten. Ich musste einfach dieses Mädchen wiederfinden. Sie meinte, dass unsere Begegnung auf dem Feld, in meiner eigenen Welt stattfand. Tja, das half mir aber nun auch nicht viel weiter. Ich meine, ich konnte ja jetzt nicht einfach mal so in mein Gehirn hüpfen und eine Tür aufmachen, hinter der meine Fantasiewelt hauste.
Nun gut, das Mädchen hatte ich ja als erstes im Stadtpark gesehen. Vielleicht würde ich sie dort wiedertreffen.
Doch bei dem Gedanken, wieder aufstehen zu müssen, vielen mir meine Augen schon automatisch zu und ich murmelte ein leises "Dafür bin ich aber viiiiiel zu müde!" vor mich hin.

"Also so lahmarschig hätte ich dich nicht eingeschätzt", hörte ich plötzlich eine Stimme. Ich schlug meine Augen blitzschnell auf und schrie vor Schreck einmal kräftig auf.
Siehe da: Das Mädchen mit den blauen Haaren saß mir gegenüber auf dem Fensterbrett, das zu meinem Balkon gehörte.
Ich war nicht der schnellste Denker und brauchte daher erst einmal ein paar Sekunden, um die Lage zu analysieren.
Von unten hörte ich plötzlich die Stimme meiner Mutter: "Jess? Ist alles okay?"

Hatte ich etwa so laut geschrien?

"Ja ja, alles okay!", rief ich zurück.
Ich starrte das Mädchen an. Sie starrte mich an. Ich wartete darauf, dass etwas passierte. Sie wartete auf das Gleiche. Dann sagte sie endlich etwas und brach damit die unangenehme Stille: "Ich dachte, du stehst so auf Geheimnisse. Hab echt mehr von dir erwartet!"
"Ähm was?", nun bekam ich auch wenigstens Etwas heraus.
"Naja, ich dachte, du würdest mir folgen, aber du kamst nicht. Deshalb komme ich jetzt zu dir, weil mir das einfach zu lange dauerte", fuhr sie fort.
Eigentlich hatte ich total viele Fragen an sie, aber mehr als "Ähm was?" schien ich heute nicht mehr herauszubekommen.
"Komm mit, Jess! Ich weiß, dass du sehr viele Fragen an mich hast, aber die kann ich dir hier nicht beantworten", sagte sie. Danach sprang sie vom Fensterbrett, landete gekonnt, ging zum Balkon und öffnete die Tür. Ein kalter Wind stieß in mein Zimmer und eine Gänsehaut überfiel mich. Was hatte sie jetzt nur vor? Sie stieg nach draußen, drehte sich zu mir um und machte eine Kopfbewegung, die mir zu verstehen gab, ihr zu folgen. Ich lag immer noch halb auf meinem Bett, rappelte mich nun langsam auf und ging Richtung Balkon. Ich folgte ihr nach draußen und stellte mich neben sie. Sie drehte ihren Kopf noch einmal in meine Richtung und schaute mich mit ihren gelben Augen an. Wie verrückt das auch alles klingen mag, aber ich hatte keine Angst. Ich hatte keine Angst vor ihr, vor der nächsten Aktion, die sie starten würde oder sonstigem.
Sie stützte sich mit ihren Armen auf den Rand des Balkons auf, schwang sich nach oben und setzte sich nieder. Ich tat das Gleiche und nun saßen wir da so, wie wir da eben so saßen. Mir war plötzlich überhaupt nicht mehr kalt.
Nun sagte sie: "Jess? Vertraust du mir?"
Blöde Frage! Wie sollte ich jemandem vertrauen, den ich nicht mal richtig kannte. Innerlich wand ich mich, doch leider war ich so intelligent, dass ich leise "Ja" sagte und ich mir selber eine verpassen hätte können.
"Gut, dann lass dich einfach fallen!"
Ähm, wie bitte? Ich sollte mich fallen lassen? Von einem Balkon? Ich war doch nicht lebensmüde. Aber da war es auch schon geschehen. Ich sah, wie ihr Oberkörper sich immer weiter nach vorn kippte und wie mein Körper das Gleiche tat. Wir fielen in die Tiefe. Hand in Hand. Ich sah wie der harte Beton Boden vor meinen Augen immer näher kam. Ich schloss lieber die Augen. Das war also mein Ende.

Das Mädchen, das im Asphalt verschwandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt