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Etwas benommen schlug ich die Augen auf. Was ich vernahm war relativ unspektakulär. Feld. Ein riesiges Feld.
Ich stand langsam auf. Mir taten alle Knochen weh.
Die Sonne schien und es war ziemlich warm. Also zog ich meinen Mantel aus und schob meine Ärmel und Hosenbeine hoch, um zu schauen, ob ich mich verletzt hatte. Meine Beine und Arme waren übersäht mit blauen Flecken.
Bin ich etwa von etwas herunter gefallen?
Ich drehte mich einmal um mich selbst. Man konnte nichts Hohes sehen, von dem ich hätte runterfallen können und ich glaubte kaum, dass ich vom Himmel gefallen war.
"Doch, könnte man schon so sagen", sagte plötzlich eine Stimme hinter mir. Ich zuckte ein wenig zusammen und drehte mich vorsichtig um. Vor mir stand meine liebe Frau Diebin. Sie blickte erst den Boden an und dann schaute sie mir direkt in die Augen. Ein bisschen machte sie mir nun doch Angst. Sie starrte mich mit einem höhnischen Lächeln an, als ob sie mich gleich fressen würde. Ihre blauen Haare bewegten sich leicht im sanften Wind. Sie hatte ein sehr hübsches Gesicht. Eine perfektgeformte Nase, volle Lippen und eine sehr blasse Haut schmückten es.

Langsam wurde mir bewusst, dass ich nicht mehr an der Kreuzung der Abraham-Street war. Ich war jetzt... Gute Frage eigentlich. Wo befand ich mich überhaupt? Im Jenseits? Im Himmel? War ich etwa tot? Vielleicht wurde ich von einem Auto an- oder sogar umgefahren!
Ich blickte mich noch einmal um, in der Hoffnung, ich würde noch etwas anderes als Feld erblicken. Fehlanzeige! Hier war kein Irgendwo und kein Nirgendwo. Kein Anfang und kein Ende. Ein ziemlich geringes Spektakel, meiner Meinung nach. Ich meine, meinen Tod hatte ich mir schon ein wenig aufregender vorgestellt. Auf Einhörnern in die Ferne reiten. Das wäre 'nen Ding gewesen. Nein, Spaß beiseite.
Aber ein Feld? Ernsthaft? Was sollte ich hier schon groß machen?
"Ähm, du, ich hätte da mal ein paar Fragen", fragte ich das Mädchen nun. Sie zog skeptisch eine Augenbraue nach oben.
Ich fuhr fort: "Erst einmal würde ich gerne wissen wo genau wie uns hier beide gerade befinden. Dann wollte ich dich fragen, wieso ich hier bin und vor allem, wie ich hier her gekommen bin. Bin ich tot oder was? Und wer oder was bist du überhaupt?"
Sie blickte mich starr an und rannte weg. Es sah eigentlich nicht wie Rennen aus. Es sah aus, als ob sie sich teleportieren würde. Ja, genau so sah es aus. Als würde sie sich mit schnellen Sprüngen an einen anderen Ort hinteleportieren. Ich wusste nicht, wie mir geschah und rannte ihr hinterher. Ich rannte und rannte und kam trotzdem nirgendwo an. Kurz blieb ich zur Verschnaufpause stehen und sah, dass ich mich nicht einen Zentimeter fortbewegt hatte. Das konnte doch gar nicht sein. Ich bin doch schließlich wie eine Verrückte gerannt.
Schließlich versuchte ich es noch einmal und hörte plötzlich eine Stimme um mich herum. Ich konnte nicht sagen, woher sie kam, aber ich wusste, sie gehörte dem Mädchen. "Du darfst nicht rennen! Du musst springen", hörte ich sie sagen.
Ich rannte noch immer und mir blieb nichts anderes übrig, als einfach abzuheben und zu springen. Es kam mir vor, als würde ich in Zeitlupe in der Luft herumschwirren. Schließlich landete ich sicher in der Hocke wieder auf dem Boden. Wow, das war eindeutig eine Meisterlandung. Ich versuchte es noch einmal. Und noch einmal. Ich wurde von Mal zu Mal schneller und stand nun vor einem großen Baum. Es war die Eiche aus dem Park. Aber wie konnte das sein? Ich ging auf den Baum zu, an dem auch schon das unbekannte Mädchen auf mich wartete und lässig an dem Stamm lehnte.
Sie stieß sich mit einem Schwung ab und kam auf mich zu. "Bitte sag mir wo ich hier gelandet bin?", fing ich wieder an. Diesmal ein wenig bettelnder. Ein stärkerer Wind schoss nun durch ihre Haare. Ich sah nicht recht. Sie färbten sich nun plötzlich in ein rostfarbenes rot. Jetzt verstand ich überhaupt nichts mehr.
"Sag mir: Wer bist du?", versuchte ich es ein letztes Mal. Diesmal schon fast flüsternd.
Sie grinste mich an und sagte: "Willkommen Jess!"
Dann war sie weg. Schon wieder.

Das Mädchen, das im Asphalt verschwandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt