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Mein Gott, konnte dieses Mädchen denn nicht ein einziges mal auf meine Fragen antworten?
'Ganz ruhig, Jess', dachte ich mir. Es würde bestimmt eine logische Erklärung für alles geben. Ich glaubte schon immer an übernatürliche Dinge, aber... nein, es wäre viel zu verrückt gewesen, daran zu glauben, in einer Parallelwelt gelandet zu sein.
Aber mir viel einfach nichts Passenderes ein.
Halt! Vielleicht hatte mich auf der Straße auch einfach ein Auto angefahren und ich war jetzt bloß ohnmächtig oder lag sogar im Koma. Oder war ich vielleicht sogar schon tot?
Ich hoffte natürlich nicht auf letzteres. Außerdem wäre dann meine Nach-dem-Tod-Welt ziemlich einfallslos gewesen. Ich meine, wenn ich schon nicht mehr mein Leben leben durfte, sollte ich den Rest meines Todes hier auf diesem nicht endenden Feld verbringen? Man sah nirgendwo einen Anfang oder ein Ende. Nur die Eiche hinter mir.

Ich beschloss mich einfach auf den Boden zu setzten und zu warten, dass etwas passierte. Wenn ich schon tot war, wartete ja niemand mehr auf mich.
Mir war warm. Ich bemerkte, dass ich meinen roten Mantel noch anhatte. Hier war es sogar um einiges wärmer als bei mir zu Hause in England. Es war hier eher Frühlingswetter und entsprach den durchschnittlichen Herbsttemperaturen nun überhaupt nicht. Schweißtriefend zog ich meinen Mantel aus und blinzelte in die Sonne. Die Wolken schienen sich langsam von ihr weg zu schieben, was hieß, dass es nur noch heißer wurde. Es fühlte sich aber angenehm an. Ich schloss die Augen und ließ die warmen Sonnenstrahlen in mein Gesicht scheinen.
Nur schleichend kamen mir wieder die Situationen in den Sinn, die geschehen waren, bevor ich hier her kam. Mir fiel wieder ein, dass das Mädchen mein Handy geklaut hatte und ich es lustiger Weise immer noch nicht wieder hatte. Na gut, ich sollte mich abregen. Schließlich war das jetzt wohl mein kleinstes Problem. Obwohl es mir hier ganz gut gefiel. Ich war allein, hatte meine Ruhe, die Sonne schien, es roch angenehm nach Frühling und man hörte den angenehmen Verkehrslärm. Ich zog innerlich eine Augenbraue nach oben. Meinte ich gerade 'Verkehrslärm'? Eigentlich wollte ich an das angenehme Rauschen der leicht bewegten Blätter im Wind denken.
Doch ich wurde aus meinen Gedanken von lauten Motoren und Gestank von Auspuffen gerissen. Sofort riss ich die Augen auf, denn das gefiel mir nicht mehr.
Ich war mir nicht zu hundert Prozent sicher, ob ich mein Schauspiel um mich herum richtig definieren konnte.
Fünf Autos. Zwei Schwarze, ein weißes und ein graues. Das graue stand relativ gefährlich nah an mir. Der Autofahrer des Autos stieg aus und kam wütend auf mich zu. Und ich? Ich saß im Schneidersitz mitten auf dem Asphalt. Ja gut, wieso auch nicht.
Natürlich setzte ich mich in meiner Freizeit einfach auf die befahrene Straße. Das machten viele Leute, die ich kannte. Wenn man drei Leute als 'viel' bezeichnen konnte. Ich unterhielt mich in der Schule oft mit Naomi. Sie war ein sehr nettes Mädchen, aber wir trafen uns nie außerhalb der Schule. Um ehrlich zu sein, weiß ich selber nicht genau wieso.
Dann gab es noch Lilly und Annabel. Wie schon einmal erwähnt, es waren die Klassenbesten, aber keine wirklichen Streber. Man traf sie überall nur zu zweit an und sie waren eigentlich auch ganz sympathisch. Richtige Freunde sind wir aber nie geworden. Ich glaube eine Dritte in ihrer Konstellation passte sowieso nicht rein.
Fazit: Ich war den größten Teil meiner Freizeit allein. Das fand ich aber auch gut so. Ich war nicht eine der Mädchen, die sich in jeden x-beliebigen Typen in der Schule verliebte, seine Zeit nur mit Klatsch und Tratsch verbrachte und seine Abende bei der besten Freundin mit Kissenschlachten verschwendete. Okay, das war vielleicht ein wenig übertrieben und eher ein 'typisches' Mädchen-Klischee.

Nun zurück zum Thema. Ich verbrachte meine Zeit natürlich nicht damit, mich auf die Straßen zu setzten und ein wenig vor mich hin zu chillen.
Nein, ich war ein wenig verrückt, aber so ein Freak war ich nun auch nicht.

Der Mann sah mich wütend an und schrie irgendetwas, was ich nicht verstehen konnte. Alle Stimmen um mich herum hörten sich so weit weg an.
Er packte meinen Arm, um mir auf zu helfen. Doch ich erschrak und sprang auf.

Ich spreizte meine Flügel, die mit rabenschwarzen Federn bestückt waren, hob ab und flog davon.

Das Mädchen, das im Asphalt verschwandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt