Kapitel 4

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Nina lachte, als ihr der Fahrtwind die blonden Locken aus dem Gesicht blies. Sie wusste, dass ihre Haare danach furchtbar aussehen würden und das Bürsten heute Abend ein regelrechter Kampf werden würde. Doch in diesem Augenblick könnte es sie nicht weniger interessieren! Sie saß dort, in ihrem weißen Kleid, einen Sonnenhut mit weißer Schleife auf dem Kopf, den sie festhielt, und lachte. Sie sah zu Zeki hinüber. Er lächelte sie an. Nina wandte ihren Blick wieder der Straße zu. Bäume und Häuser flogen an ihnen vorbei. Sie zuckte zusammen als etwas leicht und vorsichtig auf ihren Oberschenkel gelegt wurde. Zeki zog seine Hand blitzschnell zurück. Er murmelte eine Entschuldigung und fokussierte sich wieder auf die Straße. Er umklammerte das Lenkrad nun mit beiden Händen. Nina nahm vorsichtig seine rechte Hand, verschränkte seine Finger mit ihren und legte ihre Hände in ihrem Schoß ab. Zeki sah sie nicht an, aber sie sah ihn lächeln. Er war so ungewohnt vorsichtig in letzter Zeit, und das machte ihr ein wenig Angst. Sie musste mit ihm reden. Heute Abend noch. Sie schloss die Augen. Sie hatte panische Angst, aber jetzt hatte sie den Entschluss schon gefasst. Und wenn Talanina Allyfimani Soller erst mal einen Entschluss gefasst hatte, dann hielt sie eisern daran fest. Auch wenn die Entscheidung noch so spontan und impulsiv war, jetzt gab es kein zurück mehr. Sie spürte gar nicht, wie ihre Finger den Hut losließen. "Dein Hut!" rief Zeki neben ihr, als das weiße Band an ihm vorbei auf die Straße segelte. Er machte Anstalten anzuhalten, doch Nina stoppte ihn: "Nein... Ist schon okay. Lass ihn liegen" Zeki runzelte die Stirn, brachte aber keinerlei Einwände mehr. Es war einer ihrer Lieblingshüte gewesen. Doch heute war Nina alles egal. Es war nur ein Hut. Manchmal dachte Nina zu viel und angestrengt nach. Und die Ergebnisse waren für jeden um sie herum außerordentlich verwirrend, ergaben jedoch für Nina absolut Sinn. Und irgendetwas sagte ihr in diesem Moment, wo sie so intensiv über die letzten 2 Wochen nachgedacht hatte, den Hut liegen zu lassen. Dass sie etwas, was ihr wichtig war, loslassen musste, um auch die Erinnerungen loszulassen. Für Zeki und auch für sonst jeden um sie herum völliger Bullshit. Doch Nina war überzeugt davon. Und als sie das Nirvana erreichten, hatte sie den Hut, der nun einsam mitten auf der Straße lag, längst vergessen.

Als sie aus dem Wagen stiegen, lief Attila schon strahlend und mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. Zeki grinste und hob die Hand, bereit zum Einschlagen. Sein Gesichtsausdruck, als Attila geradewegs an ihm vorbei zu Nina lief und sie in die Arme schloss, war zum Schreien. "Nina, Kleine!" rief er "Hey, Attila" lachte Nina. Zeki stand immer noch verdutzt daneben. "Ey!" Attila hatte scheinbar erst jetzt bemerkt, dass Zeki auch mit von der Partie war. "Was ey? Rein da, kannst dich gleich um Charlie kümmern! Die Show geht gleich los und die ist immer noch nicht fertig!" Zeki starrte ihn an. Er hatte wirklich geglaubt, Attila und er wären gut miteinander. Aber scheinbar waren Zekis und Attilas Definition von ,Freundschaft' sich so ähnlich wie eine Gazelle einem Blauwal. "Willst du mich verarschen?! Wir sind zum früh..." Aber Attila machte nur eine Handbewegung, als wolle er ein Insekt verscheuchen. Zeki war kurz sprachlos, was nun wirklich nicht oft vorkam, und verschwand dann ohne ein Wort ins Nirvana. Attila strahlte Nina an und schob sie dann auf Armlänge von sich "Sehr schön siehst du aus" "Wir haben uns vor 3 Wochen das letzte Mal gesehen", lachte Nina. "Eben!" Sie schüttelte lächelnd den Kopf. Attila legte ihr einen Arm um die Schulter und fing an, mit ihr die Straße entlang zu spazieren. "Du bist jung, hast gerade dein Abi bestanden, hast sicherlich Langeweile..." "Nein!", lächelte Nina ohne ihn anzusehen. Attila blieb stehen. "Wie, Nein?" Nina drehte sich zu ihm um. "Nein, wie in: Nein, ich werde nicht bei dir arbeiten. Außer ich verliere von heute auf morgen mein ganzes Geld und du willst unbedingt Stress mit Zeki. Ich bin keine Stripperin, Attila! Ich dachte, wir hätten das geklärt" Er seufzte. "Von Stripperin war nie die Rede. Kellnerin, das ist ein Unterschied, Prinzessa" "In Unterwäsche als Arbeitskleidung? Nein, danke!", lachte sie. "Na schön... Wenn du Zeki nichts von meiner Frage sagen könntest..." Nina sah ihn verwundert an. "Seit wann hast du Respekt vor Zeki?" "Seit meine beste Stripperin, seine beste Freundin, nicht mehr auf mich angewiesen ist" Nina grinste. "Von mir erfährt er nichts" Attila sah sie dankbar an. "Nun erzähl mal, was war los bei dir die letzten Wochen? Wie läufts mit Zeki?" Sie spazieren durch die Straßen, redeten, lachten... Doch Nina erzählte nichts über den 2-wöchigen Horror. Sie erzählte von Ausflügen, einem liebenden Stiefvater, einer fürsorglichen Mutter und einem Bilderbuch-Urlaub. Jedes Wort war gelogen, doch Attila merkte es nicht. Genauso sicher, wie sie wusste, dass sie heute Abend mit Zeki reden würde, wusste sie auch, dass Attila nichts erfahren würde. Zeki liebte sie, mehr als irgendjemand sonst es je könnte - Aber er würde Nina zuliebe nicht zu ihrer Mutter fahren um jemanden zu verprügeln und er würde auch niemanden anzeigen. Attila würde vermutlich beides tun. Bei seinem Temperament... Er kannte Nina nicht lang, aber er liebte sie abgöttisch. Niemand wusste, wieso. Ausgerechnet Attila! Aber Nina mochte ihn auch. Sie hatte keine Ahnung, dass auch Attila Geheimnisse vor ihr hatte. Warum er Nina so mochte.
Attila war nicht immer Zuhälter und Barkeeper gewesen. Einst war er verheiratet, mit einer Frau, die er sehr liebte. Sie war seine erste große Liebe... Und auch seine letzte. Attila hätte glücklicher nicht sein können, sie hatten sich ein kleines Haus gekauft. Attila war Modedesigner, auch wenn er nicht viel verdiente und praktisch von seinem Erbe lebte. Und als er dachte, sein Leben könne nicht schöner sein, bekam er die beste Nachricht überhaupt: Seine Frau war schwanger! Noch heute erinnerte er sich wie sie vor ihm stand, die Haare zu einem unordentlichen Knoten hochgesteckt, in einem schlichten, schwarzen Kleid dass er entworfen hatte. Sie hatte seine Hand genommen und auf ihren Bauch gelegt. "Wir werden Eltern" Es war nichts besonderes. Keine riesige Überraschung, kein Geschenk in dem das Ultraschallbild zusammen mit einem Paar winziger Schuhe war - nur diese 3 Worte um ihn wissen zu lassen, wie seine Zukunft aussah. Sie lächelte ihn an. Er schrie auf.
Attila hielt sie stundenlang im Arm, weinte vor Glück. Er schwor sich, der beste Vater zu sein, den die Welt je gesehen hatte. Und das war er. 4 Jahre lang. Als Camilla auf die Welt kam, war das der beste Moment in seinem Leben. Noch schöner als seine Hochzeit. Die Kleine war seine Prinzessa! Er spielte jeden Tag stundenlang mit ihr, doch vergaß darüber hinaus nie seine Frau wie es bei manch anderen Vätern der Fall war. Sie waren die perfekte kleine Familie. Und Camilla, mit den hellblonden Locken ihrer Mutter, den schwarzen Augen ihres Vaters und den winzigen Sommersprossen auf ihr Näschen gesprenkelt war ihr Zentrum. Dann kam der Tag des Unfalls. Es war Winter, die Straßen waren glatt. Attila hatte seine Frau gebeten, nicht zu fahren, doch sie beharrte darauf, dass sie noch Strumpfhosen für Camilla bräuchte. Außerdem war der Kühlschrank fast leer. Sie nahm Camilla mit, versprach, vorsichtig zu fahren und spätestens um die Mittagszeit wieder zu Hause zu sein - Sie kamen nie zurück. Die Polizei klingelte, erzählte etwas von "einen Hang hinuntergestürzt" und "Auto ausgebrannt" und "Jede Hilfe zu spät", doch Attila hörte gar nicht hin. Sie waren fort. Als die Polizei gegangen war, saß er stundenlang nur am Küchentisch. Bewegungslos. Um 3 Uhr morgens fing er an zu schreien und die Einrichtung zu demolieren, um 4 Uhr an zu weinen... Um 7 Uhr gab er auf. Um 9 Uhr schlief er schließlich ein. Es dauerte Monate, bis er sich eine Arbeit suchte. Nicht, weil er das Geld brauchte, sondern zur Ablenkung. Klamotten Designen, in einem Haus, in dem alles an die beiden erinnerte? Nein. Er suchte sich also neue Arbeit. Erfolglos. Dann nahm er Drogen. Geriet auf die schiefe Bahn. Mit seinem letzten Ged machte er das Nirvana auf, mit dem Wissen, dass es seiner finanzieller Ruin wäre, würde diese Geschäftsidee scheitern. Aber sie scheiterte nicht. Das Nirvana lief hervorragend und beanspruchte seine gesagte Zeit und Energie. Das kam Attila gerade recht. Sein Leben verlief wieder halbwegs geordnet. Er verkaufte das kleine Haus und suchte sich eine Wohnung. Ein Neuanfang. Und trotzdem weinte er sich noch heute jede Nacht in den Schlaf. Weinte um seine Frau und um seine Prinzessa, seine kleine Camilla.
Und jedes Mal, wenn Attila Nina ansah, sah er seine Tochter. Sie war der Kleinen so ähnlich. Sie hatten die gleichen Haare und Augen, verhielten sich sogar ähnlich. Vielleicht redete er es sich nur ein, aber er wollte so sehr daran glauben: Camilla war erwachsen geworden und zurück gekommen! Sie war nie weggewesen. Er wollte, dass Nina im Nirvana arbeitete. Nicht als Stripperin, natürlich nicht! Er wollte sie einfach nur bei sich haben, wollte Camilla nahe sein. Seiner Prinzessa. Niemand wusste von seiner Geschichte, er war erst Jahre nach dem Unfall nach München gezogen. Und das war gut so. Und während er mit Camilla im Arm zurück ins Nirvana lief, dankte er dem Himmel dafür, dass er ihm seine Tochter zurück gebracht hatte.
Sie hörten Zeki, bevor sie ihn sahen: "Alter, zum letzten Mal: Sie will verfickte WAFFELN! Nix Frenchtoast!" "Wir haben aber keine Waffeln!" "Seh ich so aus als ob mich das interessiert?! Du machst ihr jetzt ihre Scheiß-Waffeln, oder wir beide haben gleich richtig Stress!" Der arme Typ hinter der Bar murmelte noch ein paar nicht sonderlich freundliche Dinge, dann verschwand er in der Küche. "Spast", sagte Zeki halblaut zu sich selbst. Nina und Attila, die in diesem Moment das Nirvana betraten, hatte er noch gar nicht bemerkt. Nina lehnte sich lächelnd an den Tresen. "Frenchtoast klingt perfekt", rief sie Richtung Küche. "Nina, Kleine, es gibt doch noch Leute die Verständnis haben, wenn ein Gericht mal aus ist!", tönte es dankbar aus der Küche. Zeki sah überrascht von seinem Handy auf. "Wo warst du?!" "Wir waren bisschen spazieren. Problem?", antwortete Attila an ihrer Stelle. Zeki knurrte nur etwas Unverständliches. Kurz darauf saßen sie zu dritt an der Bar, lachten, aßen Frenchtoast und redeten. Charlie stieß nach ihrer Show ebenfalls dazu. Gegen Mittag verließen sie das Nirvana wieder und stiegen wieder ins Auto. "Also: Shoppen?" Zeki grinste sie an. "Nach Hause und Kisten ausräumen! Dann ne Liste machen mit den Dingen die wir noch brauchen und DANN Shoppen", erwiderte Nina lächelnd. Zeki stöhnte und ließ seinen Kopf aufs Lenkrad fallen, fuhr danach jedoch zurück nach Hause. "Komm schon, Babe! Ich hab noch nicht mal das ganze verdammte Haus gesehen" "Dann geh dich umschauen" , rief Nina über ihre Schulter zurück. Sie fing an Kiste für Kiste zu nehmen und den Inhalt auf dem Fußboden auszuleeren. Ratlos stand sie vor dem riesigen Berg. Schließlich begann sie, die Umzugskartons mit Begriffen wie "Küche", "Bad" und "Wohnzimmer" zu beschriften. Vor jedem Karton bildete sie Haufen bestehend aus den Gegenständen, die ins jeweilige Zimmer gehörten. Als Zeki von seiner Erkundungstour zurückkam, starrte er sie mit weit aufgerissenen Augen an. "Was zum Fick ist hier passiert?!" Nina zeigte auf ihn "Du", sagte sie, "machst hier weiter, und ich zieh mir was bequemes an" Damit schnappte sie sich Stoffshorts und ein T-Shirt "Ey, warte mal bitte!", rief Zeki, doch Nina sprang schon die Treppenstufen nach oben. Zeki hinterher. "Sortier einfach nach Räumen!" schrie Nina lachend im Laufen. Zeki antwortete nicht. Die Kleine schaffte es gerade noch, sich im Schlafzimmer einzuschließen. Zeki schlug lachend mit der flachen Hand gegen die verschlossene Tür, kapitulierte dann aber und sortierte weiter den Kartoninhalt. Als Nina einige Minuten später in bequemen Klamotten wieder ins Wohnzimmer kam, war er schon fast fertig. Nun begann der spaßige Teil!
"Gefällt mir nicht mehr! Wird ersetzt...Oh, das behalten wir! Verkaufen wir... Schmeißen wir weg. Die Vase könnten wir Charlie schenken!" Nina entschied über das Schicksal der Gegenstände, die Zeki nacheinander in die Höhe hielt und danach auf entsprechende Haufen legte. Ja, Nina war ein Fan von Haufen und Sortieren. Die Begriffe "Bad", Schlafzimmer, Küche und Gästezimmer waren durchgestrichen und durch die Worte "Behalten", "Verkaufen", "Verschenken" und "Müll" ersetzt worden. Nina saß mit einem Block und einem Bleistift auf der Couch und notierte, was noch gekauft werden musste. 3 doppelseitig beschriebene Seiten später saßen sie wieder im Auto, diesmal auf dem Weg zu IKEA. Nina grinste wie ein Honigkuchenpferd und Zeki war glücklich, dass seine Kleine glücklich war!

Niki - Wie Zeki Müller sich verliebte ~ Eine  Fack ju Göhte FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt