Kapitel 1

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♡ Fira 

„Fira?", hörte ich Dean rufen, kniff vor Schreck die Augen zusammen und klammerte mich ans Waschbecken an. Wenn ich ganz leise war, nicht einmal atmete, dann würde er vielleicht wieder gehen. Vielleicht würde er denken, ich wäre gar nicht hier, einfach wieder in sein Auto steigen, seine ohrenbetäubende Musik aufdrehen und wegfahren.

Es klopfte an der hölzernen Badtür und meine verträumte Illusion war dahin. Natürlich. „Bist du da drin?"

Ich schüttelte den Kopf, obwohl er mich nicht sehen konnte. Ich wusste, dass ich etwas sagen musste, sonst würde er hereinkommen. War ja nicht so, als hätte er auch nur ansatzweise Respekt vor meiner Privatsphäre.

„Ja, ich hab nichts an", rief ich verkrampft nach draußen und presste im selben Moment die Lippen zusammen. So ein Mist! War ich eigentlich zu retten?!

Ich hörte ihn lachen.

„Danke für die Info, Kleine, aber ich hab schon verlockendere Angebote bekommen. Zieh dich an und schwing deinen Arsch hier raus, ich will dir was zeigen."

Ich verdrehte die Augen und unterdrückte den Stich, den mir sein Kommentar versetzte. Nicht, dass ich etwas anderes erwartet hatte, ich wurde nur einfach nicht gerne von ihm auf diese Weise beleidigt. Leider tat er das trotzdem dauernd, und ich sagte nie etwas dagegen, sondern lachte meistens nur völlig bescheuert darüber.

„Ich komm ja gleich", erwiderte ich genervt, sah in den Spiegel und begann, mir einen Fluchtplan zu überlegen. Ich konnte da nicht rausgehen. Er durfte mich so nicht sehen. Sowieso sollte ich wahrscheinlich ins Krankenhaus fahren oder so. Die Wunde über meinem rechten Auge, schien von alleine unmöglich heilen zu können und ich glaubte auch, mir eine oder zwei Rippen gebrochen zu haben. Nein, nicht ich hatte sie mir gebrochen. Das war Sam gewesen.

Ob ich wohl durch das winzige Badfenster hier unbemerkt rausklettern konnte? Wohl kaum. Es war zu klein, und ich konnte ja kaum überhaupt stehen. Wie sollte ich also klettern?

„Fira!", ließ Deans Stimme mich wieder zusammenfahren. Was hatte er es denn so eilig?

„Ich komme ja! Nerv mich nicht!"

„Was kann denn da so lange dauern?!"

Ich schnaubte. Wie konnte ein einzelner Mensch nur so unglaublich nervig sein? Ich liebte Dean, aber er war unmöglich. Seit sechs Monaten war ich jetzt mit ihm unterwegs und er brachte mich Tag für Tag dazu, mein Leben zu überdenken.

„Ich bin eine Frau, ich brauche nun mal Zeit im Bad! Also halt die Klappe jetzt! Ich ..." Meine Arme fuchtelten gestikulierend herum, als ob er mich sehen könnte, wodurch mich auf einmal ein so schmerzhafter Stich durchfuhr, dass ich zusammenzuckte. „Ah!", stieß ich voll Schreck aus.

„Alles okay?", wollte Dean sofort wissen.

„Ja", brachte ich verkrampft heraus, wirkte aber anscheinend nicht ganz überzeugend, denn er rüttelte am Türknauf herum. „Komm nicht rein!"

Natürlich kam er trotzdem rein. Er hatte keine Probleme damit, diese sowieso halb ramponierte Tür einfach aufzustoßen, obwohl ich abgesperrt hatte.

Ich drehte mich schnell weg, wollte um jeden Preis verhindern, dass er meine Wunden sah.

„Was ist hier los?", fragte er schon fast wütend. Ich schluckte und fühlte, wie meine Augen zu brennen begannen, während er hörbar näher kam. Ich trug nur Unterwäsche, fühlte mich also nicht wirklich wohl. Ich wollte ihn nicht hier haben. „Kleine?"

Er fasste mir an die Schulter und ich zuckte zusammen. Nicht vor Schmerz, nur aus Schreck. „Sag mir was los ist."

Ich schüttelte den Kopf, verschränkte die Arme so, dass er meine blauen Flecken nicht sehen konnte. Aber er würde nicht gehen, das wusste ich. Er würde mich zwingen, ihm zu zeigen, was Sam mir angetan hatte. Und dann würde er wütend werden. Auf mich und auf seinen Bruder. Aber am meisten auf mich.

Wohlwissend, dass ich sowieso keine Chance hatte, drehte ich mich um. Seine Augen wurden groß, als er meine Kopfverletzung sah. Mir lief eine Träne über die Wange, die ich erst gar nicht gespürt hatte.

„Was zur ...", begann Dean perplex, brach aber sofort ab. Er wollte mich wieder berühren, aber ich trat einen Schritt zurück. Er starrte mich an. Mahnend, fast schon vorwurfsvoll. Ich schluckte, konnte jetzt keinen Schritt mehr wegtreten, als er seinen Arm ausstreckte und mein Handgelenk umfasste.

„Lass mich bitte!", wehrte ich mich, aber er zog meinen Arm aus seiner Schutzhaltung und mich in sein Blickfeld.

„Zeig's mir!", befahl er in einem Ton, dem ich gerade nicht zu widersprechen wagte. Ich ließ zu, dass er mich betrachtete, obwohl ich mir vollkommen ausgeliefert vorkam. Sein Griff um mein Handgelenk verstärkte sich, fast tat er mir schon weh.

„Was ist passiert?"

Ich schluckte, sagte aber nichts. Sein Blick war tödlich, fast schon schmerzhaft. „Rede!" Ich blieb stumm, woraufhin er einmal schnaubte und mich dann hinter sich her aus dem Bad zog.

„Dean! Lass mich los! Du tust mir weh!" Ich entriss mich seinem Griff, verschränkte die Arme wieder und setzte mich aufs Bett. Mir war klar, wie bockig und zickig das wirkte, aber das war mir egal. Er hatte mich so nicht zu behandeln und das wusste er auch.

„Sag mir bitte, was dir passiert ist", wurde er wieder sanfter, kam mir näher und legte mir eine Decke über die Schultern. Dann setzte er sich einfach neben mich und sah mich wartend an. Ich schluckte. Ich konnte Sam nicht verpetzen.

„Ich ... ich war ..."

„Du warst bei Sammy, nicht wahr?" Ich nickte, wagte es nicht, in Deans Augen zu sehen. Sie waren wunderschön, grün und funkelnd, aber tödlich, wenn er wütend war. Das ertrug ich im Moment nicht. „Was hast du dir dabei gedacht?!", fuhr er mich an. Ich zuckte zusammen, während er aufsprang und sich angestrengt durch die Haare fuhr. „Ich hab doch gesagt, halt dich fern von ihm!" Ich wollte gerade etwas sagen, da unterbrach er mich auch schon wieder, indem er eine Lampe nahm, sie aus dem Stecker riss und gegen die Wand schleuderte.

„Dean!", schrie ich ihn an. Er drehte sich funkelnd zu mir um. Ich hatte keine Angst vor ihm, nur vor der Rechnung, die er uns durch seine Aggression aufs Auge drücken würde.

„Was ist?" Er funkelte mich an und ich deutete hoffentlich vielsagend auf die zersplitterte Lampe, die jetzt am Boden lag. Außerdem hatte die Gipswand wegen ihm ein Loch. Toll.

„Ich werd das nicht bezahlen", sagte ich und ließ mich rückwärts aufs Bett sinken. Im Sitzen tat mir alles weh. Dean seufzte, kam auch zum Bett und legte sich einfach neben mich. Ich starrte an die Decke, wollte ihn auf gar keinen Fall wieder ansehen. Er würd mich nur wieder fesseln - mit diesem Blick, diesen Augen, diesem Vorwurf. Ja, er hatte mir gesagt, ich solle mich von Sam fernhalten. Hatte ich auf ihn gehört? Nein. Hatte er mir Vorschreibungen zu machen? Das dachte er wohl. So war es aber nicht.

„Wieso hast du das gemacht?", fragte er irgendwann ganz leise, gar nicht mehr aggressiv. Ich atmete tief durch, zog mir meine Decke beschützend über und drehte mich zu ihm um.

„Ich wollte mit ihm reden", erklärte ich. Er zog die Augenbrauen hoch, musterte mich für einen Moment und schmunzelte dann leicht.

„Mhm", machte er voll gekünsteltem Verständnis. „Und wie lief's so?"

„Schlecht", seufzte ich ergeben und wandte mich wieder der Decke zu. Irgendetwas ziemliche Feuchtes klebte da über dem Bett und verursachte einen riesen Fleck. Ob das tropfen konnte? Hoffentlich nicht.

„Zieh dir was an, ich fahr dich ins Krankenhaus."

„Was?!", platzte es so ruckartig aus mir heraus, dass ich vor Schmerz zusammenzuckte. „Was soll ich denen dort erzählen?"

„Die Wahrheit."

Ich konnte ihn nur anstarren.

Carry OnWo Geschichten leben. Entdecke jetzt