29. Kapitel

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Das Einzige was wir tun können, ist zu glauben, dass wir die getroffenen Entscheidungen
nicht bereuen.

~ Levi Ackerman ("Attack on Titan")


Drei Stunden später saß Blace bestückt mit neuem Wissen im Speisesaal vor einem Teller Eintopf und wartete auf den General der Gruppe. Kurz vorher hatte er einen Boten mit einer Nachricht losgeschickt, worin er den Krieger bat ihn dort zu treffen, wo er sich in jenem Moment befand. Immer wieder rührte er seinen Löffel durch das dampfende Essen und sah sich im Raum um, aber mehr als unbekannte Gesichter oder Mitglieder der anderen Gruppen konnte er nicht erkennen.
Gedankenverloren schloss er die Augen und dachte an seine erfolgreiche Recherche.
Die Lösung des Rätsels war einfach und dennoch warf sie Fragen auf, Fragen, welche er nicht alleine bantworten konnte. Eine Scryp, eine simple kleine blaue Blume, welche durch dunkle Magie erschaffen wurde und mit ihren Kräften eine Verbindung zwischen der Trigalaxy erschaffen konnte, durch welche man durch den Schleier der Trennung miteinander sprechen konnte. So war es dem Verräter der Garde auch gelungen mit Lykarion in Kontakt zu treten und so hatte er vielleicht auch die Informationen über ihre Mission weitergeben können, um einen Angriff der Scryt heraufzubeschwören, oder aber eine dritte Person, wenn nicht sogar noch mehr, saßen mit dem Schuldigen in einem Boot und erreichten so eine noch komplexere Bandbreite an Verrätern.
Seufzend fuhr sich der Junge über sein Gesicht und öffnete die Augen. Was auch die Lösung war, die Scryp würde sie einen Schritt weiter bringen, einen Schritt näher an die Lösung.
Vollkommen in Gedanken versunken hörte er die näherkommende Person hinter sich nicht und so erschrak er, als sich zwei Hände vor sein Blickfeld legten und ihm ein warmer Schauer über den Rücken jagte.
"Ich sollte herkommen?", vernahm er die melodische Stimme des Generals nah an seinem Ohr, ehe dieser ihm einen sanften Kuss auf den Scheitel gab.
Erneut ein warmer Schauer, der allerdings diesmal durch seine gesamten Glieder fegte und ihn von innen heraus erwärmte. Schnell räusperte er sich, legte seine Hände auf die des Neuankömmlings und lächelte leicht: "Ich hab neue Informationen."
Sofort war der General bei der Sache, ließ seine Hände sinken und setzte sich dem Jungen gegenüber: "Ich bin ganz Ohr! Auch wenn ich nicht erfreut bin, du solltest dich ausruhen. Deine Wunden sind..."
Kopfschüttelnd unterbrach er seinen Freund: "Meine Wunden sind so gut wie verheilt, ein paar Tage noch, dann ist alles vergessen und nur noch Narben erinnern daran. Kyrells Tod ist wichtiger! Der Verräter ist wichtiger!"
Gwyn presste resigniert seine Lippen aufeinander, ehe er etwas kaum verständliches vor sich hin murmelte: "Deine Gesundheit ist ebenso wichtig..."
Blace legte den Kopf schief und sah ihn mit einem irritierten Blick an: "Was hast du gesagt?"
Seine Frage war kein Scherz, er hatte die Worte des Generals zuvor tatsächlich nicht verstanden und nun war er neugierig.
"Egal. Fahr fort! Was hast du gefunden?", wo vorher noch ein lockerer Freund gesessen hatte, saß kurz darauf wieder der dritte Offizier, welcher ganz darauf aus war das Rätsel um den Verräter zu lösen. Die lockere, gar lässige Haltung, die Umarmung und auch der Kuss gerieten in den Hintergrund, als der Braunhaarige seine Arme verschränkte und den Violettäugigen abwartend ansah.
"Unsere Lösung ist eine Blume!", gab der Junge seine knappe Antwort und atmete tief durch.
Natürlich wusste er in was für einer Position sein Gegenüber sich befand, aber jedes Mal aufs Neue war er überrascht, wie schnell dieser von seinem eigentlichen Gefährten, dem liebevollen Magier, zu einem Krieger wurde, dessen Blick nichts von seinen inneren Gefühlen verriet.
"Eine Blume soll der Verräter sein?", argwöhnisch zog Gwyn eine Augenbraue in die Höhe, seine Augen wirkten herablassend, aber der Junge wusste es besser, dem General fehlten Informationen und diese würde er ihm nun geben.
"Nicht direkt der Verräter, aber sie hat ihm geholfen. Ich weiß nicht, ob du schon einmal von einer Scryp gehört hast. In der früheren Zeit der Geschichte galt sie als Heilpflanze, kurz darauf als Unkraut, bis man schlussendlich herausfand, dass dieses Mondscheingewächs durch und durch von schwarzer Magie durchzogen war. Hexer nutzten sie für dunkle Rituale und so beschloss man vor rund hundert Jahren diese Blume mit Magie zu verbannen. Seit dem kann eine Scryp nur noch mit schwarzer Zauberei erschaffen werden."
"Und wie soll uns das helfen?", Gwyn räusperte sich und lockerte seine Schultern.
"Mithilfe dieser Blume kann man zwischen den Welten kommunizieren. Dem Erschaffer ist es also möglich sowohl nach Lutanos, als auch nach Myrandi Nachrichten zu schicken, oder aber auf der Ebene unserer Welt. So musste der Verräter auch keinen Botenvogel nutzen!", Blace seufzte und fuhr sich kurz durch sein Gesicht.
"Das heißt wenn der Schuldige wirklich hier in der Garde ist, befindet sich irgendwo in Terabaslia eine Scryp? Und wenn wir diese finden, finden wir automatisch den Verräter?"
"Indirekt schon, aber diese Blume blüht nun einmal nur im Mondschein, sie dürfte also in keinem Haus oder Zimmer untergebracht sein. Es ist gut möglich, dass die Blume sich auch an einem öffentlichen Platz befindet! Nur eben versteckt."
Gwyn nickte verstehend: "So hätten wir die Blume aber keinen Verräter. Trotz allem könnten wir diesen eben durch die Blume finden!"
"Wenn er in der Nähe von ihr ist, ja, aber ansonsten?", Blace legte den Kopf schief und blickte verwirrt drein.
"Du hast bei Meliondas Vorträgen während dem Training wohl nicht aufgepasst, was? Erinnerst du dich nicht an unsere Lektion mit der Eliomuni? Magie hinterlässt Spuren, die Magie eines jeden Lebewesens, deine, meine, die der anderen Magier, jede hat ihre eigene Nuance! Die kann man finden, zurückverfolgen und dann schnappt das Seil zu, verstehst du?"
"Das wäre dann wohl die Lösung des Rätsels und doch habe ich das Gefühl, dass es niemals so einfach sein wird, wie wir es uns vorstellen!", nachdenklich bettete der Halbgott seinen Kopf in seine Hände und hoffte darauf, dass ihr Vorhaben ein gutes Ende finden würde.
Es musste einfach so sein! Sie mussten den Schuldigen finden und Kyrells Tod aufklären!
Gwyn stand langsam auf und platzierte sich hinter dem Stuhl des Jüngeren, ehe er seine Hände auf dessen Schulter legte und vorsichtig begann diese zu massieren.
"Was tust du da?", wollte der Schwarzhaarige wissen und legte seinen Kopf so weit in den Nacken, dass er den General von unten ansehen konnte.
"Du bist zu angespannt! Wir werden es schaffen!", aufmunternd lächelte der braunhaarige Krieger ihm zu und lehnte sein Haupt nach unten, so dass sich ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt befanden, "Vetrau mir einfach."

Blace schritt langsam durch die Gänge des Schlosses, betrachtete ab und zu die Trainingseinheiten der anderen Krieger draußen im Vorhof und blieb schlussendlich vor der braunen Eichentür stehen, welche zu seinen Gemächern führte. Automatisch glitt seine Hand in seine lockere Tasche, ehe er den Schlüssel in die Luft hob und die Pforte mit einem einfachen Drehen öffnete.
Seufzend trat er in sein Zimmer und lief sodann direkt zu seinem Fenster um die Aussicht auf die schneebedeckte Stadt zu genießen. Er musste seinen Kopf frei kriegen, seine Gedanken ordnen und seine Gefühle sortieren, andernfalls würde ihn das Gedankenchaos noch in den Wahnsinn treiben.
Womit sollte er beginnen? Bei den neugefundenen Informationen über den Verräter, welche Gwyn den anderen mitteilen wollte? Bei ihrem Verdacht, dass Riva, der Stadtherr von Pando etwas mit dem Angriff auf die Unschuldigen zu tun hatte? Oder sollte er doch lieber bei seinem rasenden Herzen und den rosigen Wangen beginnen, welche immer auftauchten, wenn der General sich ihm näherte? Sollte er mit ihm über seine Unwissenheit sprechen? Seine Ängste offenlegen? Vielleicht sogar seine Vergangenheit?
Vor Anspannung begann der Körper des Jungen zu beben, er zitterte, obwohl es in seinem Zimmer angenehm warm war fühlte er sich plötzlich, als sei er in ein eiskaltes Schneebad geworfen worden. Schnell schüttelte er den Kopf und griff nach seinem Umhang, ehe er sich diesen um die Schultern warf und sich unter dem Fenster auf den Boden setzte.
Er vertraute seinem Freund doch, oder?
Irgendwann musste es Gwyn erfahren, andernfall würde der Silberäugige seine panische Angst vor der dunklen Magie nie ganz nachvollziehen können. Die Angst vor seiner eigenen Macht. Blace seufzte und vergrub sein Gesicht in den Händen, ließ die Schultern hängen und schloss verzweifelt die Augen. Es war, als säße er zwischen zwei Stühlen. Auf der einen Seite wollte er dem General seine Vergangenheit erzählen, ihm seine Ängste anvertrauen und vielleicht sogar mit ihm gemeinsam all das verarbeiten, andererseits schämte er sich. Er war schwach gewesen und dies wurde ihm in seiner Zeit in der Garde nur noch bewusster. Viel früher hätte er sich gegen seinen Erzeuger auflehnen sollen und seine Machenschaften zunichte zu machen, aber wie? Selbstmitleid würde ihm nicht helfen, genau aus diesem Grund hatte er sich geschworen stärker zu werden, viel stärker und eines Tages würde er vielleicht seinem Vater direkt gegenüber treten und mit ihm den finalen Kampf ausfechten und eines war sicher, er würde nicht verlieren.
Komme was wolle, er würde gewinnen.
Für sich selbst.
Für Gwyn.
Für die Garde.
Aber vor allem für ganz Aryden.

Fest entschlossen stand er auf und spannte seine Schultern kurz an, ehe er seine restlichen Muskeln lockerte und auf seine Zimmertür zusteuerte. Egal in was für einem Zwiespalt er sich befand, er schuldete es ihm. Er schuldete Gwyn die Geschichte hinter seiner Fassade. Die Geschichte hinter der Angst und hinter dem Verdrängen seiner Kräfte.
Seufzend lief er auf den Flur und die Gänge entlang, sicher, dass er diesen Schritt wagen würde.
Doch würde er es schlussendlich schaffen? Er erwartete kein Mitleid, das wollte er auch nicht, aber wünschte sich trotz allem Verständnis und die starken Arme des älteren Krieders, welche ihn halten würden, wenn er die Karten offen auf den Tisch legte.
War das zu viel verlangt?

Mit dem Herzen eines Engels (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt