4. Kapitel

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Das Auge sieht nur, was der Geist bereit ist zu verstehen.

~ Henri Louis Bergson


Gras strich über die geschundene Haut des Jungen, als dieser in einer Welt landete, welche der unseren sehr ähnlich zu sein schien. Der kühle Abendwind ließ seine dunklen Haare seicht wehen, als sein Bewusstsein langsam wieder zu sich kam. Stöhnend öffnete er die Augen und hielt sich die schmerzende Seite, als er sich aufrichtete und seine Rippen drohend knackten. Langsam klärte sich sein Blick und er erkannte die wunderschöne Umgebung, die ihn umfing. Bäume, so hoch wie die Wolken, zierten den endlosen Wald in welchem er gelandet war und ragten in den sternenbehangenen Nachthimmel. Langsam stand Blace auf und sah sich weiter um. Golden schimmernde Blumen bedeckten den Waldboden und umhüllten ihn mit einem betörenden Duft, aber etwas störte dieses friedvolle Bild.
Rechts von ihm, war der Boden aufgewühlt und einige Äste der dunkelgrünen Bäume waren abgeknickt, lagen wirr herum und hatten einige der schönen Blüten platt gemacht. In diese Richtung musste also Azrael gelaufen sein. Ohne weiter zu zögern rannte der Halbgott los, vergaß seine Schmerzen und dachte nur an das Unheil, was der dunkle Feind in Aryden veranstalten konnte. Selbst seine Umgebung nahm er kaum mehr war, während er blindlings ins Unbekannte rannte und daran dachte was auf diese Welt zukommen könnte.  Aryden, die Welt der Menschen über die er bis jetzt nur in unsagbar vielen Büchern gelesen hatte. Eines Tages wollte er nichts lieber, als die irdische Spezies kennenzulernen und ihre Bräuche und Riten zu erforschen, als er Dreizehn war, wollte er sogar der Garde, oder besser gesagt dem Orden beitreten. Diese Krieger hatten sich gegen Lykarion verschworen und kämpften gegen die Monster, welche sein Vater in diese Welt schickte. Seufzend rannte der Junge weiter und hoffte darauf, dass er Azrael früh genug erreichen würde, bevor noch jemand zu Schaden kam. Er betete zu jedem erdenklichen Gott und schloss kurz die Augen, ehe er plötzlich etwas hörte.
Vor ihm in der Ferne tauchte eine Rauchsäule auf und wirre Schreie drangen wie Nadeln an sein Ohr. Nein, es durfte niemand verletzt sein! Voller Hoffnung beschleunigte der Halbgott seinen Sprint und erreichte schließlich das kleine Dorf vor sich. Mehrere Frauen und Kinder pressten sich ängstlich an eine Hausmauer, während der riesenhafte gehörnte Scryt vor ihnen stand und einschüchternd seine Axt schwang.
"Bitte, lasst uns in Frieden! Ihr bekommt alles was ihr wollt von uns aber bitte, lasst uns in Ruhe oder wenigstens unsere Kinder gehen!", flehte eine junge Dame und fiel vor Azrael auf die Knie, aber dieser lachte das Weib nur aus und wollte sie mit seiner Klinge töten.
"Hey du Monster! Leg dich wenigstens mit jemandem mit deiner Stärke an!", schrie Blace voller Wut und sah sich nach einer Waffe um.
Rechts von ihm stand ein kleinerer Tisch auf dem ein Messer lag, schnell schnappte er es sich und hob es drohend in die Luft.
"Lass die Frauen und Kinder in Ruhe und stell dich mir du Biest!", fauchte er und hatte abermals das Bild von Lillys totem Körper vor Augen.
Dieser Bastard hatte sie ihm genommen, seine erste Freundin und damit auch die ersten Gefühle die der Junge richtig wahrgenommen hatte. Liebe war es zwar keinesfalls, aber er hatte das rothaarige Mädchen gemocht und keinesfalls durfte er diese Erkenntnis vergessen.
Grollend drehte sich Azrael um und durchbohrte ihn regelrecht mit seinen glühenden Augen.
"Du willst tatsächlich sterben Jungchen was?", spottete das Monster und erhob seine Axt.
"Wohl eher du!", knurrte Blace und warf das Messer in seiner Hand im hohen Bogen auf den Feind zu.
Wie so oft verfehlte er keinesfalls und so landete die Klinge im rechten Arm des Scryt, was dazu führte, dass dieser seine Waffe mit einem lauten Knall fallen ließ.
"Du klägliches missgestaltetes Wesen!", brüllte Azrael und rannte auf ihn zu.
Eins stand fest, der Halbgott brauchte eine Waffe und zwar eine richtige. Schnell drehte er sich um seine Achse und fand neben einer der offenstehenden Haustüren einen Bogen und den dazugehörigen Köcher mit einigen Pfeilen. Er würde diese missratene Kreatur durchlöchern und seinem elenden Leben ein Ende bereiten nur damit er keinem weiteren Wesen mehr etwas antun konnte.
"Na komm und hol mich doch!", provozierte der junge Halbgott und blendete die stechenden Schmerzen in seinen Rippen gänzlich aus. Er durfte in diesem Moment nicht abgelenkt werden, eine falsche Drehung, eine Unachtsamkeit und das Biest, welches hinter ihm her war, würde ihn zwischen seinen Händen regelrecht zermalmen. Mit einem lauten Grölen preschte das Monster nach vorne und wollte Blace mit seiner scharfen Klaue erwischen, dieser allerdings rannte bereits in den Wald, in der Hoffnung, dass Azrael ihm folgen würde.
"Du kannst mir nicht entkommen!", schrie das Monster und folgte seinem Feind in das Dickicht.
Hinter sich vernahmen beide das schlagen einer Glocke, das Biest rannte nur unbeirrt weiter, aber der Junge kam kurz ins stolpern. Die Dorfbewohner, welche zuvor angegriffen wurden, riefen also tatsächlich den Orden, dachte er und sprang weiter über das Unterholz hinweg.
Das Biest war nicht allzu schnell, das war sein Vorteil, aber es änderte nichts daran, dass er ungehindert auf seine Magie zugriff, während Blace versuchte so wenig wie möglich von der Seinen zu kosten. Seine Macht würde ihm zwar helfen können, aber er schwor sich diese nur im allergrößten Notfall zu nutzen.
Er musste seinen Gegner soweit es ging, weg von dem Dorf bringen, bevor er einen frontalen Angriff startete, andernfalls, könnte Azrael weitere Menschen verletzten und alles im Umkreis zerstören.

Mit dem Herzen eines Engels (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt