Kapitel 10 - Zartbitter mit Kokosfüllung

443 32 2
                                    

"The most important trip you may take in life is meeting people halfway." – Henry Boye

Dann hörte ich plötzlich Brooklyns Stimme und sprang auf. Auf leisen Sohlen schlich ich mich aus meinem Zimmer durch den Gang und spähte um die Ecke zur Haustür, sodass Brooklyn mich nicht sehen konnte, ich aber mitbekam, was sie sagte. Meine Schwester hatte die Tür aufgemacht. Sie war noch recht freundlich zu Brooklyn.
„Ach du bist's." begrüßte sie Brooklyn mit ihrer sanften Stimme.
„Ist Violet da?" hörte ich sie entgegnen. „Sie hat gestern gesagt, sie möchte heute mit mir noch ein bisschen üben. Du weißt schon..." Summer schien ein bisschen mitleidig.
„Brooklyn, ich weiß, wie wichtig dir das ist und ich weiß, dass Violet das versprochen hat. Sie würde auch nie ein Versprechen brechen, außer wenn es wirklich nicht anders ginge. Aber sie fühlt sich heute wirklich nicht gut. Vielleicht hat sie einfach was Schlechtes gegessen. Tut mir leid, dass du hier für nichts hergekommen bist. Violet hat bestimmt nur vergessen dir Bescheid zu geben."
„Nein, ist schon gut, Summer. Ich hoffe ihr gehts bald besser!" Summer schien zu nicken. Ich glaube sie hatte auch schon die Tür in der Hand um Brooklyn loszuwerden.
„Sie schreibt dir sicher dann noch mal, ok?" Ich hörte, wie sie die Tür schließen wollte, aber Brooklyn warf ein: „Warte!" dazwischen. Die Tür fiel nicht ins Schloss.
„Kannst du ihr etwas von mir geben?" Summer wirkte plötzlich überrascht und unsicher.
„Klar..." stammelte sie.
Ich hörte wie Brooklyn etwas raschelnd aus ihrer Tasche kramte. Es war kurz still, ehe Brooklyn eine Erklärung hinterher schob. „Ich weiß es wirklich zu schätzen, wie Violet alles daran setzt mich nach ganz oben zu bekommen. Sie gibt sich so eine Mühe und ich weiß, dass ich nicht immer einfach bin. Aber sie gibt mich einfach nicht auf, das ist das Besondere an ihr. Sie ist wirklich einzigartig." Summer seufzte gutmütig. „Ich sag ihr, dass du hier warst." Brooklyn wollte sich gerade zum gehen wenden.
„Danke... Ich gehe jetzt besser. Und bitte, sag Violet nicht, was ich gerade gesagt habe, ich bin in diesem Freundschaftszeug nicht wirklich gut. Das ist einfach nicht mein Ding." Summer atmete ruhig ein und aus, als würde sie versuchen ihre Beherrschung krampfhaft aufrecht zu erhalten.
„Brooklyn, jemandem einfach mal danke zu sagen, kann nicht schaden. Das braucht nichts Materielles. Die simpelsten Gesten können so viel bewirken, glaub mir." Brooklyn sagte nichts.
„Ich versteh schon, dein Image.." ergänzte Summer.
„Ich weiß allerdings auch, dass das nicht wahr ist, was du sagst. Du bist die beste Freundin, die Violet jemals hatte. Also probier es einfach, ok?" Brooklyn schien sich unsicher zu sein. Sie konnte jetzt aber auch nicht einfach abhauen. Ich wusste ganz genau, wie Summer sie jetzt ansah. Mit ihrem durchbohrenden, undurchdringlichen Blick. Den hatte sie bei mir auch drauf, wenn ich absolut nicht mit der Sprache rausrücken wollte.
„Es ist nur so kompliziert.... für mich jemanden irgendwie... nahe zu kommen. Ich kann einfach niemanden an mich ran lassen. Ich weiß nicht, ob ich dafür bereit bin." erklärte Brooklyn dann. Meine Schwester schien nur die Schultern zu zucken. Dann wurde sie etwas leiser und ging näher zu Brooklyn. Ich konnte nur erahnen, was sie sagte. Es klang aber, wie: „Ich kann dir diese Entscheidung nicht abnehmen, ich kann nur hoffen, dass du die richtige Entscheidung triffst." Brooklyn wollte sich gerade umdrehen und gehen, da schob meine Schwester noch etwas hinterher.
„Bitte, verletz meine kleine Schwester nicht!" Brooklyn schien schwer und schuldbewusst zu schlucken, ehe sie auf dem Absatz umkehrte und ich die Tür ins Schloss fallen hörte. Ich ließ mich vorsichtig hinter der Ecke blicken, hinter der ich gelauert hatte. Summer erschreckte sich nicht einmal. Sie schien mich schon bemerkt zu haben. Ich sah sie nun bedrückt an. Sie erwiderte meinen Hundeblick.
„Du hast alles mitgehört oder?" fragte sie mich. Ich nickte.
„Hier..." Summer reichte mir eine kleine Schachtel. „Sie wollte, dass ich dir das hier gebe..." Ich nahm das Geschenk entgegen. Es war eine kleine Schokoladenbox, sogar mit meiner Lieblingsschokolade. Zartbitter mit Kokosfüllung.
„Das ist ja meine Lieblingsschokolade. Woher wusste sie, dass ich die so gerne esse?" überrascht sah ich zu Summer auf, die nur genauso ahnungslos mit den Schultern zuckte. Sie strich mir über die Haare und sah mich ernst an.
„Vielleicht hat sie dir ja zugehört... Sieh mal Violet, egal was zwischen euch ist, ich hoffe es wird wieder in Ordnung." Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern. Ich hatte Summer nicht erzählt, was passiert war. Das hatte ich auch nicht vor. Ich wollte nicht, dass sie sich wieder Sorgen um mich macht.
„Ich glaube, es ist einfach sehr schwer für sie, Nähe zuzulassen. Und ihre richtigen Freunde bei sich zu behalten. Echte Freunde... Sei nicht zu hart zu ihr. Sie schleppt eine Menge mit sich rum. Nimm nicht alles zu ernst, was sie angeht. Ich glaube sie ist nur echt verletzlich und hat sich ein Schutzschild angelegt, damit niemand an sie rankommt. Wie jeder andere auch. Du brauchst Geduld um sie zu knacken." Verständnisvoll schaute meine Schwester mich an. Sie hatte recht und nichts desto trotz wollte ich nicht. „Du verstehst das nicht. Sie ist anders. Du kennst sie nicht. Nicht so wie ich sie kenne. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht mal sicher, ob ich sie überhaupt kenne. Sie ist wie ein Geist. Oder eine Erscheinung. Sie ist nie wirklich da, aber doch so präsent." Summer zuckte mit den Schultern und wuschelte mir dann übers Haar.
„Gib ihr doch noch eine Chance. Jeder verdient doch eine 2. Chance oder? Es wäre doch schade, wenn du jetzt alles wegwerfen würdest!" Ich hätte Summer am liebsten angeschrien, dass das doch gar nicht meine Schuld ist. Brooklyn war das Arschloch, nicht ich. Ich kochte innerlich, wusste aber auch, dass Summer nichts dafür konnte. Also ließ ich das einfach über mich ergehen, als Summer an mir vorbei in die Küche ging.
Als ich so alleine im Flur stand, betrachtete ich die Schokoladenschachtel genauer. Es war sogar eine Schleife drumherum. Sie schien sich wirklich Mühe gemacht zu haben. Ich ließ die Schachtel sinken und stürmte in mein Zimmer, meine Tränen unterdrückend. Ich ließ die Tür hinter mir zu schlagen, meinen Kopf von innen gegen die Tür fallen und ließ alle Tränen fließen. Warum war es nur so verdammt schwer? Wieso konnte es nicht einmal einfach sein, Friede Freude Eierkuchen halt?
Als ich an der Tür auf den Boden runter rutschte, bemerkte ich unter mir eine weiße Karte, auf der in schön kalligrafierten Buchstaben mein Name stand. Die Karte musste aus der Schachtel gefallen sein. Ich hob sie auf, wischte mir die Tränen weg und schlug sie auf.
Stockend und mit unregelmäßigem, schluckaufversehrten Atem begann ich die Karte leise vorzulesen.
„Violet, ich weiß ich habe Scheiße gebaut. Unverzeihliche Scheiße. Ich war zu hart zu dir. Ok, eigentlich war ich einfach eine Bitch. Aber ich möchte, dass du weißt, dass ich besser sein möchte. Um genau zu sein: die beste Version von mir selbst.
Du wirst mir wahrscheinlich nicht glauben, aber es tut mir unfassbar leid."
„Stimmt, das kann ich dir wirklich nicht glauben." murmelte ich, bevor ich weiter las.
„Mir fällt es unfassbar schwer, andere an mich ranzulassen. Niemand war jemals für mich da, ich kannte es nicht anders, aber dann kamst du und hast auf einmal alles auf den Kopf gestellt. Ich kann aber nicht alles von einem auf dem anderem Tag umstellen, etwas, was man nie besser wusste. Ich wusste nie wie es ist, richtige Freunde um mich zu haben. Aber das habe ich heute gesehen. Ich habe Fehler gemacht, ich habe nicht gemeint was ich getan habe und ich hoffe du kannst mir verzeihen. Ich brauche dich. Bei mir!
Xoxo Brooks (Wie meine Freunde mich nennen. Das solltest du also auch tun!)"
Ich seufzte verzweifelt auf. „Wieso bin ich eigentlich so?"

Ein paar Tage später lag ich wieder in meinem Bett und wollte gerade das Licht ausmachen um mich schlafen zu legen. Die letzten Tage waren alle annähernd gleich abgelaufen. Ich war nicht zur Schule gegangen. Es waren eh nur noch ein paar Tage bis zu den Ferien, aber ich konnte mich einfach nicht aufraffen. Summer hatte mich einfach in meinem Zimmer gelassen. Sie hatte mich nur einmal zum Duschen rausgeschickt. Spätestens da hatte sie dann gemerkt, dass wirklich etwas gehörig nicht mit mir stimmte.
Als ich jetzt meine Nachttischlampe ausknipsen wollte, klopfte es an der Tür und Summer streckte ihren Kopf durch den Türspalt.
„Hey Mäuschen." flüsterte sie.
„Ich hab schon geduscht!" murmelte ich müde, obwohl ich dann wahrscheinlich eh nicht schlafen konnte.
„Ich weiß, ich wollte dir nur eine gute Nacht wünschen." Mein Blick hellte sich auf.
„Danke, dir auch eine gute Nacht, Summer!" Ich wollte mich eigentlich zum Schlafen rumdrehen, weil ich dachte, dass die Konversation hiermit beendet wäre.
Aber Summer schob sich nun langsam durch die Tür, schloss sie leise hinter sich und sah mich erwartungsvoll mit schiefgelegtem Kopf an.
„Hast du mittlerweile mit Brooklyn geredet?" Trotzig schüttelte ich mit dem Kopf.
„Nein. Ich möchte ihr ja wirklich, wirklich gerne verzeihen. Mir liegt so viel an ihr. Aber irgendwie, egal wie sehr ich es möchte... Ich kann einfach nicht. Weißt du was ich meine?" Nun war ich diejenige, die ihren Kopf schieflegte und Summer gespannt ansah.
Sie kam zu mir und setzte sich auf meine Bettkante. Ich setzte mich auf und sah sie unglücklich an.
„Natürlich weiß ich, wie das ist!" Summer strich mir wie so oft über die Haare.
„Ich war schon so oft in so einer Situation. Und es ist nunmal nicht immer einfach. Du darfst nicht vergessen: Menschen sind nie perfekt. Es wird immer etwas geben, was man an dem Anderem nicht mag. Man kann Menschen nicht komplett verändern. Aber man kann versuchen das Beste draus zu machen." Mir bebte schon die Unterlippe und ich zuckte ablenkend mit den Schultern, weil ich nicht wusste, ob ich noch einen Ton herausbringen konnte ohne den Wasserfall wieder anspringen zu lassen.
„Summer, ich weiß einfach nicht mehr was ich machen soll!" Summer seufzte.
„Ich weiß, mein Schatz. Aber erinnerst du dich an diese Worte? ‚Verzeihen ist schwer, aber nicht verzeihen ist immer schwerer!'" Ich nickte und legte mich dann wieder nachdenklich, an die Decke starrend, ins Bett. Natürlich erinnerte ich mich an diese Worte. An die Worte von meinem Dad.
„Gute Nacht, Summer!"

Ich lag noch etwas wach, bis mein Handy neben mir ein Geräusch von sich gab und das Display aufleuchtete. Es war eine Nachricht und zwar von Brooklyn. „Können wir reden? Bitte?" Ich legte mein Handy zurück auf meinen Nachttisch, sah es aber noch eine Weile an, zweifelnd ob ich antworten sollte.
Ich wurde aber aus meinen Überlegungen gerissen, als es plötzlich an meiner Scheibe klopfte. Was ist denn heute nur los hier? Ich schreckte auf und sah zum Fenster.

Reach for the starsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt