Kapitel 13 - Die Sterne von der anderen Seite der Welt

421 32 3
                                    

"True love will triumph in the end—which may or may not be a lie, but if it is a lie, it's the most beautiful lie we have." – John Green

Meine Mum sah mich enttäuscht an. „Brooklyn, ich bin schwer enttäuscht, was du uns für eine Schande mit ins Haus bringst." Ich kochte erneut vor Wut. Ich merkte wie Violet neben mir zu hyperventilieren begann. Ich musste etwas sagen. Aber ich wusste absolut nicht was.
„Mum, es reicht! Sei einfach leise, ok! Meine Freunde sind nicht irgendwelche rohen, gefühllosen Gegenstände die du einfach loswerden kannst, wenn sie dich langweilen!" Mum kam bedrohlich auf uns zu. Meine Mutter holte aus und knallte mir eine saftige Ohrfeige ins Gesicht. Ich merkte sofort, wie das Blut in meine Wange und Tränen in meine Augen schossen. Violet neben mir schien nicht zu wissen, wie sie reagieren sollte. Sie drückte meine Hand noch fester. Ich merkte wie sie immer weiter zurückging, bis ich es plötzlich knallen hörte. Violet war gegen eine unserer Bedienungen gestolpert, lag nun auf dem Boden, genau wie die Bedienung, die gegen andere Gäste gestolpert war. Wie beim Domino schubste einer den anderen um, fiel und warf versehentlich sein Glas auf den Boden. Es war kurz ganz still als sich der Dominoeffekt aufgelöst hatte und die Aufregung verklungen war. Violet hing komplett verheddert in ihrem Kleid fest und sah mich hilflos an. Ich allerdings konnte mir kaum noch das Lachen verkneifen. So etwas war bei weitem noch nie passiert. Meine Mutter jedoch war kurz davor zu explodieren. „Violet, renn!" murmelte ich. Ich schnappte mir Violets Hand und zog sie hinter mir her zu der riesigen Eingangstür.
„Na komm, mach schon!"

Meine Mutter rannte uns hinterher. Ich drehte mich immer mal um, um zu sehen, ob sie Violet greifen konnte. Sie versuchte sie immer mal zu schnappen. Einmal erwischte sie sogar Violets Arm. Allerdings befreite sich Violet auf eine beeindruckende Art und Weise. Mit einem total rotem Arm, aber glücklich erreichten wir gerade so den Ausgang. Violet drehte sich aber nochmal um und rief meiner Mutter entgegen: „Hat mich auch gefreut Sie kennenzulernen." Meine Mutter schrie wütend auf, ließ an der Türschwelle aber locker.
„Violet Reese, das war ein schwerer Fehler!" Violet aber lachte. Ich hatte sie noch nie so befreit lachend gehört, wie wir nun durch den Schnee rannten, ohne Ziel. Ihre Haare hingen ihr etwas im Gesicht, das Kleid war durchweicht und die Schneeflocken klebten an ihren Wimpern, aber ihre Augen funkelten. Als wir in sicherer Entfernung waren, zog ich sie an mich. Ich vermute, dass sie nie schöner gewesen war, als in diesem Moment. Violet kicherte. „Danke, Brooklyn!"
„Wofür?"
„Ich hatte noch nie so einen Spaß wie heute Abend. Ich glaube deine Eltern mögen mich." Wir mussten beide lachen, bis Violet sich auf Zehenspitzen stellte und mir den befreienden Kuss gab. Und alles fiel von mir ab. Jede Last, jedes Problem, stattdessen begannen die Schmetterlinge wieder zu tanzen.
Ob das wohl Liebe war?

Violet führte mich zwischen ein paar Bäumen einen kleinen Waldweg entlang. „Wo gehen wir hin?" fragte ich sie irritiert. Ich kannte diesen Wald nicht wirklich, der auch aus einem Horrorfilm hätte stammen können. Aber ich vertraute ihr. Es sah zu niedlich aus, wie sie ihr Kleid anhob um über die, am Boden liegenden, Äste zu tapsen. Ich hätte ihr Gesicht immer wieder in meine Hände nehmen können um sie wieder und wieder zu küssen. Wie sie mich so erwartungsvoll ansah mit ihren großen Augen und den klatschnassen Haaren. Zum Glück hatte der Schneefall etwas nachgelassen.
„Das wirst du schon sehen." murmelte sie kichernd. An einem etwas dickerem Baum blieb sie stehen. „Ok, wir sind da." Ich sah mich kurz verwirrt um. Hier war immer noch der gleiche Wald mit den unzählig vielen, gleichen Bäumen. Mehr nicht.
Violet zeigte nach oben, wo sich ein riesiges, aber leicht verstecktes, Baumhaus offenbarte.
Mir wurde schon schwindelig, als ich die lange Leiter nach oben sah. „Nein, Violet, nein, da kriegst du mich nicht hoch!" Violet setzte einen Hundeblick auf und sah mich bittend von unten herab an. „Komm schon. Ich verspreche dir, dieser Ausblick ist unbezahlbar. Die Sonne geht gleich unter. Das willst du doch nicht verpassen, von da oben oder?" Ich kicherte. „Ich habe doch auch von hier einen schönen Ausblick." Ich wollte wieder nach ihrer Hand greifen und sie zu mir ziehen, aber sie hob ihren Arm um den Abstand zu wahren. „Oben Brooks, ok?" Das war das erste mal, dass sie mich so genannt hatte. Wie paralysiert nickte ich. Violet lachte, zog ihre hohen Schuhe aus, nahm sie am Riemen in den Mund und kletterte vor mir nach oben mit einem spielerischem Grinsen auf dem Gesicht.

Ich hatte kein einziges Mal nach unten sehen können in die schwindelerregende Tiefe. Als ich oben angelangte, war ich schon vollkommen fertig mit den Nerven. Violet saß schon grinsend vor mir. Das Baumhaus war größer als es von unten aussah und höher auch. Man konnte aus dem riesigem Fenster über fast alle, in goldenes Licht, getauchte Baumwipfel schauen. Mir kribbelte mein Körper von oben bis unten. Wegen Violet, wegen diesem wunderschönem Sonnenuntergang und weil ich mich unendlich fühlte.
„Jetzt fehlt nur noch der Wein!" grinste ich aus Spaß heraus. Violet hob eine Decke an unter der sich ein Picknickkorb mit ein paar Weinflaschen verbarg.
„Violet!" rief ich überrascht aus. Ich krabbelte auf sie zu und wir verschmolzen zu einem Kuss.
Violet sah mich nach ein paar Sekunden schuldbewusst an. „Was ist denn los?" fragte ich sie und setzte mich neben sie. Ich legte meinen Arm um ihre kühle Schulter.
„War das das erste Mal?" Sie sah mich wieder von unten herab an. Wie ein getroffener Hund. „Was meinst du?" Sie seufzte. „Dass deine Mutter dich geschlagen hat?" Ich wollte es nicht zugeben und mit dem Kopf nicken. Aber ich konnte Violet nicht anlügen. Ich merkte wie Violet vor Aufregung zu zittern begann und sich ein Kloß in meinem Hals bildete. „Nein." erwiderte ich mit brüchiger Stimme. Ich zog mein Kleid ein wenig nach oben, wodurch ein riesiger blauer Fleck an meinem Schienbein zum Vorschein kam.
Violet sah darauf wie ein kleines Kind. Erschrocken und verständnislos. Sie strich vorsichtig darüber. Als hätte sie heilende Kräfte.
„Wieso hast du mir das nie erzählt? Was verheimlichst du mir noch?" Es klang als würde sie jeden Moment anfangen zu weinen. Die gerade noch so glückliche Violet war verschwunden. Ich zuckte kraftlos mit den Schultern.
„Das ist nichts, worüber ich gerne rede... Genauso wenig wie über das Scheiß Alkoholproblem von meinem Vater." Violet schluckte. „Lässt er das auch an dir aus?" Ich konnte Violet nicht mehr ansehen und sah stattdessen zur Sonne, die immer weiter sank. „Manchmal..."
Mal wieder war Violet diejenige, die stürmisch vor mich kletterte und mich küsste.
„Es tut mir so leid. Ich wünschte, ich hätte etwas tun können. Dich beschützen zum Beispiel." hauchte sie dazwischen.
„Du lässt mich alles um mich drum herum vergessen. Das ist das schönste Geschenk, was du mir bieten kannst." antwortete ich daraufhin. Sie öffnete die Augen und sah mich gedankenverloren an. „Niemand wird dir jemals wieder Schmerzen zufügen! Das werde ich nicht zu lassen! Ich versprechs!" Ich war kurz davor zu weinen. Ich weiß nicht was dieses Mädchen mit mir machte, wieso sie meine ganze Gefühlswelt auf den Kopf stellte, aber ich war noch nie so glücklich wie jetzt. Wie sie mit ihrem Kopf an meiner Brust lag und wir gemeinsam zu sahen, wie die Sonne hinter den Bäumen verschwand und die Welt in bunte Farben tauchte. Jetzt war ich mir sicher. Violet hätte in diesem Moment niemals schöner sein können, wie sie verträumt mit ihrem Glässchen Wein vor mir saß und mit bereits glasigen Augen der Welt beim Leuchten zusah. Sie schien plötzlich so erwachsen und bildhübsch als wäre sie einem Gemälde entsprungen. Ich weiß jetzt, wieso sie einem das Gefühl vermittelt, sie würde in einer anderen Welt leben. Denn das tat sie. In einer viel schöneren Welt, als würden alle Träume wahr werden können.
Die Welt war mit ihr bunter und lauter. Ich nahm Dinge nun anders war. Als wäre sie meine Traumfee und würde mir Orte auf der Welt zeigen, die einzigartig waren. Einsame Inseln und Zauberwälder. Das musste wahres Glück sein. Als würde sie einen Filter über alles Dunkle legen und die Farben wieder erwecken. Und plötzlich taten mir alle anderen leid. Sienna und Jenna und Jack. Weil sie keine Ahnung hatten, wie es war aus tiefstem Herzen zu lieben und zu leben. Unendlich zu sein.
„Ich liebe dich!" murmelte ich aus dem Nichts in Violets Haar. Violet hielt kurz die Luft an. „Du hast es wirklich gesagt! Das ist das erste Mal, dass das jemand zu mir gesagt hat!" Ungläubig sah sie mich an.
Violets Lippen berührten meine. Sie schloss die Augen und strich gedankenverloren und ganz sanft mit ihren Fingern über meinen Hals, weiter bis zu meiner Schulter. Als sie meine Schulter berührte hielt sie inne, da ich schmerzvoll zusammenzuckte. Sie hatte einen schmerzhaften Punkt erwischt. „Brooklyn..." murmelte sie.
Diese Flecken waren an meinem ganzen Körper. Aber ich ließ sie mir nicht im Weg stehen. „Mach weiter!" bat ich sie, während ich mich unter ihren Küssen immer mehr veliebte. In sie und ihre magischen Lippen. Sie küsste mir alle meine Schmerzen weg. Dieses Mädchen musste wirklich magisch sein. Denn durch sie hatte ich das Gefühl, dass das die schönste Nacht meines Lebens war.

Reach for the starsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt