Kapitel 6

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Kapitel 6: Mittwoch


Das Zwitschern der Vögel und die Sonnenstrahlen holen mich aus dem Schlaf. Ich reibe mir die Augen und schaue verschlafen auf mein Handy. Es ist schon fast zehn Uhr. Ich blicke zur Seite und merke, dass Kira noch schläft. Ich gebe ihr einen federleichten Kuss und stehe anschließend auf.

Beim Duschen hasse ich mir heute mal besonders viel Zeit. Unter dem Wasser kann ich mich entspannen und die Sorgen, die auf mir lasten, ein wenig vergessen. Ich hoffe mal, dass Kira dadurch nicht wach wird. Ich trockne mich ab und entscheide mich für ein einfaches graues T-Shirt und dunkelblauen, kurzer Hose. Leise schleiche ich durch unser Ferienhaus, um sie nicht zu wecken.

Als ich draußen angekommen bin sehe ich, wie Mika schon am Tisch sitzt, Kaffee trinkt und irgendwas liest. „Guten Morgen“, begrüße ich sie und werde von einem freundlichen Lächeln empfangen. „Guten Morgen Elijah.“ „Du wirkst so gut gelaunt. Hab ich irgendwas verpasst?“ Mika lacht. „Sagen wir es so, es war eine sehr tolle Nacht“, erzählt sie und wird rot. „Ohhhh. Ich versteh schon“, antworte ich und wir beide müssen laut auflachen. „Hast du gut geschlafen Elijah?“ „Das hab ich. Aber Kira ist gestern sofort eingeschlafen. Das sah echt süß aus.“ „Nawww. Das kann ich mir voll gut vorstellen. Geht es dir denn wieder besser?“ Ich nicke. „Viel besser. Hier ist es echt schön. Mir gefällt es hier.“ „Das freut mich zu hören und ja. Es ist wirklich echt schön hier.“ „Weißt du, was mir wir heute machen?“, frage ich Mika mit voller Neugier. „Ich hatte vor heute Abend für uns Koshari zu kochen.“ Ich schaue sie mit großen Augen an. „Kos was?“ „Koshari. Das ägyptische Nationalgericht. Es besteht eigentlich nur aus gekochten Linsen, Reis, Nudeln, Kichererbsen und Soße. Es ist eine Kalorie-Eiweiß Bombe, aber ein sehr sättigendes, veganes Gericht.“ Ich versuche jetzt schon nicht zu kotzen, wie soll das dann heute Abend aussehen. „Das hört sich... naja... sehr... lecker an. Und das willst du kochen?“ „Genau. Aber für euch natürlich mit Pute und Hähnchen dazu.“ „Gut. Ich dachte schon.“ „Was soll das denn heißen?“ „Nichts nichts“ versuche ich mich zu retten. Mit hochgezogener Augenbraue schaut sie mich misstrauisch an. „Du probierst!“ „Aba“, antworte ich und schaue sie wie dieser Emoji mit den Kulleraugen an. „Nein Elijah! Kein aba! Es wird gegessen was auf den Tisch kommt. Wir sind hier nicht bei wünsch dir was, sondern bei so is(s) es.“ Ich schau sie mit offenen Mund an. „Jaa. Brauchst mich gar nicht so anschauen.“ Ich bin wie erstarrt. „Hallooo? Steht in meinem Gesicht irgendwo Schauladen oder was ist los?“, fragt sie und fuchtelt mit ihrer Hand vor meinen Augen. Erschrocken komm ich zurück in die Realität. „Halloo? Ich rede mit dir!“ „Jaja. Alles gut“, versuche ich irgendwas zu antworten. „Mensch Elijah das war doch nur Spaß“, scherzt sie. „Ohhh“, kann ich nur sagen. „Mir ist es ehrlich gesagt scheiß egal was ihr esst, aber ich würde mich freuen, wenn ihr wenigstens probiert.“ Verdammt ´. Jetzt schaut sie mich mit diesem überaus süßen Hundeblick an. Da kann ich doch nicht einfach nein sagen. „Na gut. Ich probier es.“ „Yeahhh“, kommt es freudestrahlend aus ihr heraus. „Aber einen Haken gibt es noch.“ „Welcher denn?“ Sie holt einen Zettel aus ihrer Tasche und legt es auf den Tisch. „Ich hab mir die Zutatenliste mal aufgeschrieben und nachgeschaut. Wir haben kaum etwas davon hier. Ich müsste auf den Khan el Khalil Basar. Du hast nicht zufällig Lust mitzukommen?“ „War das ernsthaft eine Frage? Klar möchte ich mit.“ „Super. Ich habe den anderen bereits eine Nachricht hinterlassen. Brauchst du denn noch irgendwas Elijah?“ Ich muss kurz überlegen. Daher das wir nur kurz einkaufen sind, kann ich mein Handy und so ja hier lassen. „Ich brauche nichts weiter. Von mir aus können wir los.“ „Gut. Dann komm“, sagt sie, nimmt sich ihre Sonnenbrille vom Tisch und geht los.

Das Wetter ist genauso schön wie gestern, nur dass es heute ein wenig frischer ist, was mir aber auch sehr gefällt. „Warst du sehr schockiert, als Jake uns gestern die Vergangenheit seines Dads erzählt hat?“ Ich nicke. „Ja. Ich war sehr schockiert. Ich rechne immer mit allem, aber bin dann immer wieder erstaunt, was wirklich passiert ist.“ „Das kann ich komplett nachvollziehen. Ich war auch sehr schockiert, als er mir das erzählt hat. Er redet ungern darüber und wenn, dann nur Personen denen er sehr vertraut. Er vertraut dir sehr Elijah.“ Das ist jetzt wieder einer dieser Momente, wo ich einfach im Erdboden versinken würde und an cutness sterben zu können. „Das ist echt süß und bedeutet mir viel.“ Sie sagt nichts, sondern sieht mich nur von der Seite an und lächelt.

„Hast du alles?“, frage ich, als Mika mit zwei vollen Tüten aus einen der Läden kommt. „Ich denke ja. Ich habe noch ein paar andere Lebensmittel gekauft.“ „Gib her. Ich nehme dir eine Tüte ab.“ „Das ist lieb von dir. Danke. Dann können wir jetzt ganz in Ruhe zurück laufen.“ Ich nicke und folge ihr. Der Basar war im Gegensatz zu gestern nicht ganz so voll. Ich kann mir echt vorstellen, hier öfters herzukommen.

Mika und ich sind gerade dabei, durch eine etwas abgelegenere Seitenstraße zu gehen, als ich merke, wie zwei Personen uns verfolgen. Ich schaue flüchtig über die Schulter und kann die Gesichter wieder erkennen. Ich habe die beiden vorhin schon auf dem Basar gesehen. „Hinter uns sind zwei Leute, die mir nicht ganz geheuer sind. Lass uns ein bisschen schneller gehen.“ Sie nickt bloß und unser Schritttempo wird schneller. Aber schnell merke ich, dass die beiden uns immer noch Verfolgen. Gerade als ich mich umdrehen wollte, richtet der eine eine Waffe auf mich. „Was...!?“ „Schnauze“, höre ich einen der beiden sagen. Gerade als ich reagieren wollte, spüre ich einen dumpfen Schlag auf meinem Hinterkopf. Ich sehe noch verschwommen, wie Mika festgehalten wird, ehe ich dann zusammenbreche.


Kiras Sichtweise:

Noch etwas verschlafen wach ich auf. „Nanu“, sage ich vor mir hin, als ich merke, dass Elijah nicht mehr neben mir liegt. Er ist sicherlich draußen und hat es sich dort gemütlich gemacht. Mühsam kann ich mich aus dem Bett erheben. Ich bin gestern sofort eingeschlafen. Ich hoffe, dass war für ihn nicht all zu schlimm. Am liebsten würde ich noch weiter liegen bleiben. Es ist einfach so unfassbar gemütlich, aber ich hab so ein Hunger. Erst jetzt merke ich, dass ich es noch nicht mal geschafft habe, mir was anderes anzuziehen. Ich streife mir mein rotes Kleid ab und entscheide mich für ein bauchfreies T-Shirt und eine schlichte graue Hotpants. Anschließend kämme ich noch schnell mein Haar und gehe raus auf die große Terrasse, die alle drei Ferienhäuser miteinander verbindet.

„Guten Morgen“, sage ich in die Runde und setze mich neben Claire. Ich sehe den gedeckten Tisch und werde von himmlischen Düften verzaubert. „Morgen Kira“, wünschen mir die anderen und als wenn Claire meine Gedanken lesen könnte, reicht sie mir eine Kanne mit Kakao. „Danke“, sage ich und schenke mir eine Tasse voll ein. Lecker. Ich nehme mir ein Sonnenblumenkernbrötchen, bestreiche es mit Butter und lege auf jede Seite eine Scheibe Gouda drauf. Ich liebe Käsebrötchen.

Das Wetter ist wieder ausgezeichnet. Ich habe jetzt echt Lust, naher mal ins Wasser zu gehen. Vielleicht ergibt sich heute Abend die Gelegenheit. Am besten nehme ich Elijah mit. So wie damals am See. Das war echt schön. Allein bei dem Gedanken... Uff. „Ihr habt nicht zufällig Elijah gesehen?“, frage ich während des Essens. „Mika ist auch weg“, höre ich von Jake sagen. „Wartet mal. Hier liegt ein Zettel“, antwortet Lina.

Guten Morgen ihr lieben.
Ich habe mir mal den Elijah ausgeliehen und sind zusammen auf den Basar um ein paar Lebensmittel für heute Abend zu besorgen. Wartet mit dem Frühstück nicht auf mich. Hab euch lieb.
Küsschen<3

„Das erklärt natürlich einiges.“ „Mach dir keine Sorgen Maus. Elijah kann gut auf sich auf passen“, beruhigen mich die Mädchen. Ich nicke und esse nebenbei Obstsalat. Der Schlaf tat mir echt gut. Die Tour, die uns Jake gegeben hat, war echt schön, aber auch sehr anstrengend. Mein Highlight waren die Pyramiden. Ich wollte schon immer mal eine aus der Nähe sehen. Ich hoffe, dass ich Elijah überredet bekomme, mit mir in eine der Pyramiden zu gehen. Für ihn habe ich auch eine kleine Überraschung. Ich hab auf dem Basar einen Talisman gefunden. Ich hab mich sofort in ihn verliebt. Der Talisman ist wunderschön. Ich hoffe, Elijah freut sich. Das bekommt er dann zu Weihnachten, zusammen mit einem Armband, was ich anfertigen lies. Es müsste vor Weihnachten per Post kommen. Mal schauen, was die Tage so mit sich bringen.


Meys Sichtweise:

Total verspannt und verschwitzt wache ich auf. Ich hab ganz und gar nicht gut geschlafen, denn ich hatte wieder einen Albtraum. Wieder derselbe. Ich kann das bald nicht mehr. Ob Elijah den selben Traum hat? Ich weiß es nicht. Aber ich spüre irgendwie, dass er auch Albträume hat. Liegt es vielleicht daran, dass wir Zwillinge sind? Ich muss mit irgendwem darüber reden. Aber mit wem bloß? Claire!

Es dauert ein paar Minuten, bis ich es geschafft habe, aus diesen nicht gerade ungemütlichem Bett aufzustehen. Der Abend gestern war noch schön. Nachdem wir alle in unsere Ferienhäuser gegangen sind, haben Claire, Lina und ich noch ein paar Kartoffelchips selbst gemacht. Danach haben es uns alle im größten Bett gemütlich gemacht und noch einen Film auf Netflix geschaut. Ich hab die beiden an dem Abend tief ins Herz geschlossen. Claire ist Elijahs Cousine. Ich vertraue ihr und kann mit ihr sicher darüber reden. Ich hoffe sehr, dass sie nicht sauer oder so ist.

Circa zwanzig Minuten später komme ich frisch geduscht aus dem Bad. Lina ist eine Runde joggen und Claire bereitet das Frühstück vor. Ich muss die Gunst der Stunde nutzen. Ich weiß nicht warum, aber es sind ungefähr 21 Grad draußen und mir ist kalt. Ich versteh das nicht. Ich weiß, dass Elijah das komplette Gegenteil ist. Er könnte im Winter mit kurzen Klamotten herum laufen und er würde nicht frieren. Er ist halt das Feuer und ich das Eis. Ich entscheide mich für meinen Lieblings Hoodie und eine lockere, kuschelige Jogginghose, bürste mir meine voluminösen Haare und gehe raus auf die Terrasse.

Ich mag die Ferienhäuser. Sie sind echt schön gebaut. Die Terrassen verbinden die drei Häuser und was ich am tollsten finde, auf der Terrasse von Claire, Lina und mir gibt es eine Kochinsel. Ich sehe schon, wie Claire dabei ist, das Frühstück vorzubereiten. Na gut. Augen zu und durch. „Guten Morgen Claire“, begrüße ich sie mit einem möglichst glaubhaften Lächeln. „Hey. Gut geschlafen?“, fragt sie mich gleich und wendet sich sofort wieder dem Rührei zu. Soll ich lügen oder die Wahrheit sagen? Ich habe in der Vergangenheit schon oft genug lügen müssen, dann ist es jetzt Zeit für die Wahrheit. „Wenn ich ehrlich sein darf, beschissen.“ „“Was ist passiert?“, reagiert sie gleich liebevoll und gibt mir eine Umarmung. Ich nehme mir ein Glas, gieße Multivitaminsaft hinein und lehne mich an einen der Schränke. „Ich hatte wieder einen Albtraum“, fange ich an. „Schon wieder? Heißt das, du hast öfters Albträume?“ Ich nicke Stumm. „Magst du mir davon erzählen?“, fragt sie mich mit ruhiger, sanfter Stimme. Wieder nicke ich. „Du weißt ja, dieser Mann. Wegen dem mich Jannes und Elijah so zugerichtet gefunden haben. In den Albträumen hab ich immer diese Bilder im Kopf. Von den Nächten. Wo ich...“, doch dann wird es zu viel. Ich breche ab und mir laufen die Tränen übers Gesicht. „Nicht weinen.“ Claire macht den Herd aus, kommt zu mir rüber und nimmt mich fest in den Arm. „Alles wird gut Mey. Ich bin für dich da.“ „D...danke“, antworte ich mit zittriger Stimme. „Wenn ich irgendwas für dich tun kann, dann lass es mich bitte wissen.“ Ich nicke.

Nach dem ich Claire ein wenig beim Frühstück machen geholfen habe, bin ich jetzt glaube ich in der Lage, weiter mit ihr zu reden. „Claire ich muss dir was sagen...“ „Was ist den?“ Das kostet mich jetzt sehr viel Überwindung. „Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll...“ „Nimm dir Zeit Mey. Ich höre dir gern zu. Du schaffst das. Ganz in ruhe“, beruhigt sie mich ein wenig. Ich atme noch einmal tief ein und aus. Wenn ich jetzt anfange, dann gibt es kein zurück mehr. „Na gut. Also... Oh man ist das schwer... Aber... naja... wie soll ich sagen... Ich bin... Elijahs Schwester. Wir sind... Zwillinge.“ Kaum habe ich den Satz beendet, schaut sie mich mit großen Augen und offenen Mund an. Ich wusste es. Ich hätte ihr nicht erzählen dürfen. Oder doch? „Aber...? Wie...? Das ist doch gar nicht möglich.“ „Ich... ich wusste es bis vor kurzen selbst noch nicht. Aber dann habe ich etwas gefunden. Habe recherchiert und war mir dann zu hundert Prozent sicher. Ich hab auch einen Brief gefunden.“ Ich hole das Stück Papier aus meiner Hosentasche und gebe es Claire.


Claires Sichtweise:

Warum ich mir einen Wecker stelle weiß ich auch nicht. Es ist kurz vor zehn Uhr, als ich auf mein Armbanduhr schaue und aufstehe. „Oh. Tut mir leid. Hab ich dich geweckt?“, fragt ich, als ich mitbekomme, dass Lina aufrecht im Bett sitzt. „Nein nein. Alles gut. Ich habe mir auch einen Wecker gestellt?“ „Huch. Warum das denn?“, frage ich neugierig nach.“Ich hab vor, mal wieder eine Runde joggen zu gehen. Das hab ich lange nicht mehr gemacht. Und jetzt ist es noch nicht so warm.“ „Ach so. Dann wünsche ich dir viel Spaß.“ „Danke Claire. Möchtest du vielleicht mit?“ „Tut mir leid. Ich mach jetzt gleich das Frühstück.“ „Darauf freue ich mich schon“, antwortet sie und verlässt das Ferienhaus.

Ein paar Minuten später hab ich es dann auch geschafft mal aufzustehen. Ich nehme mir frische Sachen und beschließe in Ruhe duschen zu gehen. Mey schläft noch, deswegen muss ich ein bisschen leise sein. Ich ziehe mich aus und steige unter die Dusche. Das warme Wasser ist echt angenehm und entspannt meine Muskeln. Ich vermisse Olivia. Sie wollte eigentlich mitkommen, aber sie musste leider wieder in die USA. Sie war das Wochenende davor bei mir. Es war einfach schön. Wir haben sehr viel Zeit miteinander verbracht und waren zusammen... duschen. Das war unbeschreiblich. Allein bei dem Gedanken an die Berührungen wird mein Atem schwerer und ich merke, wie meine Hand nach unten wandert.

Ich mache das Wasser aus, gehe aus der offenen Dusche und trockne mich ab. Ich liebe es, wenn mein Haar nach dem duschen immer so fluffig weich ist. Elijah liebt es, meine Haare dann zu wuscheln, aber er schnurrt immer, wenn ich das bei ihm mache. Das hört sich unfassbar süß an und man bekommt sofort einen Cutnessanfall. Und riechen tun meine Haare jetzt auch wieder schön. Mhhhhh. Nach Pfirsich-Maracuja. Ich ziehe ein etwas größeres, pinkes T-Shirt an und eine blaue Jeans Hotpants, sowie weiße Socken und Badelatschen. Ich weiß. Ich bin komisch. Danach räume ich das Badezimmer noch halbwegs auf und sehe, dass Mey immer noch schläft. Glück gehabt. Ich gehe nach draußen auf die Terrasse und widme mich den Vorbereitungen des Frühstücks.

„Guten Morgen Claire“, höre ich plötzlich, als ich gerade dabei bin, dass Rührei zu machen. Ich drehe mich um und sehe Mey. „Hey. Gut geschlafen?“, frage ich und wundere mich, dass sie einen Hoodie trägt. Wir haben es ungefähr 21 Grad und sie trägt einen Hoodie? Muss ich nicht verstehen. Ich drehe die Temperatur auf eins und mach mit dem Obst weiter. „Wenn ich ehrlich sein darf, beschissen.“ „Was ist passiert?“, frage ich liebevoll und umarme sie. Sie wirkt nervös und ein bisschen ängstlich. Ich hoffe, dass es nichts erstes ist. Sie nimmt sich ein Glas, gießt sich Multivitaminsaft und lehnt sich an einen der Schränke. „Ich hatte wieder einen Albtraum“, fängt sie an. „Schon wieder? Heißt das, du hast öfters einen Albträume?“ Jetzt mach ich mir ein bisschen Sorgen. Sie nickt stumm. „Magst du mir davon erzählen?“, frage ich sie mit ruhiger, sanfter Stimme. Wieder nickt sie. „Du weißt ja, dieser Mann. Wegen dem mich Jannes und Elijah so zugerichtet gefunden haben. In den Albträumen ha ich immer diese Bilder im Kopf. Von den Nächten. Wo ich...“, dann bricht sie ab. Ich sehe, wie ihr die Tränen übers Gesicht laufen. Scheiße. „Nicht weinen.“ Ich mache den Herd aus, gehe zu ihr rüber und nehme sie fest in den Arm. „Alles wird gut Mey. Ich bin für dich da.“ „D... danke“, antwortet sie mit zittriger Stimme. „Wenn ich irgendwas für dich tun kann, dann lass es mich bitte wissen.“ Sie nickt.

„Claire. Ich muss dir was sagen.“, sagt sie, nachdem sie mir ein wenig beim Frühstück machen geholfen hat. „Was ist denn?“ „Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll...“ „Nimm dir Zeit Mey. Ich höre dir gerne zu. Du schaffst das. Ganz in ruhe“, versuche ich sie so gut es geht zu beruhigen. „Na gut. Also... Oh man ist das schwer... Aber... naja... wie soll ich sagen... Ich bin... Elijahs Schwester. Wir sind... Zwillinge.“ Kaum hat sie den Satz beendet, schaue ich sie mit großen Augen und offenen Mund an. „Aber...? Wie...? Das ist doch gar nicht möglich.“ Ich weiß nicht, was ich sagen soll. „Ich... ich wusste es bis vor kurzem selbst noch nicht. Aber dann hab ich was gefunden. Habe recherchiert und war mir dann zu hundert Prozent sicher. Ich habe einen Brief gefunden.“ Sie holt ein Stück Papier aus ihrer Hosentasche und reicht es mir. Ich nehme es und fange an zu lesen.

Liebe Mey,

ich weiß, dass du, wenn du diesen Brief lesen wirst, schon viele Fragen hast, aber ich hoffe, dass sich ein paar davon mit den Zeilen dieses Briefes beantworten lassen.

Wenn du diesen Brief hier liest, bist du gerade 16 geworden. Ich weiß nicht, was du bis dahin schon weißt, aber ich schreibe das wichtigste einfach auf.

Du wurdest am 16. Juli als Caya Mey Black, in Kalifornien geboren, zusammen mit Elijah Black, deinen Zwillingsbruder. Als ihr beide geboren wurdet, wussten dein Dad und ich, dass wir euch nicht zusammen großziehen können. Es war einfach zu gefährlich. In euch schlummern Kräfte, für die andere Leute töten würden. Also hatten wir beschlossen, dich wegzugeben. Dass war die schwerste Entscheidung, die ich je treffen musste. Aber es war die richtige Entscheidung zum Schutz von dir und deinem Bruder.

Nach der Geburt brachten wir dich zu einer Freundin der Familie und du wohntest ab da in Deutschland. Sie kümmerten sich sehr um dich und zogen dich wir ihr eigenes Kind auf. Doch neun Jahre später musste auch ich die Familie verlassen. Die Zeiten wurden wieder schwerer und mit Hilfe unserer alten Studienfreunde täuschten wir meinen Tod vor. Danach ließ ich mich im Exil nieder und warte auf den richtigen Moment, um wieder aufzutauchen.

Wenn du das hier ließt, hoffe ich sehr, dass du mich nicht hasst. Dein Dad und ich haben es gemacht, um euch beide zu beschützen. Du und Elijah, ihr seid ein Teil der Kinder der Zukunft.

Ich werde immer an dich denken

Deine Mum


Meys Sichtweise:

„Ich wusste nicht... wie ich es erklären sollte. Ich hatte oder besser gesagt habe Angst vor eurer Reaktion.“ Mit immer noch großen Mund faltet sie das Blatt Papier zusammen und gibt es mir. Danach kommt sie auf mich zu und nimmt mich ganz fest in den Arm. Überrascht über ihre Reaktion lasse ich mich von ihr in den Arm nehmen. „Das tut mir voll leid für dich. Ich bin dir echt nicht sauer oder so. Das musste echt schwer für dich gewesen sein, als du das herausgefunden hast oder?“ Ich bin ein wenig erleichtert. „Es hat mich einiges an Überwindung gekostet, dir das zu sagen und es wird mich noch mal an Überwindung kosten, es Elijah zu sagen“, erkläre ich. „Das glaube ich dir. Und das du Angst hast, es Elijah zu erzählen, kann ich komplett nachvollziehen. Ich hatte aber ehrlich gesagt schon ein paar Vermutungen was das angeht“, antwortet Claire.

„Echt?“ Ich werde etwas rot. Sie nickt. „Ihr seht euch ziemlich ähnlich. Eure Gesichtszüge sind sehr gleich und ihr habt beide die gleichen, wunderschönen Augen.“ „Ach so. darauf hab ich gar nicht geachtet. Aber wann soll ich es ihm denn am besten sagen?“, frage ich sie mit etwas ängstlicher Stimme. „Das weiß ich leider auch nicht. Aber ich weiß, dass er dich mag und er schon immer eine Schwester haben wollte. Warte auf den richtigen Moment und dann kannst du es ihm sagen.“ Ich nicke. „Danke. Danke, dass du mir hilfst Claire.“ Sie nimmt mich noch mal in den Arm und schaut mich an. „Das ist doch selbstverständlich. Außerdem, sind wir doch eine Familie“, sagt sie und lächelt mich an. „Ich hab dich lieb.“ „Ich dich auch Mey.“

„Kann ich dich noch was zu dem Thema fragen?“ „Klar.“ „Wie hast du das alles herausgefunden?“ Ich trinke meinen Multivitaminsaft aus und rede weiter. „Wir waren letzten Sommer in Kalifornien zum Urlaub. „Wir waren bei „Freunden“ und durch Zufall bin ich auf ein verschlossenes Arbeitszimmer gestoßen. Ich habe gewartet, bis alle schliefen und neugierig wie ich bin, hab ich mich in das
Arbeitszimmer geschlichen. In einer verschlossenen Schreibtischschublade habe ich dann eine Aktentasche gefunden. Dort drin waren sehr viele Unterlagen. Erst als ich ein Bild von mir als Kind dort sah, wusste ich, dass es irgendwas mit mir zu tun haben muss. Ich nahm die Aktentasche an mich und als wir wieder zuhause waren, fing ich an mit dem recherchieren.“ „Was hast du in der Aktentasche alles gefunden?“ „Ich habe viele Unterlagen gefunden, Bilder und Krankenakten. In den Unterlagen zum Beispiel hab ich herausgefunden, dass man mir jeden Monat einen gleich bleibenden Geldbetrag auf ein Konto mit meinem Namen überwiesen hat. Ich konnte ein gefälschtes Schreiben erstellen, mit dem ich an das Geld kam. Es war ein Betrag im mittleren, siebenstelligen Bereich. Aber ich hatte nicht vor, das Geld für irgendwelche sinnlosen Sachen aus dem Fenster zu werfen. Ich rührte das Geld nur für die schwersten Situationen an. Ich setzte mich dann weiter an meine Recherchen und versuchte, mehr zu erfahren. Letztendlich führte es mich dann zu meinem Zwillingsbruder Elijah. Ich versuchte, so viel wie möglich über ihn herauszufinden wie nur möglich. Ich wollte nicht nur wissen, wie er so ist. Ich wollte wissen wie er lebt, was er tut, wer seine Freunde sind, was sein dunkles Geheimnis ist.“ Doch als ich das mit dem dunklen Geheimnis ansprach, erstarrte sie. „Tut mir leid. Hab ich was falsches gesagt?“ „Nein. Nein. Ich find das gerade nur ein bisschen...“ „Krankhaft? Dass ich sozusagen alles über euch weiß?“ Sie schüttelt den Kopf. „Nein. Um Gottes willen. Ich find das ehrlich gesagt spannend. Wir haben ein Freund, der so etwas auch mag.“ „Du meinst Jason?“ Sie nickt. „Auf Jason bin ich auch gestoßen. Aber er war der einzige, über den ich kaum etwas herausgefunden habe. Ich wollte mich in sein Netzwerk einhacken, aber zwecklos. Durch ihn komme ich nicht und vielleicht ist das auch gut so. Naja. Ich habe dann zu jedem von euch eine Akte angefertigt und sie an einem sicheren Ort aufbewahrt. Ich habe nicht das Ziel, sie gegen euch zu verwenden. Ganz im Gegenteil. Ich bin für euch da. Wie du schon gesagt hast Claire. Wir sind eine Familie und Familie hält zusammen.“

„Das freut mich sehr. Und ich hatte nie die Absicht, dich für irgendetwas zu verurteilen. Aber sag mal. Du hast ja sozusagen unser komplettes Leben gelesen , glaubst du, dass es stimmt, dass Mr. Vans etwas großes plant?“ Ich kann leider nur mit den Schultern zucken. „Das kann ich leider nicht sagen. Ich habe über ihm auch am wenigsten erfahren. Das tut mir leid. Aber wenn es stimmen sollte, dann müsse wir uns auf etwas gefasst machen.“ „Das hab ich schon befürchtet. Auch was Elijahs Geheimnis angeht, macht es die Sache nicht leichter.“ Ich nicke. „Mir kamen die Tränen, als ich das gelesen habe. Manchmal wünsche ich mir, ich hätte einiges nicht gelesen.“ „Dass glaube ich dir Mey“, antwortet sie und legt einen Arm um mich. „Aber er nimmt ja Medikamente Claire.“ „Ich denke nicht, dass Elijah für den Rest seines Lebens irgendwelche roten Pillen schlucken will, nur damit er nicht plötzlich umfällt und im schlimmsten Falle stirbt.“ Ich schaue traurig auf den Boden. „Wir finden einen Weg, Elijah zu helfen. Ich weiß zwar noch nicht genau wie, aber uns fällt schon was ein. Sobald wir wieder in der Einrichtung sind, schau ich mal“, versichere ich meiner Cousine. „Wir können nicht viel machen. Es ist unheilbar. Die Pillen, die Elijah monatlich bekommt, lindern den Schmerz, aber verursachen Nebenwirkungen.“ Verwirrt schaue ich sie an. „Nebenwirkungen? Das...das wusste ich nicht. „Das wissen auch nur Dr. Curdle, Elijah, ich und jetzt auch du. Es steht nirgendwo geschrieben, weil es eigentlich keiner erfahren sollte.“ Tut mir leid, wenn ich so neugierig bin, aber...“ „Alles gut Maus. Ich an deiner Stele wäre auch neugierig.“ „Danke für dein Verständnis. Ich muss damit auch erst mal ein wenig umgehen. Verstehst du?“ „Klar versteh ich das. Soll ich noch zu ende erzählen?“ „Gerne Claire.“

„Nur wir vier wissen davon. Also er nimmt es zur Schmerzlinderung, aber leider treten einige Nebenwirkungen auf. Die zwei schlimmsten davon sind in Elijahs Augen die Albträume und die unkontrollierbare Erektion. Er redet nicht gerne mit mir darüber, aber er hat mir oft erzählt, dass es Situationen gibt, wo sein „du weißt schon was“ einfach anschwillt und das kann er nicht kontrollieren.“ „Das ist echt scheiße. Klar ist das mit den Albträumen scheiße, aber das mit der unkontrollierbaren Erektion ist deutlich schlimmer. Muss ich jetzt auf irgendwas aufpassen?“, frage ich vorsichtshalber nach. „Nein. Alles gut. Nur wenn du es eventuell irgendwie bemerkst, dass du dann bitte nichts falsches über ihn denkst, wenn du verstehst was ich meine.“ „Klar. Mach ich“, antworte ich. „Danke Mey. Ich denke, dass war es fürs erste. Ich würde mir wünschen, wenn wir unser Gespräch hier erst mal für uns behalten.“ „Versprochen Claire.“ „Danke. Magst du mir helfen den Tisch zu decken? Die anderen sind sicher auch gleich wach.“ „Klar.“


Elijahs Sichtweise;

„Aufwachen!“, höre ich eine Stimme und im selben Moment wird mir Wasser ins Gesicht geschüttet. „Ahhhh“, wache ich erschreckt auf. „Wo... wo bin ich?“ Ich hab üble Kopfschmerzen. Das letzte, an was ich mich erinnern kann, ist, dass ich mit Mika von Einkaufen zurückkehren wollte. Auf dem Heimweg haben uns Leute verfolgt und plötzlich wurde ich mit einen dumpfen Gegenstand niedergeschlagen. Jetzt bin ich hier aufgewacht und weiß nicht, wo ich bin. Ich habe keine Ahnung, wo wir sind. Hier ist es fast stockfinster. Ich sehe, dass ich in einer Art Zelle sitze. Ich schaue zur Seite und sehe, wie Mika am Boden liegt. „Mika?“, flüster ich. „Du lebst“, antwortet sie erleichtert. Ich nicke. Doch im selbem Moment bekommen wir eine zweite Ladung Wasser ins Gesicht geschüttet. „Was soll das!?“, schreie ich. „Du bist wach Jake. Das ist gut“, höre ich eine Person sagen. Jake? „Wo sind wir hier?“, versuche ich herauszufinden. Zwei Männer treten ins Licht des Raumes. Der eine sieht aus, als wäre er von der Armee und hält ein Sturmgewehr in der Hand und der andere Mann, etwas größer, trägt einen schwarzen Anzug und hat eine unberechenbare Miene. Ich schau zu Mika und als sie den Mann in schwarz sieht, erstarrt sie. „Wo sind wir hier?“, wiederhole ich meine Frage. Der größere Mann lacht. „Jake, Jake, Jake. Sei doch nicht immer gleich so neugierig. Alles zu seiner Zeit.“ Erst jetzt merke ich, dass ich an etwas fest gekettet bin. Er öffnet die Zelle und hockt sich vor Mika hin. Ich höre, wie sich die Atmung von Mika von Sekunde zu Sekunde erhöht. „Hach Mika. Einfach abhauen. Das macht man doch nicht. Ich hab dich vermisst.“ Er nimmt ihr Kinn in die Hand, sodass sie ihn anschauen muss. Es schmerzt, sie so zu sehen. Ich erkenne die Angst in ihren Augen. „Fass mich nicht an!“, reagiert sie. Doch er lacht bloß „Freundlich wie immer. Mal schauen, ob du es immer noch drauf hast.“ Er löst sie von den Ketten, packt sie am Arm und zerrt sie aus der Zelle. „Lass sie in Ruhe!!!“, schreie ich hinter her. Doch statt zu antworten, zielt der andere Typ mit seiner Waffe auf mich und landet einen Treffer direkt an der Wand neben mir. „Nächstes mal trifft der Schuss.“

Jetzt sitze ich hier mit einem Adrenalinschub und weiß nicht, was los ist. Was macht er jetzt mit Mika? Ich mach mir Sorgen. So wie er rüber kommt, traue ich ihm alles zu. Und warum nennen mich die beiden Jake? Warte... Denken die etwas...? Scheiße. Ich sehe Jake zum Verwechseln ähnlich. Ich ziehe meine Beine an und vergrabe die Hände in meinem Gesicht.

Elijah, Kira und das Geheimnis der Mitbewohner 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt