Kap. 2 - Träumst du immer noch? ༒︎

10 0 0
                                    

Müde öffne ich meine Augen.
Mein Kopf schmerzt und mein Atem ist flach.
Ich liege auf dem Rücken in meinem Bett.
Durch mein Fenster zieht ein feiner Luftstoss ins düstere Zimmer hinein.
Habe ich geschlafen?
Habe ich geträumt?
Ich kann mich nicht mehr erinnern.
Ich verspüre den Drang, die Toilette aufsuchen zu müssen.
Langsam schwinge ich meine Beine aus dem Bett.
Das tapsen meiner nackten Füsse klingt auf dem knarrenden Holzboden schrecklich laut.
Meine Hand lege ich sachte auf den Türgriff.
Leise, um die anderen nicht zu wecken, öffne ich meine Zimmertür.
Das alte Holz gibt stöhnende Geräusche von sich, als ich die Treppe hinab steige und das heulen des Windes ist leise zu vernehmen.
Diese beengende Leere.
Das Adrenalin schiesst mir in die Adern.
Mein Herzschlag erhöht sich.
Unzählige Bilder erscheinen in meinem Kopf. Mina. Mina! MINA!
Wo ist sie? Meine panischen Schritte die Treppe hinunter hätten auf jeden Fall das ganze Haus aufwecken müssen, doch heute blieb es still.
Ich renne zu Mina's Zimmer.
Meine Hände reissen zitternd die Türe auf.
Meine Füsse stehen mitten im roten Nass.
Mein Blick gleitet langsam über das rot getränkte Leintuch.
Ihre kalten, toten Augen weit aufgerissen, ihre hübsche Haut blutbefleckt.
Den Kopf nach hinten über die Bettkante hängend, ihre Arme verdreht und ihr Nachthemd zerfetzt.
Ihr bereits kaltes Blut über meine nackten Füsse laufend.
Die Stille. Die Leere. Alles beginnt sich mit Schreien zu füllen. Verzweifelte, um Hilfe rufende Schreie. Schmerzensschreie.
Die Dunkelheit verschlingt mich.
Die Bilder vor meinem inneren Auge werden deutlicher, während alles um mich herum verschwimmt.

"Mina!"

------------------------

Eine verschleierte Gestalt huscht vor mir durch die dunklen Strassen.
In eine dicke Flickendecke gewickelt sitze ich verlassen am Strassenrand, starre die vorübereilenden Passanten an und warte.
Meine Augen haben sich mit Leere und Einsamkeit gefüllt.
Das ist das Ende.
Mina.

------------------------

Als ich wieder erwache, ist es bereits dunkel.
Ich schlottere trotz der warmen Decke.
Langsam erhebe ich mich von der kalten Strasse und falte meine Decke zusammen.
Stimmt. Ich muss Mama suchen gehen.
Die Zikaden zirpen bereits seit Anfang Frühling laut.
Das Licht der Strassenlaternen flackert auf, erlöscht jedoch kurz darauf auch schon wieder.
Es wird immer dunkler.
Büsche wachsen am Rand der, zu einem Kiesweg verkommenen, Strasse.
Bevor ich mich entsinnen kann, wohin ich eigentlich unterwegs bin, stehe ich vor einem grossen, stählernen Tor.
Leise lege ich meine Hand auf das kalte Metal und stosse das Tor auf. Langsam taste ich mich in die tiefschwarze Finsternis hinein. Ich erkenne die schwachen Umrisse eines länglichen Gebäudes in der Ferne. Langsam bewege ich mich darauf zu. Die Windstille lässt ein beengendes, bedrückendes Gefühl in mir aufsteigen. Ich höre einen Ast knacken und kehre dem Gebäude auf der Stelle den Rücken zu. Ich lausche.
Nichts.
Nur diese verängstigende Stille.
Plötzlich spüre ich, wie sich etwas kaltes, spitzes an meinen Hals drückt.
Ich hechle nach Luft.
Blut läuft meine Kehle hinunter.
Meine Hände klammern sich am Messer fest und versuchen vergeblich, sich loszureissen.
"W- Wer.. ?", bekomme ich gerade noch so heraus, bevor meine Arme den Widerstand aufgeben und mir endgültig der Sauerstoff ausgeht.
Ich fühle nichts mehr.
Es schmerzt überhaupt nicht mehr.
Ich öffne meine, vor Angst zugekniffenen, haselnussbraunen Augen wieder und taumle erst mal zwei Schritte nach vorne.
Ein Junge, ich schätze drei Jahre älter als ich, starrt mich mit zusammengekniffenen Augen und gebleckten Zähnen an.
"Ein Mensch..?", höre ich ihn leise murmeln.
Ich will abhauen, doch meine Beine bewegen sich nicht.
Ich will schreien, kriege jedoch keinen Ton heraus.
Der Junge kommt einen Schritt näher, so dass er jetzt frontal vor mir steht.
Er ist ungefähr einen halben Kopf grösser als ich und seine dunkelblonden Haare sehen ungepflegt aus.
Schmutz klebt an einem weissen Verband, welchen er an seinem linken Arm trägt. In der Klinge in seiner Hand spiegelt sich mein, vor Schreck verzerrtes, Gesicht.
"Wie ist dein Name?", fragt der Junge.
Ich will weglaufen, doch mein gesamter Körper scheint immer noch wie erstarrt.
Der Junge stützt seinen rechten Arm auf einen Stein auf dem Boden ab.
Mein Blick schweift noch ein zweites mal über den Stein.
"Jennie Hive-..", soviel kann ich von der heruntergekommenen Inschrift noch entziffern.
Ein Grabstein!
Bin ich auf einem Friedhof?
Der Junge hält mir erneut das Messer an den Hals und wiederholt: "Wie ist dein Name?"
Ich schlucke.
"Luc-", bringe ich zitternd über die Lippen.
Er lässt das Messer sinken und starrt mich an: "Wie kommst du hierher?"
"Durch das Tor", sage ich leise.
Erstaunlicherweise erkenne ich plötzlich alles klar und deutlich.
Als wäre es mitten am Tag.

✞︎----------------------------------------✞︎

Hai, Hai!
Hier ist wieder euer Autor ฅ^•ﻌ•^ฅ

Ich hoffe, das 2. Kapitel hat euch gefallen.
Es ist zwar etwas früh erschienen und zugegeben: "manchmal" habe ich etwas übertrieben. (Naja, eigentlich so gut wie immer)

Das 3. Kapitel wird voraussichtlich spätestens am 28.3.21 fertig sein✍︎

Das Kreuz an deinem FensterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt