Kapitel 1

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Kapitel 1

Ich hatte ein schönes Leben. Wirklich, mein Leben war wunderschön und ich lebte es gerne. Bis etwa zu dem Zeitpunkt, in dem ich erfuhr, was ich war und schlagartig jemand anderes sein wollte. Naja, wenn man es genau nahm, war es nicht schlagartig. Nein, es wurde mir nur langsam durch verschiedene Geschehnisse klar.

Nämlich durch Geschehnisse, die es immer mehr in mein Gehirn sickern ließen. Diese Information, die mir mehr als deutlich zeigte, dass das alles nicht funktionierte. Die, die mich mein Leben aufgeben ließ. Die, die mir irgendwann per Zufall mitgeteilt wurde. Die, die mir erklärte, dass ich eine Gestaltswandlerin war. Die, die mir später auch noch erzählte, dass ich durch einen Biss eine Teilzeitvampirin geworden war. Die, die die Schuld dafür trug, dass meine Augen allein drei Farben besaßen.

Diese Information.

Das wirklich schlimme Ereignis fand eigentlich erst ein paar Wochen nach meinem siebzehntem Geburtstag statt. Davor gab es diese seltsamen Zwischenfälle, nach denen ich ernsthaft mit dem Gedanken gespielt hatte, dass ich ein Nachfolger Harry Potters war. Tja, da lag ich wohl eindeutig falsch.

Stattdessen wurde mir nämlich ein Zettel zugesteckt. Zuvor war ich mit ein paar Freunden feiern und, wie es sich nun mal gehörte, machte ich mit einem Typen rum. Es entstand ein Knutschfleck und das obwohl ich ihm vorher sehr nachdrücklich das Versprechen abgenommen hatte, mir eben so einen nicht zu machen. Ich hasste es einfach schief und teilweise auch belustigt, angeschaut zu werden, weil sich ein riesiger roter Fleck auf meinem Hals breitmachte.

Exakt deswegen vermied ich soetwas. Nur leider hielt der Typ sich nicht daran. Ganz und gar nicht. So ein Idiot. Und da er eben so ein Idiot war, steckte er mir auch noch einen Zettel zu. Und leider war darauf nicht eine Handynummer, sondern die Sätze: Hab dich gebissen, Süße. Hoffe, du kommst damit klar. -xx

Das Einzige, was ich mir damals dachte war: Idiot. Das ist ein Knutschfleck.

Nur war es sehr zu meinem Bedauern eben nicht nur ein Knutschfleck. Denn wenn man genau hinsah, konnte man zwei kleine Bissmale inmitten des Knutschfleckes erkennen. Und spätestens als ich in der Schule auf einmal total Hunger auf ein schönes, blutiges Steak hatte, wusste ich, dass etwas nicht in Ordnung war. Der nächste Zwischenfall folgte fast unmittelbar nach der Steak-Sache.

Ein Freund von mir hatte sich im Sportunterricht verletzt. Er hatte vergessen seinen Ohrring herauszumachen, war prompt hängengeblieben und es war aufgerissen. Nicht viel, nur ein kleines bisschen. Aber anscheinend genug, um dafür zu sorgen, dass ich kurz davor war, ihm das Ohrläppchen abzulecken, da ein Blutstropfen herunterlief.

Das war dann der Moment, in dem ich mich fragte, warum zum Teufel ich einen Freund ablecken wollte. Aber welches Mädchen würde da nicht Bedenken bekommen, ob es nur ein Freund war?

Das nächste absolut gruselige Ereignis war, als ich morgens aufstand, in den Spiegel schaute und... na, eine Idee?

Nein? Gut, ich sags euch. Meine Haare waren grün. Zu allererst: Ich kam mir vor wie so'ne Nymphe. Der nächste Gedanke war, dass ich meine kleine Schwester umbringen würde. Sie war dreizehn, also mitten in der Pubertät und dementsprechend rachsüchtig.

Gut, es tat mir leid, dass ich ihren iPod umgebracht hatte. Aber hey, ich hatte keinen und es war mir zu risikofreudig mein Handy mit in die Badewanne zu nehmen. Wie gesagt war ich also sehr überzeugt davon, dass meine Schwester meine Haare gefärbt hatte, denn eigentlich trug ich ein dunkles Braun.

Als meine Schwester mich allerdings mit den Worten :"Geht's noch?! Es ist halb acht am Wochenende. Mach dich weg, ich war es nicht! Dann wärst du in meiner Nähe ja noch peinlicher...", wegschickte, glaubte ich ihr. Denn ansonsten hätte sie schon längst, selbst in dieser Frühe, den Lachflash ihres Lebens gehabt.

Ratlos wie ich war bin ich anschließend duschen gegangen, in der Hoffnung, dass sich das Grün verflüchtigte. Mein prüfendem Blick in den Badezimmerspiegel entging aber weder, dass meine Haare wieder ihr normale Farbe angenommen hatten, noch, dass meine Augen nun in einem seltsamem Grau schimmerten. Sturmgrau. Und ab da konnte meine Schwester ihren Schlaf wohl vergessen. Ein spitzer Schrei bahnte sich einen Weg durch meine Kehle und zwei Sekunden später hatte ich meine komplette Familie im Bad stehen. Ihnen fielen meine Augen nicht auf. Dafür zeigte meine Mutter auf meinen Körper und stotterte etwas. Der Rest starrte mich auch nur entgeistert an.

Konnte ich verstehen. Ich wäre auch ausgerastet, wenn meine Tochter auf einmal knallpinke Haut hätte. Nur hatte ich so eine Tochter nicht. Ich hatte überhaupt keine Tochter.

Aber neonpinke Haut. Danke.

Ich glaube, ich befand mich damals in einer Schockstarre oder so etwas, zumal ich alles nur noh verzerrt wahrnahm. Meine Mutter zeigte weiterhin auf mich wie auf eine beflügelte Hirschkuh mit Partyhut, meine Schwester stellte einen Style-Check für mich auf und mein Vater holte meiner Mutter etwas zu trinken.

Sobald er wieder zurück war, half er ihr sich auf das Sofa nach unten ins Wohnzimmer zu legen und Caroline, meine Schwester, verzog sich wieder in ihr Zimmer. Völlig unbeeindruckt. Der Spiegel offenbarte mir immerhin, dass das Pink verschwunden war. Das Grau war noch da. Aber wenigstens behielten meine Haare und meine Haut ihre Farbe.

Nachdem ich fertig angezogen war und nicht nur mit einem Handtuch bekleidet war, damit sich Caroline nicht wieder gezwungen fühlte meinen Style zu analysieren, redete ich mir erfolgreich ein, dass ich das Alles geträumt hatte, während ich unter der Dusche stand. Meine Bemühungen wurden jedoch wieder zunichte gemacht, als Vater mich ins Auto verfrachtete und mir verkündete, dass wir nun ins Krankenhaus fahren würden. Während der Fahrt tat ich mein bestes ihn davon zu überzeugen, dass das nur geträumt war.

Er sprang nicht darauf an.

Und so kam es, dass ich eine Viertelstunde später im Krankenhaus auf einem dieser Plastestühle saß. Und, wie sollte es auch anders sein, die Schwester am Empfang glaubte meinem Vater nicht. Würde ich auch nicht. Mitten in ihrer Diskussion kam dann ein Typ im Arztkittel aus einem Gang auf die beiden zu. Er sagte irgendetwas und Vater deutete in meine Richtung. Der Kerl musterte mich kurz und drehte sich wieder weg. Zu schnell, als dass ich ihn hätte genauer ansehen können.

Letztendlich war er derjenige, der den aufgebrachten Wortaustausch unterbach, indem er der Schwester irgendetwas beruhigendes zuflüsterte und mein Familienmitglied mit einem Kopfnicken dazu brachte ihm zu folgen. Und damit war ich gezwungen ihnen ebenfalls zu folgen. Er brachte uns vor eine Tür und einmal mehr fiel mir auf, was für ein Klischee-Krankenhaus es war. Weiß, überall. Vor der Tür blieb er stehen.

Und aufeinmal war da ein Druck in meinem Kopf. Und dann war... nein, nicht alles schwarz. Bunt. Alles war plötzlich flimmernd bunt. Und dann war es schwarz.

***

Und das wars. So bin ich her gekommen. Auch wenn ich keine Ahnung hab, was danach passiert ist, jetzt lieg ich auf jedem Fall in einem Krankenhausbett. Ein dunkler Haarschopf ist zwischen dem ganzem Weiß zu sehen. Er und der dazugehörige Körper wuseln im Zimmer herum.

"Hallo.", erschallt meine Stimme durch das Zimmer. Der Körper fährt herum. Ich hab mit vielem gerechnet. Mit einem alten Mann oder sonst etwas.

Aber nein.

Es ist der Idiot.

Der mit dem Zettel und der für den Knutschfleck verantworlich ist.

Der.

Wir freuen uns über Meinungen  (Wer tut das nicht? :D) Die Kapitel werden immer abwechselnd von uns dreien verfasst. diesmal von mir ^-^                                                      -julaiw

Stormgrey or Bloodred?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt