Kapitel 5

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Am nächsten Morgen machte ich mich wieder zu Said's Laden auf. Ich würde versuchen, den Job zu ergattern, damit ich Leyla wenigstens einmal stolz machen konnte.

Der Besitzer grüßte mich mit ebenso gleicher Freundlichkeit wie am Tag davor, und erkannte mich sogar.

"Ehm hallo", stotterte ich ein wenig. "Ich bin hier wegen der Stellenanzeige, sie suchen ja anscheinend nach einem Kassierer, wie ich gelesen habe"

Hatte ich nicht, aber egal.

Said gluckste fröhlich. "Du bist eingestellt"

"Was? Einfach so, nichts weiter? Kein Gespräch oder so?"

"Ach, das hier ist doch eh nur ein Schrottladen, nichtmal Cola ist hier. Sollte aber nächste Woche kommen"

Nur mühsam konnte ich mein Gelächter zurückhalten. Der alte Mann war mir sehr sympathisch, weswegen es mir noch mehr leidtat, dass ich ihn bestohlen hatte.

"Wann kann ich den anfangen?"

"Na, sofort!"

"Oh, okay. Einfach nur Kassierer spielen, oder?"

Der Mann hustete ein wenig "Ja"

"Geht es ihnen gut?"

Er lachte ein wenig. "Nur das Alter. Du hast Glück, du bist jung und kräftig"

"Das mit dem Altwerden wird bei mir auch noch kommen"

"Hast Recht. Lebe dein Leben, wenn ich dir einen Ratschlag geben darf"

"Danke"

"Ich muss noch kurz weg, etwas besorgen, pass solange auf den Laden auf und so"

"Sicher"

Said verließ sein Geschäft und stieg in ein Auto. War ziemlich alt und hatte wohl schon seit Jahren keine Autowäsche erblickt.

Ich ging hinter den Tresen und trommelte ein wenig auf die Theke. Toll, das konnte ein langer Tag werden.

Ich schaute mich um. Ich konnte die Kasse einfach aufmachen. Einfach stehlen... Wieso vertraute mir der Alte einfach so seinen Laden an?

Ziemlich unvorsichtig. Aber ich würde nichts nehmen, wenn er mir schon so sehr traute.

Wie gesagt, normalerweise raubte ich eh nur von denen, die in Geld schwammen.

Was jetzt? Gab es hier wenigstens einen Fernseher oder so, mit dem man die zeit verplempern konnte?

Ich holte mein Handy hervor. Kein W-lan, und mobile Daten waren schon längst ausgelaufen.

Seufzend setzte ich mich auf einen klapprigen Stuhl.

Eine halbe Stunde bimmelte es an der Tür, ein paar Jugendliche traten ein. Die ich leider nur zu gut kannte...

"Ey, schaut mal wer da ist!"

"Drake", brummte ich. Und Madox und Jack. "Was macht ihr hier?"

Ich mochte die Kerle nicht. Waren sogar schlimmer als meine Freundegruppe. Die waren ziemlich heftig in dem ganzen Drogenscheiß drinne und stahlen, wann sie konnten. Wenn es jemand bemerkte und aufmuckte, schlugen sie ganz einfach drauf. Nur Madox war noch relativ korrekt, aber momentan wahrscheinlich auch sehr gereizt wegen Kate.

"Na, sieht man das nicht? Wir gehen ein bisschen den neuen Laden hier ausprobieren, sieht ja ganz nett und klein aus"

"Ihr wollt doch nur wieder stehlen"

"Machst du doch auch, macht jeder, ist normal"

Julian schlurfte zu mir. Ich konnte den Alkoholatem deutlich riechen. "Und du? Haste jetzt nen Job oder wie?"

"Yep. Deswegen werd ich es auch ned dulden können, wenn ihr hier etwas mitnehmt, ohne zu bezahlen"

"Ach, sei doch nicht so. Wir sind doch Kumpels, oder etwa nicht? Sag mal, kommst du nicht an die Kasse hier ran?"

"Vergisst es und zischt ab"

Drakes Gesichtsausdruck wurde hart. "Nicht sehr nett... ich hoffe doch, dass du weißt, dass wir hier zu dritt sind und du nur einer"

Ich gähnte. "Was willst du andeuten?"

"Das wir in der Überzahl sind"

Ich gähnte noch einmal. "Dir ist doch hoffentlich klar, dass ich euch Lulatsche alle auf einmal fertig machen könnte?"

Das war nichtmal gelogen. Ich konnte ein wenig Kampfkunst, und war ziemlich trainiert. Mit ein wenig Glück und Verstand, den die drei eher nicht hatten, würde ich sie ziemlich schnell fertig machen.

Drake holte aus, seine Faust raste auf mein Gesicht zu. Schnell ergriff ich seine Hand noch während des Schlags, lenkte seinen Arm zur Seite und verpasste ihm eine von der Seite.

"Raus hier. Ich will nicht ernstmachen"

Julian stütze Drake und blickte mich aggressiv an. Von seinen Augen her war er vielleicht auch ein wenig high.

"Ich mach dich fertig!", zischte er mit zusammengebissenen, gelblichen Zähnen.

"HEY! Was ist hier los?"

Said war inzwischen wiedergekommen und stand nun an der Türschwelle.

Madox, Drake und Julian drehten sich alle drei gleichzeitig um.

"Mich dich nicht ein, alter Mann"

"Ich bin der Besitzer!"

Madox seufzte.

Drake ging auf den alten Mann zu und baute sich vor ihm auf. "Ich hab gesagt,  MISCH DICH NICHT EIN! WAS IST DARAN SO SCHWER ZU VERSTEHEN?"

Der Alte keckerte nur und griff in seine Hosentasche. Er hielt ein langes Messer in der Hand. "In meinem Heimatland musste ich mich schon mit so vielen Leuten rumschlagen, im Gegensatz zu denen seid ihr Nichtse. Und jetzt raus hier!"

Drohend hielt er Drake das Messer unter die Nase.

Dieser knurrte nur und winkte seinen Freunden. "Kommt, Luftveränderung. Dieser Asylantenscheißer stinkt schlimmer als meine letzte Freundin"

Die drei verschwanden, ohne weiteres zu sagen.

Said lief rüber zu mir. "Alles gut?"

"Ja. Keine Sorge, sie hätten sich schon nicht einmischen müssen. Ich hätte die auch so fertigbekommen"

"Nein. Mit solchen Typen muss man klare Sprache reden. Wenn du das tun, dann eins aufs Maul. Das ist alles, was die verstehen"

Typen wie die... Typen wie ich.

Ich bedankte mich, dann entließ er mich vorerst von der Arbeit. Ich sollte heute den restlichen Tag genießen, und nicht in diesem staubigen Laden mit einem alten Knacker rumhängen.

Also machte ich mich auf nach Hause.

Ein wenig besorgt war ich allerdings schon. Drake war nicht der Kerl, der etwas ohnes weitere einfach so einsteckte. Nein, der Typ wollte Rache, er war ein wenig krank im Kopf. Und um die zu bekommen, würde er vieles tun.

Ich erinnerte mich an die 8. Klasse, zu der er zu uns neu in die Klasse gekommen war. War ein netter Junge gewesen...

Die vielen Drogen hatten ihn am Ende wohl zerstört. Jetzt hatte er Aggressionsprobleme und rastete oft völlig unvorbereitet aus.

Vielleicht würde ich Said's Laden später noch einen Besuch abstatten. Nur aus Vorsicht, falls er wieder aufkreuzen würde. Der alte Mann mochte Mumm haben und war in seiner Jugend vielleicht auch einer der krankesten Schläger gewesen, aber mit seinen erschöpften Knochen konnte er gegen drei Leute wohl nicht viel ausmachen, nicht mal mit Messer.

Zuhause angelangt schlug ich mich erstmal aufs Ohr. Ich brauchte einen kleinen Schlaf, ich fühlte mich irgendwie sehr müde.

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