Heartbreake

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Es ist mir egal wo sie ist und was sie tut. Wortlos Decke ich den Tisch. Dann schütte ich die Dosensuppe in den Topf und mache sie warm.

Anschließend stelle ich den Topf mit einer Unterlage auf den Tisch und blicke das erste Mal auf. Die schäbige Küche besteht aus einem runden angeranzten Holztisch, einer kleinen Küchenzeile an der Wand mit einem Kühlschrank daneben an der anderen Wand. Auf dem Tisch stehen leere Flaschen und Gläser, sowieso schmutzige Teller. Ich muss wieder Putzen, stelle ich fest. Die weißen Fliesen auf dem Boden sind dreckig und teilweise gesprungen. Daneben ist ein offener Durchgang zum Wohnzimmer, gegenüber der Wand, an der der Kühlschrank steht. Meine Mutter ist nicht da.
Ich runzle die Stirn und gehe ein paar Schritte ins Wohnzimmer. Es ist ein großer Durchgang zwischen den beiden Räumen, ohne Tür. Aber dort ist sie auch nicht.
Also betrete ich den Flur. Sie wird in ihrem Zimmer sein. Ich klopfe kurz an und trete dann ein. ,,Das Essen ist fertig," sage ich kalt. Meine Mutter steht an ihrer Kommode und starrt das einzige Bild an, dass es in diesem Haus noch gibt.
Das Hochzeitsfoto von ihr und Dad. Sie bewegt sich nicht aber nickt kurz.

Ich verlasse wieder das Zimmer und begebe mich in die Küche, wo ich mir einen Teller Suppe nehme und mich auf meinen Platz setze. Das Geschirr schiebe ich zur Seite.
Meine Mutter kommt langsam und träge ins Zimmer und öffnet unseren kläglichen Kühlschrank. Ihre Bewegungen sind verkrampfter als sonst. Irgendwas ist komisch...
Sie holt eine Flasche Korn heraus.
Ganz langsam schließt sie die Tür des Kühlschranks wieder. Ich beobachte jede Bewegung ihres Körpers. Ihre Hand verkrampft sich am Knauf, die Beine zittern und sie dreht sich ganz langsam um.
Ich erschrecke als ich ihr Gesicht sehe. Ihre Augen...
Die Gesichtszüge haben sich zu einem verzerrten Bild des Schmerzes gewandelt. Sie sieht mir direkt in die Augen. Ich weißt, dass etwas nicht stimmt aber mein Körper ist wie versteinert.
Plötzlich hält sie in der Bewegung inne und verkrampft sich am ganzen Körper. Die Flasche gleitet aus ihrer Hand.
Auf dem Boden zersplitterte sie in tausend Teile und die Flüssigkeit bildet eine Pfütze unter ihren Füßen. Als hätte mich dieses Geräusch aus dem eigenen Schock gerissen springe ich auf. Der Stuhl hinter mir fällt zu Boden, aber das interessiert mich nicht. Ich kann meinen Blick nicht von ihren Augen reißen, die mich anstarren. Noch nie habe ich so etwas derartiges gesehen: Ihre leuchtend grünen Pupillen werden von der schwarzen Iris aufgesogen. Ihre Augen füllen sich bis zur kompletten Schwärze. Wie gebannt starre ich in die Dunkelheit und verspüre ein Gefühl, dass ich zuvor noch nie gefühlt habe. Als würde sich etwas direkt in meine Seele bohren.

Dann schließt sie ihre Augen und fällt zu Boden. Ich werde aus dem Bann gerissen und renne um den Tisch.
,,Mom?!," rufe ich und höre meine eigene Stimme panisch und hoch.
Sie antwortet nicht und ihr Körper liegt im Alkohol.
,,Oh Scheiße!," schreie ich und raufe mir die Haare. Ich werfe mich auf den Boden und drehe sie auf den Rücken. Okay wie funktioniert das nochmal mit dem Erste Hilfe? Atmung prüfen... keine Atmung... ,,Ach scheiße!," fluche ich und stürme zum Handy das im Wohnzimmer auf der Couch liegt. (Wir besitzen kein Telefon.) Ich wähle mit zitternden Fingern die Nummer des Krankenhauses und erkläre was passiert ist.

Kurze Zeit später - es kommt mit vor wie eine Ewigkeit - ertönen die Sirenen.

Ich renne zur Tür und reiße diese auf. Die Sanitäter kommen gleich hereingestürmt und ich bringe sie eilig in die Küche. Mein Herz pocht. Es dröhnd mir laut in den Ohren. Was ist los mit ihr?
Die zwei Rettungsleute hören meine Mutter kurz ab und fühlen den Puls. Dann lassen sie von ihr ab.
,,Was ist? Was hat sie?" Frage ich mit brüchiger Stimme. Die Männer sehen sich kurz an und der eine rennt zum Wagen und holt ein Gerät. Sie schneiden ihr das T-Shirt vom Leib und hantieren dann an ihr und dem Gerät herum. Nach mehreren Versuchen steht der eine auf und legt seine Hand auf meine Schulter.
,,Miss Winston... Es tut mir leid, aber ihre Mutter ist tot. Der Versuch sie mit dem Defibrillator wiederzubeleben ist missglückt. Sie hatte mit hoher wahrscheinlichkeit einen Herzinfarkt."

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Ich starre den Mann an.
Ich stehe unter Schock.

,,Wo ist ihr Vater?" Fragt er.
,,Tot."
,,Wie alt sind sie Miss?," fragt er.
,,18," nuschle ich.

,,Dann können sie Geld verdienen und sind erwachsen. Wenn sie Probleme haben sollten sie sich an die entsprechenden Behörden wenden."

Ich nicke.

,,Ist schon gut. Es tut mir leid, Miss. Wir nehmen ihre Mutter mit, zur Untersuchung. Danach können sie die Beerdigung feiern. Wir melden uns dann bei ihnen, oder sie kommen gleich mit?"

Die zwei legen den toten Körper meine Mutter auf eine Trage und stehen auf.
Plötzlich packt mich die eiskalte Wut. ,,Es muss ihnen nicht leid tun!," zische ich und drücke die Männer in den Flur.

,,Verpissen sie sich einfach!" Wütend schlage ich, sobald sie aus dem Haus sind, die Tür zu.

Das ist so unvorstellbar! Vor wenigen Augenblicken kommt sie noch gesund die Tür rein, und jetzt soll sie plötzlich tot sein?! Das konnte einfach nicht sein!
Meine Welt brich zusammen. Was soll ich jetzt nur machen?
Ab jetzt wird wohl alles anders...

***

Ich sitze in meinem Zimmer auf dem Fensterbrett und starre auf die vereiste Landschaft.
Alles ist kalt und leer - so wie ich.
Meine Facette sagt nichts über mich aus. Keine einzige Emotion.
Ich bin kalt. Kalt wie Eis.
Wie Schnee bin ich, wie die trostlose Landschaft da draußen.

Schweigend stehe ich auf und laufe in die Küche.
Ich bleibe stehen und starre auf die Stelle, wo noch vor kurzem meine Mutter lag. Wo immer noch die Pfütze ist. Dann wende ich schweigend den Blick ab und trete ins Wohnzimmer.

Ich öffne die Veranda Tür und führe meinen rechten Fuß langsam über die Schwelle. Der eisige Wind lässt meine Haare flattern. Ich genieße dieses befreiende Gefühl. Es strömt durch meine Atemwege und hinterlässt ein eisiges Gefühl in meiner Brust. Es macht mich klar und rein.
Ich setzte meinen nackten Fuß auf den zugefrorenen Boden.
Meinen zweiten Fuß...
Ich atme tief aus.
Der Schnee knistert unter meinen Füßen und schmilzt durch meine Körperwärme. Ein Windstoß klettert meine nackten Beine hinauf unter mein zu langes T-Shirt.
Langsam laufe ich in den Garten hinaus. Das Gras ist weiß und glitzert. Die Bäume die den Garten umringen sind Kahl und von einem wunderschönen Eismuster verziert. Ich seufze laut und lasse mich ins Gras fallen. Der Himmel ist grau.

Meine Finger streichen über dieses wundervolle Eigenleben. Ich weiß, dass mir kalt sein müsste, aber das ist es nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich genauso kalt geworden bin.

Ich weiß auch, dass ich höchstwahrscheinlich krank werde.
Nicht nur körperlich, sondern auch im Kopf. Ja, ich werde verrückt. Aber dieser Moment, tut gut. Ich fühle mich, als währe nie etwas passiert. Nicht der Unfall meiner Mutter, nicht die Armut oder der Tod meines Vaters. Die Kälte hilft mir zu vergessen. Ich schließe die Augen und denke nach.

,,Komm, meine kleine Prinzessin. Wir müssen los, sonst kommen wir noch zu spät!"

,,Aber Daddy, die Katze friert bestimmt!"

Das kleine Mädchen trägt dicke Kleidung. Sie beugt sich über die kleine Garten Mauer und sieht der kleinen grauen Katze zu, wie sie sich den Schnee vom Kopf putzt. Das Mädchen ist höchstens acht.

,,Aber sie hat doch Fell. Sie wird ganz bestimmt nicht frieren."

Das kleine Mädchen ignoriert ihren Vater und streckt die Hand aus. Das Kätzchen schnüffelt an ihrem Handschuh.

Der Vater seufzt. ,,Okay, komm mal mit meine Kleine."

Zusammen treten sie wieder in das Haus. Und als sie raus kommen, trägt das Mädchen eine Schüssel mit warmer Milch.

,,Damit du nicht frierst, Katzi," flüstert sie und stellt es ihr hin.
Fast sofort fängt sie zu trinken an.
,,Jetzt müssen wir aber gehen!," lacht ihr Vater und nimmt sie an der Hand. Zusammen steigen sie in den Wagen.

Ich merke wie meine Augen feucht werden und die Tränen mir an den Schläfen hinab laufen.

Fröhlich trällern sie Weihnachtslieder. Nichtsahnend, das ein Auto gleich nicht auf die Ampel achten würde.

,,Ich hab dich soo lieb, Daddy!," sang sie hinten in ihrem Kindersitz. Er lachte: ,,Ich dich auch meine Prinzessin. Du bist mein ein und alles."

Dann krachte ein Auto in deren.

Tote LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt