„Jenny, du feierst heute deinen 18.Geburtstag", erklärte ihr Vater feierlich.
Auf dem großen Dorfplatz hatte sich das Rudel versammelt. Aus dem Hauptort waren ausnahmslos alle erschienen, die Lager etwas weiter weg, hatten Abordnungen entsandt. Schließlich war dies ein sehr wichtiger Tag für das gesamte Alpenrudel.
„Damit wirst du heute zur neuen Alpha ernannt", fuhr ihr Vater fort.
Er hatte immer gehofft, dass ihm seine Frau noch einen Sohn schenken würde, der dann seine Nachfolge antreten könnte. Doch dazu kam es nicht. Den beiden war es nicht vergönnt, ein zweites Kind zu bekommen. Sie hatten so lange gehofft, aber leider vergebens. Der Rudelarzt führte dies darauf zurück, dass seine Frau, Jennys Mutter, inzwischen zu alt für weitere Kinder war.
Damit blieb Jenny Einzelkind und wurde darauf vorbereitet, die Stelle ihres Vaters einzunehmen. Obwohl bisher, soweit man wusste, noch nie ein Mädchen zur Alpha ernannt wurde, gab es in diesem Fall keinen anderen Ausweg. Jenny hatte das Alpha-Gen geerbt und war damit die Einzige, die diese Stelle bekleiden konnte.
Ihre Mutter hat sie schon von klein auf dazu ermutigt, viel zu trainieren und darauf zu achten, eine ausgezeichnete Kämpferin zu werden. Sie hatte ihr öfters erklärt, dass es ein Mann als Alpha schon nicht immer leicht habe. Bei einem Mädchen sei dies noch viel schlimmer. Sie war stets bemüht, ihre Tochter nicht zu schonen und ihr nichts vorzumachen. Sie wollte sie immer auf das wahre Leben vorbereiten. Der Mutter war klar, dass ihre Kleine es nicht leicht haben würde. Werwölfe waren Machos und als solches würde es wohl einige geben, die ihr die Position streitig machen würden.
Die Gefahr dabei drohte nicht aus dem eigenen Rudel. Schließlich waren alle verpflichtet, ihrem Alpha zu folgen. Außerdem kannten und mochten sie Jenny. Sie hatte sich bereits in der Vergangenheit, sehr für das Rudel eingesetzt. Vor allem bei Dingen, die ihr Vater aufgrund seines Alters nicht mehr wirklich verstand, versuchte sie zu vermitteln. Aber da gab es noch die fremden Alphas. Vor allem sie könnten ihr die Position streitig machen. Einige von ihnen waren machthungrig.
Jenny war ihrer Mutter dankbar dafür, dass sie immer offen und ehrlich zu ihr war. Sie nahm sich den Rat auch zu Herzen und trainierte in jeder freien Minute. Sie war nicht nur ehrgeizig, sie war verbissen. So dauerte es nicht lange, bis aus dem Nesthäkchen des Rudels eine gefürchtete Kriegerin wurde. Sie war zu allen freundlich und zuvorkommend, aber sie schloss keine Freundschaften. Nur Ronny, ein kleiner Werwolf, den niemand um sich haben wollte, weil er ein Omega war, der zudem beide Eltern verloren hatte, durfte viel Zeit mit Jenny verbringen. Sie hänselte ihn nicht. Sie behandelte ihn, wie Ihresgleichen und verteidigte ihn gegen willkürliche Angriffe.
Jennys Training zahlte sich aus. Sie wurde so stark, dass sie zunächst von den Jugendlichen und später vom gesamten Rudel gefürchtet wurde. Ein ebenbürtiger Gegner war nur noch ihr Vater und der war immerhin Alpha. Auch aus Ronny wurde ein tapferer Krieger, doch an die Stärke seiner Freundin konnte er allerdings bei weitem nicht herankommen.
Und heute war nun ihr 18.Geburtstag. Da Jennys Vater schon älter war, gab er gerne die Verantwortung für das Rudel ab. Die Zeiten waren auch schwierig geworden. Das Toskana-Rudel und das französische Rudel unternahmen immer wieder kleine Angriffe gegen das Gebiet des Alpen-Rudels. Es handelte sich nur um kleine Scharmützel, aber es nervte und ging mit der Zeit an die Substanz. Die ewigen Nadelstiche hatten ihn mürbe gemacht. Er wollte und er konnte nicht mehr und war deshalb froh, die Verantwortung abgeben zu können.
Der alte Alpha nahm seine Kette ab, die das Symbol seiner Macht und Stärke darstellte und hielt es über Jennys Kopf.
„Möge Luna mit dir und dem Rudel sein. Mögest du eine weise und besonnene Anführerin sein und dem Rudel Frieden und Wohlstand bringen", sprach er.
Alle waren ruhig. Die Einführung eines neuen Alphas war immer ein wichtiger Moment in der Geschichte des Rudels. Aber in diesem Fall war es noch viel bedeutender. Jenny war die erste weibliche Alpha und es standen unruhige Zeiten bevor. Von Frieden und Wohlstand konnte wohl kaum die Rede sein. Dem Vater war durchaus klar, welche Bürde er auf die Schultern seines kleinen Mädchens ablud. Aber er konnte und wollte nicht mehr. Und was die Nachfolge betraf, war die Tradition eindeutig. Im Gesetz der Werwölfe war von einem Nachkommen des Alphas und nicht vom Geschlecht die Rede.
„Ich gelobe, das Rudel mit Weitsicht und nach bestem Wissen und Gewissen zu führen, es notfalls mit dem eigenen Leben zu verteidigen und das Wohl des Rudels über alles stellen", gelobte Jenny ernst.
Daraufhin senkte der alte Alpha die Kette und ließ sie über den Kopf seiner Tochter gleiten, bis sie auf ihren Schultern ruhte. Als er die Hände zurückzog brach Jubel aus.
„Und nun lasst uns feiern! Die Ochsen müssten gebraten sein", verkündete Jenny. „Bier gibt es auch genügend!"
Erneut gab es Applaus und die Menge verzog sich wenig später zum Festplatz, wo schon alles vorbereitet worden war, um den Wechsel an der Spitze des Rudels gebührend zu feiern. Jenny blickte auf ihr Rudel und hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch. Sie war nun Alpha und trug damit die alleinige Verantwortung.
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Die Wölfe der Karpaten
WerewolfJenny wird zur Alpha wird aber von den Alphas der umliegenden Rudel nicht respektiert und muss sich gegen sie verteidigen. Dafür braucht sie Hilfe.