Kapitel 10

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Jenny und Igor blieben noch einige Tage beim Karpaten-Rudel. Dann aber machten sie sich auf den Weg, zurück zum Alpen-Rudel. Natürlich hatte Ronny akzeptiert, dass Kirke auch weiterhin die Alpha war. Als einstiger Omega hätte er nie zu hoffen gewagt, jemals eine solche Stellung in einem Rudel einzunehmen. Auch sein Wolf wurde durch die Verbindung mit seiner mächtigen Mate größer und mächtiger. Er erreichte allerdings nicht die Größe von Kirkes Wolf.

Igor hatte auch keine Probleme damit, dass er nicht zum Alpha aufstieg, Dazu hatte er viel zu lange allein gelebt, um sich deshalb zu grämen. Jenny hatte ihm allerdings auch versichert, dass sie auf Augenhöhe sein würden und sie ihn in ihre Entscheidungen einbinden würde. Das war für ihn ausreichend.

Sechs Tage später kamen die beiden bei Jenny zu Hause an. Benno staunte nicht schlecht, als die Alpha bereits ein Monat nach ihrem Aufbruch wieder zurück war. Er beäugte Igor bei ihrem ersten Zusammentreffen ein wenig skeptisch. Nachdem ihm Jenny jedoch die ganze Geschichte erzählt hatte, willigte er ein, dass Igor zum Beta wurde und er weitgehend nur noch beratend tätig sein sollte. Jenny beruhigte ihn allerdings und meinte, es werde auch so für alle genug zu tun geben.

Benno schien aber auch bedrückt zu sein. Als Jenny ihn daraufhin ansprach, gab er zu, dass die kleinen Scharmützel an den Grenzen häufiger geworden sind und, dass Filippo und Olivier sich genau so verhalten würden, wie Jenny es damals mitangehört hatte. Die junge Alpha hörte sich den Bericht schweigend an. Ihr Gesichtsausdruck verfinsterte sich allerdings zusehends.

„Wir werden ihnen das Fürchten lehren", gab sich Jenny kämpferisch.

„Was hast du vor?", erkundigte sich Benno.

„Die Wachen sollen immer dann, wenn ein Angriff stattfindet, dies an uns beide über Mind-link mitteilen. Igor und ich stürmen als Wölfe dorthin und vertreiben sie."

„Ihr zwei allein?", wunderte sich Benno.

Natürlich war er von dieser, in seinen Augen wahnwitzigen Idee, überrascht. Der Grund lag aber nur darin, dass er bisher weder den neuen Wolf von Jenny noch den von Igor gesehen hatte. Sonst hätte er Jennys Plan vermutlich verstanden.

„Vertrau mir", versicherte Jenny. Dabei legte sie ihre Hand auf seinen Unterarm.

„Wenn du meinst. Aber ich möchte nicht, dass Euch etwas passiert."

„Das wird es nicht", beschwichtigte Jenny.

Bereits am nächsten Morgen kam die erste Warnung. An der Grenze zum Frankreich-Rudel meldeten die Wachen einen Angriff. In Windeseile stürmten die beiden dorthin. Zuvor informierten sie die Wachen über Mind-link, dass gleich ein großer weißer und ein großer schwarzer Wolf auftauchen würden. Sie seien Verbündete. Bis dahin sollten sie versuchen, die Angreifer zu beschäftigen, sie aber nicht anzugreifen, um sich nicht in Gefahr zu bringen.

So war es dann auch. Die Wachen konnten nur staunend feststellen, dass die beiden Wölfe überraschend schnell zur Stelle und zudem in wenigen Minuten mit den Angreifern fertig waren. Wo ein Scharmützel meist einen ganzen Tag gedauert hatte, war es nun in kürzester Zeit zu Ende. Die beiden riesigen Wölfe hatten keine Probleme und machten keine halben Sachen. Sie ließen nur einen Angreifer verletzt entkommen. Ihm war die Aufgabe zugedacht, den eigenen Leuten von den Monsterwölfen zu berichten.

Der weiße und der schwarze Wolf verschwanden so schnell, wie sie aufgetaucht waren. Das Problem war innerhalb kurzer Zeit erledigt. Bereits am Tag darauf gab es erneut einen Angriff, diesmal kam er von Seiten des Toskana-Rudels. Doch auch in diesem Fall machten die beiden kurzen Prozess. Erneut überlebte ein Angreifer, um von den beiden Wölfen zu berichten.

So ging es Woche um Woche weiter. Sämtliche Angriffe wurden zurückgeschlagen. Dabei hatten die Wachen nur die Aufgabe, die Angreifer zu beschäftigen, bis die beiden großen Wölfe zur Stelle waren. Auf diese Weise hatte das Alpen-Rudel keine Verluste mehr zu beklagen, die Angreifer hingegen mussten schwere Verluste hinnehmen. Immer überlebte nur einer von ihnen, um immer neue Schreckensgeschichten über die Monster zu berichten. Die Erzählungen wurden zunehmend schauriger. Keiner der Überlebenden wollte sich eine Blöße geben, dass lediglich zwei Wölfe den gesamten Trupp der Angreifer überwältigt hatte.

Weder das Alpen-Rudel selbst noch die Angreifer wussten woher die beiden Wölfe kamen, wie sie so schnell von einem Ende des Territoriums zum anderen wechseln konnten und wer sie waren. Jenny und Igor hatten mit der Zeit echt Spaß bei der Sache und achteten natürlich immer sehr darauf, dass niemand in der Nähe war, wenn sie sich verwandelten. Sie versuchten auch immer neue Taktiken aus und nützten die kleinen Scharmützel, um ihre Kampfkunst zu verbessern. Manchmal aber spielten sie zunächst auch nur mit den Angreifern, was diesen besonders grausam erschien.

Das alles führte mit der Zeit dazu, dass immer mehr und immer neue Geschichten über die beiden Wölfe in Umlauf gesetzt wurden. Natürlich waren es Heldengeschichten beim Alpen-Rudel und Horrorberichte bei den Angreifern. Die Folge aber war, dass das Alpen-Rudel sich begann auszuruhen, während auf der anderen Seite die Angst Einzug hielt. Während Olivier sich immer größere Sorgen wegen dieser unerklärbaren Entwicklung machte und immer weniger Angriffe startete, wurde Filippo immer verbissener. Aber es nütze ihm nichts. Er verlor immer mehr Leute und der Unmut in seinen eigenen Reihen stieg stetig an.

Eines Tages erschien je ein Abgesandter, um eine Zusammenkunft mit Jenny zu fordern. Sowohl Filippo als auch Olivier wollten über die Monsterwölfe sprechen.

Jenny stimmte einem Treffen zu. Es sollte zwei Tage später auf ihrem Gebiet stattfinden, da dies zentral lag. Die junge Alpha war aufgeregt. Ihr war klar, dass davon möglicherweise die weitere Entwicklung abhing. Sie hoffte innständig, dass sich eine offene und blutige Auseinandersetzung vermeiden ließe.

„Können wir einen Krieg verhindern?", wollte sie von Igor wissen.

„Das werden wir sehen", meinte er. „Wir werden diese Chance versuchen zu nutzen, aber es hängt nicht von uns allein ab."

„Und, wenn wir es nicht schaffen?"

„Dann hilft uns Kirke. Zusammen sind wir weitaus stärker als unsere Gegner."

Jenny bewunderte ihn für seine Ruhe. Aber er hatte Recht. Sie beide würden versuchen, einen Krieg abzuwenden. Wenn die Nachbarn das aber nicht wollen, dann war das nicht mehr ihre Schuld.

Die Wölfe der KarpatenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt