Es war schon spät am Abend. Deshalb machten sie sich auf, um schlafen zu gehen. Igor wies Ronny ein Zimmer zu. Er drückte ihm noch frische Bettwäsche in die Hand und schob ihn dann in den für ihn bestimmten Raum.
„Komm!", meinte er daraufhin zu Jenny.
Sie folgte ihm den Gang hinunter, wo er eine weitere Tür öffnete, und sie mit einer galanten Handbewegung eintreten ließ. Jenny erblickte ein großes Schlafzimmer mit einem benützen Doppelbett. Sie stutzte.
„Ist das dein Zimmer?"
„Natürlich ist das mein Zimmer."
„Ich schlafe aber nicht in deinem Zimmer und schon gar nicht in deinem Bett. So weit sind wir noch lange nicht."
Igor schaute sie verblüfft an. Ihm entkam ein leises Knurren. Er hatte sich erwartet, dass seine Mate bei ihm schlafen würde. Doch sein Knurren stieß bei ihr auf wenig Verständnis und brachte ihm nur einen bösen Blick ein.
„Aber du bist meine Mate", warf er ein.
„Wir haben uns heute zum ersten Mal gesehen."
„Das ändert doch nichts daran, dass wir füreinander bestimmt sind."
„Hallo, ich möchte dich zuerst kennenlernen."
„Ist das bei Euch so?"
„Ja, bei uns ist das so."
„Uffa, ist das kompliziert."
„Wie ist es denn bei Euch?"
„Bei uns? Wir packen unsere Mate, zerren sie in unser Bett, markieren sie und danach haben Sex."
„Und alles am ersten Abend?"
„Wozu lange warten?"
„Hallo? Ich könnte dich auch ablehnen!"
„Das würdest du nicht überleben."
„Ich weiß, aber manchmal ist es besser, zu sterben, als den Mate zu akzeptieren."
„Hast du Zweifel?"
„Nein, eigentlich nicht", wurde Jenny dann doch versöhnlicher. „Aber ich möchte trotzdem nicht alles überstürzen."
„Seid ihr immer so kompliziert?", meinte er leicht genervt.
„Wir sind eben etwas emanzipierter und ich als Alpha sowieso", grinst Jenny mit demonstrativ vor der Brust verschränkten Armen.
„Das kann ja noch lustig werden", stöhnt Igor.
„Ich hätte einen Vorschlag."
„Der wäre?"
„Ich schlafe bei dir, wir haben aber vorerst noch keinen Sex und markiert werde ich auch noch nicht."
„Du verlangst aber viel!"
„Ich kann mich auch zu Ronny legen. Da bin ich sicher", provoziert ihn Jenny.
Igor knurrte so laut, dass es durch das ganze Schloss hallte. Allein schon der Gedanke, dass seine Mate bei einem anderen Mann schlafen könnte, brachte ihn komplett aus der Fassung.
„Na gut, ich werde dich nicht anrühren."
„Gut, dann bleibe ich."
Sie zogen sich bis auf die Unterwäsche aus und schlüpften unter die Decke. Zunächst hielt Jenny Abstand. Doch als Igor das Licht gelöscht hatte, robbte sie immer weiter zu ihm hin, bis sie seinen Körper spürte und sich an ihn kuscheln konnte. Er war so herrlich warm.
„Ich dachte, du willst Abstand?", erkundigte er sich irritiert.
„Ist es schlimm, wenn ich mich an dich kuschle?"
„Ist es schlimm, wenn ich dich streichle?", konterte er.
„Wenn du nicht grob bist", antwortete sie.
Als Igor sanft über ihre Haut strich, überzog Gänsehaut ihren gesamten Körper. Es fühlte sich so herrlich an und sie hätte diesem großen Mann aus den riesigen Wäldern nicht so viel Sanftheit zugetraut. Sie hatte vielmehr Angst, er würde grob und unsensibel sein. Erneut hatte er sie positiv überrascht.
„Stimmt es, dass du von Soros des Rudels verstoßen wurdest, weil du dich vor seine Schwester gestellt hast?"
„Kirke, ja, ich habe sie verteidigt. Soros war wieder einmal außer sich. Er ist ein sehr jähzorniger Mann und Kirke, seine kleine Schwester, war meine allerbeste Freundin. Ich hätte nie zulassen können, dass er ihr etwas antut. Lieber habe ich die Verbannung in Kauf genommen", erzählte er. „Aber woher weißt du das?"
„Meine Großmutter hat eines Abends von dir erzählt."
„Von mir? Eine Großmutter in den Alpen?"
„Keine Ahnung, sie hat immer gesagt, es sei eine Geschichte. Ich bin auch davon ausgegangen, dass du deutlich älter bist als ich. Ich hatte sogar erwartet, möglicherweise einen Greis zu treffen."
Da musste Igor laut loslachen. Die Vorstellung erheiterte ihn offenbar.
„Ich war damals 16 Jahre alt."
„Das muss ganz schön hart gewesen sein, in so jungen Jahren ganz allein im Wald hausen zu müssen."
„Zum Glück fand ich dieses Schloss. Es muss vor unglaublich langer Zeit erbaut worden sein. Ich habe es mit viel Kraft und Geschick wieder instandgesetzt und zu meinem Zuhause gemacht."
„Wie hast du aber die Einsamkeit überstanden? Ich dachte immer, ein Werwolf muss einem Rudel angehören."
„Ich habe mir eingeredet, ich sei mein eigenes Rudel. Etwas klein, das gebe ich zu, aber für mich war ich ein Rudel. Ich denke, das war meine Rettung. Wie du siehst, bin ich weder aggressiv noch verrückt geworden."
„Ein wenig eigen bist du schon", grinste Jenny.
„Wie meinst du das?"
„Du willst ein Mädchen gleich ins Bett zerren und markieren", lacht sie.
Igor hätte sie am liebsten geküsst. Sie war so süß, seine Mate. Er hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß gehabt und, dass sie ihn neckte, fühlte sich so gut an. Erst jetzt verstand er den Spruch, was sich liebt, das neckt sich. Konnte es sein, dass sie ihn liebte?
Vorsichtig beugte er sich zu ihr. Er konnte ihre Umrisse in der Dunkelheit ausmachen. Er nahm all seinen Mut zusammen, legte seine Lippen auf die ihren und küsste sie. Jenny erstarrte einen Moment lang, ließ es dann aber geschehen. Es war noch ganz ungewohnt für sie. Sie war noch nie geküsst worden. Obwohl die Jungs im Rudel hinter ihr her waren, hat sie sich auf keinen von ihnen eingelassen. Die Burschen mussten das notgedrungen akzeptieren, denn zu dreist zu sein, traute sich dann doch keiner. Dazu hatte sie zu viel Angst vor ihrer Stärke.
Aber dieser Kuss fühlte sich unglaublich gut an. Jenny genoss ihn, auch, wenn sie ihn anfangs nicht erwidern wollte. Dann aber ließ sie sich immer bereitwilliger auf den Kuss ein und schließlich genoss sie ihn.
Zu Igors Überraschung wies sie ihn nicht zurück. Als er schließlich Luft holen musste und den Kuss unterbrach, strahlte er über das ganze Gesicht.
„Bilde dir bloß nicht ein, dass heute noch was anderes läuft", konterte Jenny sofort.
Das brachte Igor aber nur zum Lachen. Dies erstaunte sie nun wiederum Jenny. Sie wurde zunehmend ärgerlicher über sein dreistes Lachen. Wie kam er dazu, sie auszulachen?
„Was?", bellte sie ihn an.
„Du bist so süß. Natürlich läuft heute noch nichts. Ich hab's kapiert!", gab er zur Antwort. „Aber ich musste dich küssen."
„Das ist schon ok", meinte sie erleichtert.
„Dann lass uns jetzt schlafen, wir haben morgen einen anstrengenden Tag vor uns."
Jenny kuschelte sich wieder an ihn und war auch schon wenig später eingeschlafen. Sie hatte sich noch nie so wohlgefühlt, wie in seiner Nähe.
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Die Wölfe der Karpaten
Manusia SerigalaJenny wird zur Alpha wird aber von den Alphas der umliegenden Rudel nicht respektiert und muss sich gegen sie verteidigen. Dafür braucht sie Hilfe.