Jenny genoss es, alleine auf dem großen Platz vor dem Rudelhaus zu stehen. Die Waldluft stieg ihr in die Nase. Sie liebte den Wald, wie jeder Werwolf. Doch dieser Platz war besonders. Hier hatte sie ihre ersten Schritte gemacht, hier hatte sie gespielt und hier hatte sie immer auf ihren Vater gewartet. Sie hatte ihn immer bewundert, weil er der Alpha war, weil er so besonnen und umsichtig entschied.
Und nun stand sie hier, als neue Alpha. Sie konnte es immer noch nicht wirklich glauben. Obwohl sie ab einem bestimmten Zeitpunkt darauf vorbereitet worden war, kam es ihr immer noch nicht real vor. Allerdings hatte sich viel verändert seit der Zeit, als sie als kleines Mädchen auf ihren Vater gewartet hat. Es war alles schwerer und komplizierter geworden.
Damals hielten die Rudel noch zusammen, man respektierte sich und half sich gegenseitig. Doch mit der neuen Generation unter den Alphas hat sich das leider geändert. Vor allem Filippo und Olivier waren nur noch auf ihre Macht fokussiert. Seit zudem klar war, dass ein Mädchen beim Alpen-Rudel die Führung übernehmen würde, wurde es immer schlimmer. Ihr war der Verdacht gekommen, dass die Scharmützel nur dazu dienten, ihren Vater mürbe zu machen und womöglich sie abzuschrecken, die Führung zu übernehmen. Doch diesen Gefallen würde sie ihnen nie im Leben tun. Sie würde ihr Rudel und ihre Position bis zum letzten Atemzug verteidigen.
Doch nun war es an der Zeit, zum Festplatz zu gehen. Die andern würden sie langsam schon vermissen. Schließlich war es ihr Fest, auch wenn die anderen sich die Bäuche vollschlagen würden, war sie immer noch die Hauptperson.
Langsam schlenderte sie zum Festplatz und als sie um eine der Buden, in denen die Getränke gelagert wurden, gehen wollte, vernahm sie Stimmen. Aus einem Bauchgefühl heraus blieb sie stehen, schlich sie sich näher heran und blickte um die Ecke. Hier dürfte eigentlich niemand stehen, der Ort war sehr abgelegen. Deshalb kam ihr die Sache auch suspekt vor. Ihre Vorahnung wurde bestätigt, als sie dort Filippo und Olivier erblickte.
„Wenn wir mit der kleinen Schlampe fertig sind, hat sie garantiert nichts mehr zu lachen", hörte sie Filippo.
„Wir sind uns also einig, wir teilen uns das Gebiet so auf, wie wir es besprochen haben?", wollte Olivier wissen.
„Wie wir besprochen haben", bestätigte Filippo. „Aber Jenny gehört mir. Niemand soll mich als Liebhaber in Frage stellen. Der werde ich es schon noch zeigen, wozu eine Frau da ist. Wenn ich mit ihr fertig bin, wird sie keinen anderen Mann mehr haben wollen."
„An Jenny bin ich nicht interessiert, auch wenn sie ein heißer Feger ist. Ich würde nie meine Carla betrügen."
„Das sollst du auch nicht. Du bekommst etwas mehr als die Hälfte des Territoriums. Dafür darf ich mir das Mädchen greifen. Ich werde sie zu meiner persönlichen Sklavin machen."
„Aber Jenny zum Kampf herausfordern dürfen wir erst in einem Jahr."
„Du bist immer so korrekt", stöhnt Filippo.
„Das Gesetz der Werwölfe verbietet es, einen neuen Alpha gleich nach seiner Ernennung herauszufordern. Erst nach einem Jahr verfällt diese Schonfrist. Du weißt das genau. Wenn wir uns nicht daran halten, werden uns die anderen Rudel nicht akzeptieren."
„Von mir aus, ein Jahr kann ich noch warten. Wir arbeiten schon so lange daran, das Gebiet des Alpen-Rudels zu übernehmen, da werden es diese paar Monate auch nicht mehr ausmachen. Aber wir setzen unsere Nadelstiche fort. Ich will sie mürbe machen. Beim Alten hat es ja auch funktioniert."
„Ich hätte nicht gedacht, dass er so schnell nachgibt und seine Position seiner Tochter überlässt."
„Ich habe dir doch gesagt, der hält nicht mehr so viel aus."
Beide lachten hämisch. Auch, wenn sich Jenny schon so etwas gedacht hatte, es nun bestätigt zu bekommen, war dann doch noch eine Hausnummer mehr. Das Gespräch der beiden bestätigte ihr, dass sie dringend handeln musste. Sie hatte noch ein Jahr und musste in dieser Zeit die Lösung für das Problem finden.
„Lass uns feiern gehen", meinte Filippo. „In einem Jahr sind wir die Herren hier!"
„Stoßen wir auf das Wohl der neuen Alpha an. Soll sie dieses eine Jahr noch genießen", pflichtete ihm Olivier zu.
„Nach diesem Jahr genieße ich", lachte Filippo schmutzig.
Jenny hörte, wie sich die beiden davonmachten. Sie blieb an die Wand der Hütte gelehnt stehen und musste das Gehörte erst verarbeiten. Auch, wenn sie schon immer wusste, dass es für sie schwer werden würde, nun aber hatte sie ein Verfallsdatum, musste dagegen ankämpfen und genau das wollte sie auch tun. Jenny war entschlossener denn je, sich den beiden machtgierigen Bestien in den Weg zu stellen.
Nach einiger Zeit holte sie tief Luft und setzte sich wieder in Bewegung. Sie wählte einen etwas anderen Weg, damit die beiden Alphas nicht auf die Idee kamen, dass sie womöglich belauscht wurden und sie ihre Pläne kannte. Sie wollte die beiden in Sicherheit wiegen.
Als sie den Festplatz betrat, brach Jubel aus. Alle wollten mit ihr anstoßen und sie versuchte jeden zu begrüßen und mit jedem ein freundliches Wort zu wechseln. Genau diese Nähe zu ihren Leuten, machte ihre Beliebtheit im eigenen Rudel aus.
Schließlich kamen die beiden Alphas scheinheilig auf sie zu. Schon von weitem setzten sie ein falsches Lächeln auf.
„Herzlichen Glückwunsch!", sprach Olivier.
„Wir müssen uns bald treffen, um über eine gute Zusammenarbeit zu sprechen. Ich denke, wir werden gut miteinander auskommen", meinte Filippo.
Die Scheinheiligkeit der beiden kotzte Jenny an. Doch sie schaffte es, gute Mine zum bösen Spiel zu machen.
„Olivier, Filippo, schön, dass ihr zu diesem für mich so wichtigen Tag gekommen seid. Ich finde es schön, Euch an so einem Tag als Freunde, um mich zu haben."
„Ganz deiner Meinung", meinte Filippo.
„Ich wünsche Euch noch viel Spaß. Wer weiß, wann ihr das nächste Mal zu einem Fest bei uns seid", gab sie zur Antwort. „Wir wollen hoffen, dass es dazu einen Grund gibt."
Dann ging Jenny weiter. Sie unterhielt sich viel lieber mit den Mitgliedern ihres Rudels als mit diesen falschen Schlangen.
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Die Wölfe der Karpaten
WerewolfJenny wird zur Alpha wird aber von den Alphas der umliegenden Rudel nicht respektiert und muss sich gegen sie verteidigen. Dafür braucht sie Hilfe.