Kapitel 1: Die Party

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Ein letzter, flüchtiger Blick in ihren goldenen Taschenspiegel noch, um zu überprüfen, dass jede einzelne platinblonde Locke ordentlich saß, dass ihre strahlend weißen Zähne mit den neuen, natürlich wirkenden Kronen auch ja keine verräterischen Spuren ihres kirschroten Lippenstifts aufwiesen und dass überhaupt jeder einzelne Zentimeter ihres Körpers aussah wie der des göttlichen Sternchens, welches sie dem Willen ihres Studios zufolge verkörpern sollte, und Arielle Adams war bereit.

Sie entstieg ihrem weißen Rolls Royce Silver Cloud mit jener entwaffnenden Anmut, die sie sich seit dem Beginn ihrer Hollywood-Karriere vor zwölf Jahren antrainiert hatte und die der Grund dafür war, dass Millionen von Kinobesuchern sich in Arielle verliebt hatten. Natürlich war es nicht leicht, in High Heels mit zehn Zentimeter hohen Absätzen zu laufen, die Arielle größer erscheinen lassen sollten als einen Meter sechzig, und dabei gleichzeitig darauf zu achten, dass ihre Brüste nicht aus ihrem tief dekolletierten, champagnerfarbenen Abendkleid heraussprangen.

Bei einem Auftritt wie diesem bediente sich Arielle des Tricks, dass sie einfach nicht daran dachte, was alles schiefgehen konnte. Schließlich war sie eine ausgezeichnete Schauspielerin und musste einfach nur das tun, was ein Trainer ihres Studios ihr einst beigebracht hatte, als sie nicht mehr als ein linkischer Teenager gewesen war: Als sie die Menge wartender Fans und Fotografen entdeckte, winkte sie höflich und lächelte charmant, ohne ihre Zähne oder gar ihr Zahnfleisch dabei allzu sehr zu entblößen. „Denk daran: Du bist auf einer Filmpremiere, nicht beim Zahnarzt!" hatte ihr der Trainer eingebläut, als er mit ihr das perfekte Lächeln eines Filmstars einstudiert hatte. Wie so viele Dinge in Hollywood war es nicht echt, was die aufstrebende Jungschauspielerin Arielle früher schockiert hatte, was der etablierte Star jedoch mit einem Schulterzucken hinnahm.

Nichtsdestotrotz war sie froh, dass sie an diesem kühlen Silvesterabend des Jahres 1956 nicht allein war. Das Studio hatte ihr Date mit John West, einem vielversprechenden Schauspieler, der erst vor kurzem einen Vertrag erhalten hatte, arrangiert. Obwohl er Arielle kaum kannte, erwies er sich umgehend als ein echter Gentleman und half ihr dabei, sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Denn die Situation vor dem Circe, einem noblen Nachtclub in Los Angeles, wo an diesem Abend Evette Stanleys traditionelle Silvesterparty stattfand, drohte zu eskalieren und hätte vermutlich bei vielen Stars, die zarter besaitet waren als Arielle, eine Panikattacke ausgelöst.

Es galt nämlich nicht nur, sich durch das Blitzlicht der auf sie gerichteten Kameras einen Weg in den Club zu bahnen, sondern auch ihre Fans zu bändigen. Das war leichter gesagt als getan, da letztere angefangen hatten, hysterisch ihren Namen zu schreien, als sie begriffen, dass sie wirklich da war: Arielle Adams, die berühmte Filmgöttin, war von der Kinoleinwand herabgestiegen und jetzt tatsächlich hier, ein lebendiges Wesen, das sich unter den Normalsterblichen bewegte. Die Fotografen warfen sich ihr quasi zu Füßen, um ein Foto von ihr zu bekommen.

„Arielle, schau bitte in die Richtung!"

„Arielle, könntest Du ein Autogramm für Jimmy aus North Dakota unterschreiben?"

„Arielle, willst du mich heiraten?"

„Arielle, stimmt es, dass deine Ehe mit Bud endgültig vorbei ist?"

Obwohl er gegenüber der wartenden Menge höflich blieb, so entschieden trat John West ihr gegenüber gleichzeitig auf: „Bitte lassen Sie uns durch! Wir sind hier, weil wir auf einer privaten Feier eingeladen sind und in Ruhe Silvester feiern wollen!"

Arielle hatte ihren Arm bei ihm untergehakt, was es ihm ermöglichte, seinen Körper als Schutzschild gegen alle allzu eifrigen Avancen ihrer Bewunderer einzusetzen. Nichtsdestotrotz registrierte sie, dass er seine ganze Körperkraft einsetzen musste, um sie beide in die Richtung des Clubeingangs zu lotsen. „Heute Abend erteilt Hollywood dem Bauernjungen aus Wisconsin eine Lektion über den Preis des Ruhmes", dachte sie bei sich und erinnerte sich mit einigem Zynismus an ihre eigenen ersten Schritte im Showbusiness.

Der Film: Ein Hollywood-Roman #Wattys2021Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt