Kapitel 8: Das Hotel Esperanza

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Wer auch immer gedacht hatte, dass das Wetter in Texas das ganze Jahr über gut war, hatte sich offenkundig geirrt, wie das Filmteam aus Kalifornien bei seiner Ankunft am Drehort in Fort Bull feststellen musste. Ein kalter Wind blies den Fremden ins Gesicht, als es sich mitten im Winter im einzigen Hotel in der abgelegenen Kleinstadt einquartierte.

Natürlich war es zu diesem Zeitpunkt zu spät, den Drehbeginn oder gar den Drehort von Die Rose von Texas zu verlegen. Immerhin schienen alle dreizehnhundert Einwohner des Ortes das Geschehen interessiert zu verfolgen, obwohl sie respektvoll auf Abstand zu den Fremden aus Hollywood gingen. Niemand kam auch nur auf die Idee, eine der Berühmtheiten um ein Autogramm zu bitten. Nichtsdestotrotz war die Nachricht, dass ausgerechnet in diesem Niemandsland im Westen von Texas ein echter Hollywood-Film gedreht werden sollte, die interessanteste, an die sich die Einheimischen erinnern konnten: Seit Fort Bull hundertzehn Jahre zuvor gegründet worden war, hatte hier keine solche Aufregung mehr geherrscht.

Matthew O'Grady, der Besitzer des örtlichen „Esperanza Hotels", begrüßte jedes einzelne Mitglied der eintreffenden Filmcrew, als ob es einem Königshaus angehören würde. Denn er hatte, ehrlich gesagt, in seinem ganzen Leben vielleicht fünf Filme gesehen, und das war während seiner Zeit in der Armee gewesen, weshalb er keine Ahnung hatte, wer diese Leute waren. Immerhin kannte er den Regisseur bereits, der mit ein paar Vertrauten vor allen anderen nach Texas gekommen war, um sicherzustellen, dass die Dreharbeiten pünktlich beginnen konnten. Nick Stanley hatte sich auf Anhieb gut mit den ortsansässigen Farmern verstanden, von denen einer ihm sofort seine große Scheune für die Innendreharbeiten verpachtet hatte. Es war einfach ein günstiges Angebot gewesen, das Nick nicht hatte ablehnen können, weil er dadurch seinen ganzen Film in Texas drehen und am Ende wahrscheinlich sogar Geld sparen konnte, weil der Film schneller fertig werden würde und nicht erst sämtliche Requisiten von Texas nach Hollywood transportiert werden mussten, so wie es ursprünglich geplant gewesen war. Da Arthur Stanley nach wie vor nicht daran glaubte, dass sein Sohn einen großartigen Film abliefern würde, und er die Filmproduktionen seines Studios grundsätzlich nicht mit einem großzügigen Budget ausstattete, musste Nick jeden Cent seines Film-Etats zwei Mal umdrehen.

Innerhalb von nicht einmal zwei Wochen hatte es Nick mit einem Teil seines Teams geschafft, alle Sets zu bauen, alle Requisiten und Kostüme einsatzbereit vor Ort zu haben und ein kleines Kino und sogar einen Schneideraum im Hotel einzurichten. Als der Rest des Teams mitsamt den Schauspielern eintraf, konnten die Dreharbeiten sofort beginnen.

Da in den ersten zwei Wochen der Dreharbeiten, für die insgesamt sechs Wochen veranschlagt worden waren, alle Schauspieler vor Ort benötigt wurden, hielt ein langer Jeep-Konvoi Einzug in Fort Bull. Obwohl die Neuankömmlinge aus Kalifornien nach ihrer Landung auf einem kleinen Militärflugplatz zwei Stunden durch die texanische Wüste gefahren waren, war die Stimmung gut, zumal Matthew O'Grady vor seinem Hotel einen Getränkestand aufgebaut hatte und seine Frau Ethel feuchte Handtücher griffbereit gelegt hatte. Auch für die Verpflegung an diesem Abend war schon vorgesorgt worden: Es sollte ein großes Dinner im Festsaal des Hotels stattfinden. Eigentlich war ein Barbecue geplant gewesen, aber aufgrund des schlechten Wetters hatte Matthew schweren Herzens entschieden, das Essen in den kleinen Festsaal zu verlegen.  

Abgesehen von dem Essen lief aber alles wie geplant, bis der Hotelbesitzer den Hauptdarstellern des Films ihre Hotelzimmer im ersten und zweiten Stock zeigte. Matthew hatte Eliza und Arielle in den Zimmern im ersten Stock unterbringen wollen und Charlie im größten Zimmer des „Esperanza Hotels", das, da es im zweiten Stock lag, anders als die Zimmer der Frauen keinen Balkon hatte. 

Mit diesem Zimmer-Arrangement war Charlie natürlich nicht zufrieden, weil er lieber das Zimmer neben Arielle im ersten Stock haben wollte. Auf diese Weise würde er sie auch nach Drehschluss ständig sehen können, etwa wenn sie abends auf dem Balkon saß, und ihr überhaupt viel leichter näher kommen können. Nur konnte er das dem Hotelbesitzer schlecht sagen, solange Arielle und Eliza in der Nähe waren. Außerdem sah der Texaner aus wie ein sehr konservativer, religiöser Mann, der in seinem Leben noch nie eine andere Partei als die Republikaner gewählt hatte. Die christlichen Merksprüche und Bibelzitate, die in den Zimmern aufgehängt worden waren und die wohl weitaus mehr waren als nur Deko-Elemente, waren Charlie nicht entgangen. Er betrachtete dies als eine Warnung. Selbst wenn er es schaffte, Arielle während der Dreharbeiten zu verführen, würde er hier in Texas sehr aufpassen müssen, dass sie niemand zusammen sah - oder auch nur hörte. Kein Hollywood-Star, egal, wie berühmt er oder sie sein mochte, konnte es sich leisten, das streng religiöse Kinopublikum im Süden der USA mit außerehelichen Sexgeschichten zu verprellen, die nicht nur Gerüchte, sondern offensichtliche Fakten waren. Da konnte sich Charlie noch so anstrengen, um wenigstens so auszusehen wie der Cowboy, den er in Die Rose von Texas spielen sollte. Denn er trug bereits jetzt einen Cowboyhut, ein kariertes, lose sitzendes Holzfällerhemd mit einem breiten Gürtel, knallenge Jeans und Cowboystiefel und bemühte sich, mit einem texanischen Akzent zu sprechen, als er sich in dieser Situation eine Zigarette anzündete und zu Matthew O'Grady sagte: „Nun, O'Grady, ich erwarte nicht das Ritz, aber ein Raum mit einem Balkon wäre schon gut. Wie Sie sehen können, bin ich Kettenraucher. Auch wenn Sie es vielleicht als eine Ehre ansehen, mich hier zu haben, will ich nicht, dass Ihr Zimmer nach dem Ende unserer Dreharbeiten noch ewig stinkt, nur weil Sie mich darin beherbergt haben!"

Der Film: Ein Hollywood-Roman #Wattys2021Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt