...singing

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Als ich meine Augen öffnete, wirkte der Wald, ganz anders, als gestern, trist und farblos. So als wäre sogar er dazu bestimmt, in den Hungerspielen aus dem Leben zu scheiden. Es schien langsam Morgen zu werden und die Spielmacher ließen die Sonne aufgehen.

Ich holte, meine silberne Flasche aus dem Rucksack und sah dabei in Levius' Gesicht. Er schlief noch und wirkte dabei, noch friedlicher, als am Tag. Es schien fast so, als wäre die Zeit angehalten und als könnten wir für immer so bleiben. Aber die unnatürlich schnell aufgehende Sonne, bewies mir das Gegenteil.
Ich öffnete meine Flasche, um einen Schluck zu trinken, aber sie war wieder leer. Hatte ich sie denn nicht gestern aufgefüllt? Verdammt, das musste ich vergessen haben...
Ich schaute nach unten und zu Levius und wägte ab:
da unten sah ich niemanden.
Und Levius schlief noch, weshalb er mir nicht folgen würde und sich somit nicht in Gefahr begab.

Das einzige Problem war, dass wir gestern eine lange Strecke bis hier hin zurückgelegt hatten und der See, somit in weiter Ferne lag.
Als ich jedoch erneut nach unten sah, erspähte ich plötzlich einen zweiten See, der gleich dort drüben war. Schätzungsweise war er 10 Meter entfernt.

Der See hatte ein außergewöhnliches Schimmern und lud mich geradezu ein.
Ich schob mich unter dem Seil und machte mich ran, runterzuklettern.
Die raue Rinde fühlte sich gut an meinen Händen an - sie versprach Halt.
Unten angekommen, durchfuhr mich wieder diese Unsicherheit.
Ich ging einige Meter und hörte plötzlich etwas, was diese Unsicherheit untermalte.
Ein Rascheln. Schritte.
Ich drehte mich um und sah in ein fremdes Gesicht.
Meine Kehle schnürte sich zu vor Panik.
Das Gesicht war das eines Mädchens. Sie hatte ein spitzes Gesicht und giftgrüne Augen. Levius hatte auch grüne Augen, aber sie hatten nichts mit den ihren gemein.

"Zeit, dich zu verabschieden", sagte sie zuckersüß und setzte ein Grinsen auf, welches mir noch mehr Angst machte.
Das Mädchen hielt ein Messer in der Hand und schwang es, während ich vor Panik gelämt war.

Gleich würde ich sterben.

Sie brauchte nichtmal eine Sekunde, um das Messer in mein Bein zu rammen.
Ich konnte nicht umhin zu schreien, woraufhin sich meine Starre löste.

Ich rannte um mein Leben, während das Blut meine Hose durchnässte und warm an meiner Haut runterlief.

Sie rannte mir nach.
"Ich kriege dich", säuselte sie und lachte dreckig.

Unwillkürlich erschienen Tränen in meinen Augen. Ich wollte jetzt nicht sterben!
Ich rannte weiter und weiter und es schien, als wären wir in etwa gleich schnell.

Solange ich nicht aufhörte zu rennen, konnte ich leben.
Ich rannte also, während ich die Schmerzen an meinem Bein ausblendete.

Doch plötzlich, als würde das Schicksal es so wollen, stolperte ich über etwas.

Als ich nachsah, worüber ich gestolpert war, war ich geschockt.
Es war ein Arm.
Ein dünner Arm, der zu der Leiche eines jungen Tributs gehörte.
Eines Tributs, den das Mädchen wohl vor kurzer Zeit erledigt hatte.
Jenes Mädchen hatte mich nun eingeholt.

Mit meiner letzten Kraft, versuchte ich, wegzukriechen, aber das nützte nichts.

"Das Spiel ist aus",sagte sie und schnitt in der selben Sekunde in mein Handgelenk.
Ich schrie vor Schmerz auf. Ich konnte es nicht ertragen.
Unter meiner Hand bildete sich eine tiefrote Blutlache, aber meine Pulsader hatte sie gerade so verfehlt.

Sie beugte sich über mich und setzte das Messer an meiner Kehle an.
Ich atmete hektisch und meine Augen weiteten sich, während ihr Gesicht bloß einen noch zufriedeneren Ausdruck annahm.

Doch bevor sie etwas ausrichten konnte, erschien plötzlich jemand hinter ihr.
Es war Levius.

Ich wollte ihm zurufen, dass er abhauen sollte, dass er sich retten sollte.
Aber es war, als ob meine Lippen die Worte nicht fanden.
Levius stach dem Mädchen sein Messer in den Rücken. Ich sah, wie ihre Augen einen trüberen Ausdruck annahmen und wie unter ihr eine Blutlache entstand.
Mit aller letzter Kraft ließ sie von mir ab, drehte sich um und stach ihr Messer in Levius' Bauch.
Das alles passierte schneller als ich es realisieren konnte.
Als das Mädchen vor mir zur Seite kippte, hatte ich freie Sicht auf Levius.

"Nein!",schrie ich.
Er lag dort. Sein Brustkorb hob und senkte sich schnell vor Panik und seine Kleidung verfärbte sich dunkel.
Mir schossen Tränen in die Augen.
Nein, warum er...

Ich krabbelte zu ihm hin und unfasse sein Gesicht.
"Dakota", hauchte er und seine Augen waren noch klar und fokussiert.
"Levius, du hättest auf dem Baum bleiben sollen",wimmerte ich.
"Du lebst. Das ist das wichtigste",sagte er und seine Stimme klang undeutlich und rau.
"Levius", antwortete ich bloß und fuhr durch seine Haare.
"Ich bin da",sagte er.
"Nein...ich brauche dich. Nicht nur für die Spiele, sondern als Person an meiner Seite. Ich brauche dich. Bitte gehe nicht!".
Meine Tränen versperrten mir die Sicht.
Ich blinzelte sie weg.
Ich wollte Levius nicht nur ansehen, ich musste.

"Weißt du, das ist das schönste, was je jemand zu mir gesagt hat, Dakota", sagte er lächelnd und fügte hinzu:"Aber du wirst es schaffen. Ich bin bei dir, egal was ist".

Ich beugte mich über ihn und presste meine Lippen auf seine.
Immerhin war das meine letzte Gelegenheit.
Er lächelte.
Und irgendwann erstarrte dieser Ausdruck, während ich nicht aufhören könnte, erbittert zu weinen.
Die grünen Augen wurden leer und starrten in die Baumkronen.
Aber das Lächeln blieb.

Und urplötzlich wurde ich aus diesem Bild herausgerissen.
Ich öffnete meine Augen.
Es war noch dunkle Nacht und hinter mir spürte ich Wärme. Levius Wärme.
Ich drehte mich, um ihn anzusehen.
Er war unversehrt und schlief friedlich.
Ich presste mein Ohr an seine Brust und hörte seinen Herzschlag.
Unfassbare Erleichterung durchströmte mich.
Unwillkürlich musste ich auflachen und gleichzeitig weinen.
"Levius", hauchte ich.
Nicht, um ihn zu wecken, sondern um mir selbst zu verstehen zu geben, dass er hier war und dass es ihm gut ging.

Er war hier. Mit seinen grünen Augen, seinem friedlichen Antlitz, mit seinem unordentlichen Haar und seinem Herzschlag.

Wieder musste ich auflachen und weinen.
Ich griff nach seiner Hand, führte sie zu meinen Lippen und verteilte so viele Küsse darauf, wie ich konnte.

Diese Erleichterung war nicht zu beschreiben.
Irgendwann lehnte ich mich wieder zurück und versuchte, in seine Wärme gehüllt, weiterzuschlafen.
Ich war schon lange nicht mehr so glücklich, wie jetzt.
Wir lebten.


❝once there was a dead girl singing❞ | hunger games ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt