Kapitel 28

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In meinem Stamm aus Castra hatten wir Kinder uns früher immer Gruselgeschichten über das vergessene Königreich Tenebris erzählt

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In meinem Stamm aus Castra hatten wir Kinder uns früher immer Gruselgeschichten über das vergessene Königreich Tenebris erzählt. Es gab Gerüchte, dass das Land nur aus Schatten bestand und von Dämonen, die dort ihr Unwesen trieben. Es herrschte das Märchen, dass ein Halbdämon die Herrschaft an sich gerissen hatte. Er hatte die ehemalige Königsfamilie vom Thron gestoßen. Sanctus hatte mir erzählt, dass eine Frau das Land regiert hatte, eine Drachenzähmerin. Der Halbmensch - Halbdämon soll der Bruder ihres Mannes gewesen sein, den er getötet hatte. Keiner wusste, ob die Drachenzähmerin, die einst Königin von Tenebris gewesen war, noch lebte.

Ich wusste nur, dass man seinen Namen nicht aussprach. Den des Herrschers. Daemonius. Wenn man seinen Namen in den Mund nahm, war man angeblich verflucht. Ich glaubte an so etwas aber nicht. Natürlich tat ich das nicht.

Diane van Solis stürmte in einem Nachtgewand in den Thronsaal, durch dessen große Bogenfenster Mondlicht schien und die Halle spärlich beleuchtete. Nachdem der Pfeil zwischen Aaliyah und mir in den Boden des Trainingsplatzes geschossen wurde, waren wir zurück ins Schloss geeilt.

Ich würde nie erfahren, was Aaliyah mir hatte sagen wollen - und das war wahrscheinlich auch besser so.

„Was ist so dringend?", fragte Diane. „Warum hast du mich wecken lassen?" Sie wandte sich zu mir. Ihr Gesicht verzog sich. Sie schien mich erst jetzt bemerkt zu haben. „Und was will diese Streunerin hier?"

Aaliyah hatte keine Zeit, sie zurecht zu weisen und ich wollte lieber kein Risiko eingehen, dass mich diese Frau noch mehr hasste.

„Jemand hat uns bedroht", sagte Aaliyah. Ihre Stimme zitterte.

Diane sah ihre Nichte skeptisch an. Wahrscheinlich fragte sie sich, wer es wagte Aaliyah in ihrem eigenen Schloss, umgeben von Wachen, anzugreifen oder wie das überhaupt möglich war.

„Mit einem Brief", vervollständigte Aaliyah ihren Satz.

Die Königin van Solis warf ihr einen weiteren suspekten Blick zu. So aufgewühlt, ja fast ängstlich, hatte sie ihre Nicht wohl noch nie erlebt.

„Aus Tenebris", beendete Aaliyah ihre knappe Erklärung und schluckte.

„Wovon sprichst du?"

„Er wurde mit seiner Unterschrift unterzeichnet. Es ist sein Blut. Dämonen unterschreiben Verträge oder Drohungen nur mit ihrem eigenen Blut. Auf dem Papier selbst wurden sechs Zirkel gemalt. Ich denke, sie stellen Vollmonde dar. Er wird in einem halben Jahr arietischen Boden betreten."

Diane's Gesicht erstarrte. „Er ist auferstanden."

Aaliyah nickte ängstlich. „Er hat seine Kräfte gesammelt - und er will Arietes."

„Natürlich fängt er bei dem größten Königreich an", wisperte Diane. „Wir müssen König Elijah van Bellator und Prinzessin Talia van Aurum sofort informieren."

Aaliyah nickte hastig und rief eine Wache herbei, dem sie befahl sofort eine Nachricht nach Bellator und Aurum zu schicken.

Diane zitterte und vergrub die Hände in ihrem Gesicht. „Das darf nicht wahr sein. Ich dachte, Ilyas hätte ihn getötet."

Aaliyah Gesicht verzog sich vor Schmerz. „Wie sollen wir das wissen? Das haben wir nur geglaubt, weil wir es glauben wollten. Vater und Mutter konnten nie bestätigen, dass er wirklich tot war - denn er ist ihnen zuvor gekommen und hat ihnen ein Schwert durch die Herzen gejagt."

Ich sah sie mitfühlend an. Auf einmal tat sie mir unglaublich leid. Für einen Augenblick stand sie so wütend, hilflos und alleine da - wie ich mich immer in einsamen Nächten gefühlt hatte. Im Grunde genommen waren wir beide Waisen. Unsere Eltern waren gestorben. Wir teilten das gleiche Schicksal.

Ich spürte, wie sehr Aaliyah sich zusammenreißen musste. Also nahm ich ihre Hand. Diane bemerkte es zum Glück nicht. Sie war mit ihren Nerven sowieso am Ende.

Aaliyah warf mir einen verstohlenen Blick zu. Ich drückte ihre Hand kurz und sah sie aufmunternd an.

Diane fuhr wieder herum. „Bei den Göttern, wie konnte das nur passieren?!"

Ich ließ Aaliyah's Hand schnell wieder los und machte einen Schritt von ihr.

„Vielleicht ist es ja auch gar nicht Daemonius", sagte ich. „Vielleicht ist es nur einer, der sich als ihn ausgibt oder euch Angst einjagen wollte und - "

„ - Du wagst es seinen Namen auszusprechen?!", fauchte Diane und blies sich wie eine wild gewordene Furie auf.

Bei diesem Anblick zuckte sogar ich zurück. „Das war nicht mit Absicht."

Die Königin von Solis schüttelte abfällig den Kopf. „Du bist ein Monster und eine Närrin noch dazu, wenn du seinen Namen ohne Angst in den Mund nehmen kannst."

Unsicher sah ich zu Aaliyah, die mich mit großen Augen anstarrte, ihren Blick aber schnell wieder abwandte.

„Das Königreich - wir - wir müssen es schützen", stammelte Diane.

„Was ist mit Solis?", fragte Aaliyah. „Wenn du zurück musst, verstehe ich das natürlich. Ich - "

„ - Du glaubst doch nicht, dass ich dich hier alleine lasse!", unterbrach Diane ihre Nichte, fast schon vorwurfsvoll, als wäre sie empört darüber, dass Aaliyah ihr das zumutete. „Ich bleibe an deiner Seite, wie ich es meiner Schwester versprochen habe. Er hat klar gemacht, dass Arietes sein erstes Ziel ist."

Ich bemerkte, wie Aaliyah ein Licht aufging. „Vielleicht hat seine Auferstehung mit dem Verschwinden des Wilds, der Fische und den verdorbenen Ernten zu tun."

Ich hielt die Luft an. Die Puzzleteile fügten sich langsam zusammen.

„Wir halten eine Notbesprechung. Wenn der erste Sonnenstrahl über den Horizont scheint", sagte Diane hastig, bevor sie sich zu mir wandte. „Und du hältst deinen hübschen Mund, Streunerin! Wehe du verlierst auch nur ein Wort darüber! Alles was gerade besprochen wurde, bleibt in diesem Raum!"

Ich nickte. Für wen hielt sie mich? Natürlich würde ich schweigen. Ich war nicht dumm. Diane zweifelte daran wohl, denn sie warf mir einen letzten warnenden Blick zu, bevor sie aufgewühlt verschwand.

Aaliyah ließ sich auf die Stufen, die zu ihrem Thron führten, nieder. Sie war völlig am Ende.

Eine Königin, die zitternd vor ihrem goldenen Thron saß, anstatt darauf.

Ich setzte mich vorsichtig zu ihr. „Wird es einen Krieg geben?", fragte ich leise.

„Ich weiß es nicht", flüsterte sie und sah hilflos zu mir auf. „Wie soll ich das schaffen, Hiraeth? Ich bin 17. Ich - ich habe doch keine Ahnung wie - wie man einen Krieg führt. Wie im Gottes Namen soll ich das hinbekommen?"

„Hey." Ich nahm ihre Hände in meine. Sie waren eiskalt. „Deine Tante ist hier, du hast deine Berater, Adam Steel, deine Erste Offizierin, eine treue Armee und die Herrscher der anderen Königreiche werden auch bald kommen." Ich hielt kurz inne. „Und mich hast du auch. Ich bin hier."

„Ich habe nicht nur Angst um mein Königreich", sagte sie nach einer Weile. „Sondern auch um dich."

Kurz stolperte mein Herz. „Was meinst du damit? Ich bin doch nur ein gewöhnliches Mädchen aus Castra, das nicht mal ihre Herkunft kennt. Außerdem kann ich auf mich selbst aufpassen. Das musste ich schon immer."

Auf einmal machte ihr intensiver Blick mir Angst. Es war, als würde sie das Innerste meiner Seele ergründen wollen.

„Du bist vieles, Hiraeth, aber nenne dich nie wieder gewöhnlich."

HIRAETHWo Geschichten leben. Entdecke jetzt