Kapitel 4

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Nach einigen Stunden erwachst du, ausnahmsweise, nicht zu deinem vibrierendem Handy. Gähnend setzt du dich auf und blickst aus dem Fenster. Die Sonne scheint schon weit oben am Himmel zu stehen. Du blickst auf die Uhr auf deinem Smartphone. In weißen Zahlen wird 13:27 Uhr angezeigt. Du hast länger geschlafen als erwartet. Schnell rollst du dich aus dem Bett, fällst dabei auf den Boden und ziehst scharf die Luft ein.
"Ach genau, ich wurde ja zusammengeschlagen. Wie schön...", erinnerst du dich ironisch. 
Mühselig richtest du dich auf. Auf dem Tisch liegt Kleidung und ein kleiner Zettel. Mit hochgezogener Augenbraue gehst du hin und nimmst den Zettel auf. Es ist eine Nachricht von Cleo.

Hallo Tarian!
Da wir dich nicht aufwecken wollen (du hast ziemlich fertig gewirkt :( ) hinterlasse ich dir hier eine Nachricht. Richy und Jessy mussten für einen Notfall zurück in die Werkstatt. Scheinbar ein Konkurrenzkampf, den sie nicht verlieren dürfen. Dan ist für mentale Unterstützung auch mitgekommen. Sie versuchen aber so früh wie möglich zurückzukommen! Thomas und Hannah sind in der Früh nach Hause gefahren, da Hannah ja noch immer Therapie bekommt. Diese Woche sollte aber die letzte sein! Phil ist in seine Bar arbeiten gegangen, Lilly sollte aber hier sein. Falls ich nicht da bin, bin ich einkaufen. Wir sehen uns!

-Cleo

Du lächelst und nimmst die Kleidung, welche sie dir dazugelegt hat. Es ist ein weißes T-Shirt, eine langärmlige, beige-türkise Weste mit Karo Muster, eine kurze Jeanshose und weiße Socken. Schnell ziehst du dich um, steckst dein Handy und Portemonnaie in die Hosentaschen, bindest dir die Weste um die Hüfte und lässt den ausgeborgten Pyjama ordentlich gefaltet auf deinem Bett zurück, als du endlich das Gästezimmer verlässt. Auf halbem Weg zum Wohnzimmer hörst du schon Lilly mit jemandem am Handy reden. Sie scheinen sich über dich zu unterhalten.
"Ja, uns geht es gut. Tarian auch. Er schläft momentan noch", meint Lilly seufzend und lehnt sich zurück. "Er hat ziemlich fertig gewirkt. Das kann man ihm auch nicht übel nehmen, er wurde ziemlich- Oh, da ist er ja. Guten Morgen."
"Uhm, guten Morgen...", murmelst du verwirrt. "Mit wem redest du da?"
"Das kann er dir ruhig selber sagen", sagt die Blonde und drückt auf den Lautsprecherknopf. "Was bist du denn jetzt auf einmal so still? Ihr steht euch doch so nahe? Sag mir nicht, dass du so schüchtern bist."
"Natürlich bin ich das nicht, aber...", ertönt es aus dem Lautsprecher. Wessen Stimme ist das?
"Das ist das erste Mal, dass du kein richtiges Argument hast, Herr Hacker", dein Herz scheint einen Sprung doppelt zu machen, als du endlich verstehst, wer da am Hörer ist: Jake. "Traust du dich nicht, ihn ohne Stimmenverzerrer anzusprechen?"
"Das ist Jake?!", rufst du aus und spürst Wärme in dir aufbauen, als du dich zu Lilly auf die Couch setzt. "Ich habe so oft darüber nachgedacht, wie er wirklich klingt..."
"Na siehst du", sagt Lilly und drückt dir das Handy in die Hand. "Ihr solltet ein wenig reden. Ich mache dir etwas zu essen."
"Warte, was? Nein, Moment, Lilly, bleib hier!!", rufst du ihr hinterher doch sie hört nicht und schreitet schnurstracks zur Küche.
Unangenehme Stille füllt die Atmosphäre. Du fühlst deine Wangen erhitzen, während du den Bildschirm anstarrst, worauf Jakes Profilbild abgebildet ist. Dir wollen nicht die richtigen Worte einfallen, um ein Gespräch zu beginnen. Waurm fällt es dir so schwer, mit ihm zu reden? Schreiben funktioniert doch ebenfalls einwandfrei.
"Tarian?", erklingt plötzlich Jakes relativ tiefe aber ruhige Stimme am Telefon, welche dich kurz zusammenzucken lässt.
"Äh, ja?", erwiderst du vorsichtig.
"Hast du gut geschlafen? Fühlst du dich besser?", möchte er wissen. Er klingt etwas besorgt. Du lächelst sanft.
"Ja, ich denke schon. Mir tut nur alles ein wenig weh, aber ansonsten ist alles okay", sagst du mit einer weichen Stimmlage. "Hast du geschlafen, Jake?"
"Nicht wirklich. Ich habe versucht, ausfindig zu machen, wo sich dein Angreifer befindet, aber ich komme einfach nicht an ihn ran", erklärt er, genauso, wie du es von ihm erwartet hast.
"Der ist wohl eine große Nummer, hm?", du grinst.
"Tatsächlich, ja."
"Du bist trotzdem meine Nummer 1", meinst du und schlägst dir danach direkt die Hand vor den Mund, realisierend, was du gerade gesagt hast. Doch Jake schmunzelt nur.
"Du versagst nie darin, mich aufzuheitern, Tarian", sagt er. Du antwortest mit einem beschämten Lacher. Danach herrscht wieder Stille für eine Weile, bevor du sie diesmal brichst.
"Wegen der chinesischen Restaurant Sache, die du damals gefragt hast...Was hälst du von japanisch?", willst du interessiert wissen.
"Finde ich auch gut. Ich bin da nicht sonderlich sensibel", antwortet Herr Hacker und schweigt kurz. "Hast du schon einmal marrokanisch probiert?"
"Meine Oma macht öfters Huhn, dazu Reis mit Karotten, gelben Rüben, Marillen und Feigen, darauf dann Zimt. Mir schmeckt das ganz gut, also ja, habe ich und ich finde es auch gut."
"Interessant."
"Jake, ich möchte, dass du dich mehr um dich selber kümmerst", sagst du schließlich."Schlaf ist wichtig, nicht nur für deinen Körper sondern auch deine Psyche. Bitte schlafe mehr."
"Du hast Recht. Doch ich werde noch eine Weile brauchen, mir einen gesunden Schlafrhythmus anzugewöhnen", meint er. "Aber ich werde es versuchen, Tarian. Mach dir keine Sorgen."
"Die mache ich mir ja trotzdem"
"Das ist wohl etwas, dass wir gemeinsam haben."
"Tarian, kannst du mir helfen? Du bist doch so gut im Kochen", ruft Lilly aus der Küche.
"In Ordnung, gib mir eine Sekunde!", antwortest du und wendest dich dann wieder dem Telefonat zu. "Ich muss deiner kleinen Schwester beim Kochen helfen. Du könntest inzwischen ja schlafen."
"Ich würde lieber weiter den Täter suchen, aber ich bin tatsächlich sehr müde", meint Jake. "Und weil du es bist."
Du lächelst. "Danke, Jake. Sprechen oder schreiben wir am Abend noch einmal?"
"Natürlich. Bis später, Tarian"
"Bis später"
Damit legt er auf und du lehnst dich für eine Sekunde zurück. Jakes Stimme klingt sehr angenehm. Sie ist eher tief als hoch und die Art wie er spricht ist sehr sanft anstatt direkt, auch wenn man eigentlich denken könnte, es sollte andersrum sein. Und schüchtern ist er scheinbar auch.
Du vergräbst dein Gesicht in deinen Händen und seufzt wehmütig. Wie gerne du ihn jetzt sehen und umarmen würdest. Du weißt ja noch immer nicht, wie er aussieht. Seine Haare sind schwarz, er ist wahrscheinlich blass, weil er selten rausgeht. Vielleicht hat er ja eine Brille? Und er ist größer als du, das hatte er mal in einem Gespräch indirekt erwähnt. Du hattest Jake deine Körpergröße genannt, was er mit "Du bist kleiner, als ich erwarter hatte" betitelt hat.
"Tarian, kommst du jetzt?!", ruft Lilly nach dir, was dir endlich einen Schubs gibt.
"Äh, ja, ich komme!", stammelst du und machst dich hektisch auf den Weg in die Küche.

Duskwood - Das Geschehen nach HannahWo Geschichten leben. Entdecke jetzt