7. Ein neuer Auftrag

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Er stand tatsächlich auf, und als ich ebenfalls den Stuhl nach hinten schob, um ihm zu Folgen, beging ich einen Fehler. Und zwar belastete ich das falsche Bein zuerst, genau das, was ich mir morgens auf der überstürzten Flucht verdreht hatte, und knickte einfach zur Seite weg. Vielleicht lag es auch an den, zugegeben, ziemlich unvorteilhaften Schuhen, aber auf jeden Fall hätte ich mich beinahe unglücklich abgepackt. Beinahe. Ich stürzte nämlich gegen Jasper, der völlig perplex einen Schritt nach hinten machte, um sein Gleichgewicht zu halten. Bevor ich jedoch ganz auf den Boden fallen konnte, schlang er seine Arme um meine Taille und hielt mich so fest. Erschrocken und gleichzeitig erleichtert atmete ich aus, dann merkte ich, dass meine Finger sich in den dunklen Stoff von Jaspers Jackett geklammert hatten. Als hätte ich mich daran verbrannt, ließ ich los, und rappelte mich verlegen wieder auf. Dann stand ich da, mit gesenktem Kopf, spürte die Hitze, die mir in die Wangen schoss und die unzähligen Blicke auf mir. Auch Jaspers, der jetzt eine Hand zu mir ausstreckte, um mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. Aber ich war schneller, steckte sie mir hinters Ohr und wollte nur noch weg.
"Bist du okay?" fragte Jasper leise und sah mich sowohl verwirrt als auch besorgt an. Ich nickte hektisch und machte Anstalten, mich in Richtung Ausgang zu bewegen, er umfasste meinen Ellenbogen und stützte mich so. Mehr oder weniger elegant verließen wir so das Restaurant, und am liebsten wäre ich einfach so im Erdboden versunken. Nicht nur, dass ich mich blamiert hatte, nein, ich habe auch Schwäche gezeigt und mich somit angreifbar gemacht. Das sollte man niemals in Gegenwart eines Kunden, und auch, wenn Jasper irgendwie kein typischer Kunde war, galt diese Regel auch bei ihm. Viel schlimmer aber war, dass jeder, der sich gerade im Dome befunden hatte, sich an mich erinnern würde. Vielleicht nicht bis zu seinem Lebensende, aber ich habe auf jeden Fall einen ungewöhnlichen Auftritt hingelegt, den man nicht nach zwei Minuten wieder vergisst. Ich hasse es, wenn ich mich von der Masse abhebe, auf mich aufmerksam mache und dadurch meine Anonymität verliere.
"April?"
Belustigt schaute Jasper mich an, seine Augen glänzten und seine Hand berührte mich am Arm.
"Äh...ja?" machte ich völlig verwirrt und spürte, wie sich eine Gänsehaut an der Stelle ausbreitete, an der er mich berührte. Dann nahm er seine Finger weg und zeigte damit auf einen Stuhl. Schnell rieb ich mit meinen eigenen Händen über meine Arme, die nun beide eine Gänsehaut hatten, obwohl ich einen Mantel darüber trug. Dann sah ich mich kurz um und bemerkte, dass wir uns bereits in einem McDonalds befanden.
"Setz du dich schon mal hin, ich hol uns was zu Essen. Irgendwelche speziellen Wünsche?"
Obwohl er sich sichtlich Mühe gab, ein Lachen zu unterdrücken, gelang es ihm nicht ganz, als er sich über meine Abwesenheit amüsierte.
"Äh...nein, nicht wirklich." stotterte ich, Jasper grinste. Dann drückte er mich an der Schulter sanft auf den Stuhl, und sobald ich saß, sackte ich ein wenig in mich zusammen. Es war schon spät, und die Erschöpfung machte sich gerade in mir breit. Er zog die Augenbrauen hoch, ging aber wortlos zur Theke.
Kurz ließ ich meinen Kopf auf meinen Armen nieder, dann hob ich ihn wieder und sah mich um. Es waren ziemlich viele Leute da, hauptsächlich junge Erwachsene, aber auch ein paar Familien mit Kindern, was auch immer sie um diese Uhrzeit hier zu suchen hatten. Am Tisch neben mir waren ein paar Jugendliche, ungefähr in meinem Alter, verkleidet. Ich versuchte, zu erkennen, wen oder was sie darstellten, erkannte aber nur Superman und eine Hexe. Bei einem Mädchen im pinken Kleid war ich mir nicht sicher, ob der seltsame Helm zum Kostüm gehörte. Vielleicht war es ihre Prinzessinnenkrone?
Auf meiner anderen Seite war eine Familie mit vier Kindern. Das jüngste schien noch nicht mal im Kindergartenalter zu sein, der älteste Sohn war bestimmt dreizehn oder vierzehn. Auf jeden Fall hatten die Eltern ganz schön was zu tun, denn eines ihrer Mädchen hatte gerade ihre Fanta verschüttet, während die beiden älteren Jungs andere Gäste durch die Strohhalme mit Papierkügelchen abschossen und das kleinste Mädchen unter den Tischen herumkrabbelte und Essensreste aufsuchte.
"Na, bist du nicht satt geworden?" fragte ich, als sie sich fast unter meinem Tisch befand, sich dort im Schneidersitz niederließ und eine Pommes in ihren Mund stecken wollte. Aus großen Augen sah sie mich an, die unzähligen Lichter spiegelten sich in ihnen. Ihre Lippen waren immer noch einen Spalt weit geöffnet, bereit, den Pommes anzunehmen, aber vor lauter Überraschung hielt sie inne. "So etwas isst man nicht, wenn es schon auf dem Boden war. Jetzt ist die Pommes dreckig." erklärte ich dem Mädchen und nahm ihr langsam das bereits zertretene Stück Kartoffel aus der Hand und warf es in den nächsten Mülleimer, der nicht weit entfernt war. Sie bewegte sich nicht von der Stelle, und als ich mich wieder hinsetzte, hatte sie schon wieder etwas in der Hand. Dieses Mal war es ein Salatblatt, aber bevor ich es ihr wegnehmen konnte, wurde sie von etwas ganz anderem abgelenkt. Ihre Mutter rief sie, aber anstatt hinzugehen blieb das Mädchen ruhig unter dem Tisch sitzen und beobachtete ihre Familie, die sich suchend nach dem kleinsten Sprössling umsah.

Da sie sich nicht meldete, hob ich winkend meine Hand. "Hallo? Ihre Tochter ist hier!" sagte ich laut und wartete kurz, bis das Mädchen auf dem Arm ihrer Mutter war, die sich erleichtert bedankte und dann dem Kind das Salatblatt aus der Hand nahm. Lächelnd drehte ich mich zurück zum Tisch und erschrak. Jasper saß dort und fing an zu lachen, anscheinend hatte er nicht beabsichtigt, mich zu erschrecken. Dann schob er mir ein Tablett rüber. "Sorry" grinste er und öffnete dann eine Schachtel mit einem Burger. Ebenfalls grinsend fing auch ich an zu Essen. Aber nach kurzer Zeit fiel mir wieder etwas ein, was ich Jasper noch fragen wollte, und beschloss, es nicht noch länger hinauszuzögern.

"Als du mir den Auftrag erteilt hast, hast du gesagt, es wäre noch etwas für mich zu erledigen... wenn ich meinen Job gut machen würde. Also, wie sieht's aus? Bekomme ich den Job?"

Vorsichtig sah ich ihn an. Ging ich zu weit, wenn ich schon selbst nach Aufträgen fragte? Aber letztendlich lief es mit ihm ganz gut, und das Geld brauchte ich.

"Klar. Eigentlich wollte ich dich schon fragen, aber wusste nicht ganz wie... ich bin mir nämlich nicht sicher, ob du mitmachen würdest."

"Wieso sollte ich das nicht? Aber egal, sonst erzähl doch erst mal, worum es geht."

"Also gut. Weißt du, was übermorgen ist?"

"Der 31. Dezember. Also Silvester, oder wolltest du auf was anderes hinaus?"

"Mehr oder weniger. Traditionell ist dann auch der jährliche Neujahrsball unserer High Society, also von denen, die sich wichtig fühlen und reich sind. Nicht dass du jetzt ein falsches Bild von mir bekommst, gerne gehe ich da bestimmt nicht hin. Aber ich habe dort etwas zu erledigen, und da man nur mit Begleitung teilnehmen darf, bräuchte ich jemanden, der ein bisschen tanzen kann und zum Jahreswechsel nichts besseres zu tun hat. "

Ich musste kurz über das nachdenken, was er gesagt hatte. Es wäre ziemlich einfach, auf einem Ball die Begleitung zu spielen, für das Geld müsste ich also kaum was tun. Wenn ich mich dann noch gut verkleide, wird mich auch niemand wiedererkennen oder sich mein Aussehen merken.

"Wieso eigentlich nicht? Ich kann tanzen, ich musste zehn Jahre meines Lebens jede Woche zur Tanzschule. Und zufälligerweise habe ich für den Abend noch nichts anderes vor. Obwohl... bin ich nicht eigentlich zu jung?"

"Zu jung? Sagen wir mal so, als ich dich das letzte Mal gesehen habe, hattest du eindeutig hellere Haut und dunklere Haare. Ich meine sogar, dass du grüne Augen hattest, nicht braune. Also wenn du es schaffst, dich von der Person, die ich vor kurzem kennengelernt habe, in diese Person zu verwandeln, die gerade vor mir sitzt, wist du es doch wohl schaffen, dich etwas älter zu machen, oder?"

Für ein paar Sekunden war ich etwas aus der Fassung und antwortete nicht. Dass ihm die ganzen Einzelheiten meiner Veränderungen so aufgefallen sind, hätte ich wirklich nicht gedacht. Normalerweise hatten selbst Leute, die mich schon länger kannten, große Probleme, mich zu erkennen, wenn ich es nicht wollte. Wieso hatte er mich so schnell durchschaut?

"Klar, klar kann ich das..." stammelte ich.

"Sehr schön, dann wäre das geklärt. Gehen wir dann morgen ein Kleid kaufen? Oder möchtest du das alleine machen?"

"Mir ist das ziemlich egal. Obwohl es vielleicht ganz praktisch wäre, wenn du sofort sagen kannst, ob ein Kleid okay ist oder nicht."

"Dann ist es also beschlossene Sache, ich hole dich morgen Nachmittag ab."

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 31, 2015 ⏰

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